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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

suchte sich das Mittelalter nach eigener Art zu helfen und rief Institutionen ins Leben, die den einzelnen Berufskreisen zur Vermittelung des Nachrichtenverkehrs dienen sollten. So entstanden die Klosterboten, Universitätsboten und die Metzgerposten, die Post des Deutschen Ordens und das Städtebotenwesen, aus denen allen sich die ehrsame Botenzunft herausbildete. Ihre Mitglieder besorgten den Dienst bald zu Roß bald zu Fuß und wußten sich Jahrhunderte lang namentlich den Kaufleuten unentbehrlich zu machen. Bis an die neuere Zeit begegnen wir überall in Stadtchroniken und Archiven ausführlichen Botenordnungen, und aus verhältnißmäßig nicht allzu weiter Vergangenheit, aus dem 17. Jahrhundert, stammt die Abbildung des Baseler Briefboten her, den wir als Repräsentanten der Botenzunft unseren Lesern vorführen.

In den damaligen unsicheren Zeiten hatten jene Boten mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen und manche Gefahr zu bestehen. Oft waren sie dabei nur auf sich selbst angewiesen, indem die eine oder andere Stadt bei der Verpflichtung eines städtischen Boten sich ausdrücklich ausbedang, „daß sie nicht nöthig haben solle, ihn auszulösen, falls er gefangen genommen werde.“ Diese Zustände brachten es wohl mit sich, daß die Boten auch ihrerseits nicht an Pflichttreue dachten und ihr Ruf nicht der beste war. So entwirft Thomas Garzonus in seinem „Allgemeinen Schauplatz“, Venedig 1610 (Uebersetzung aus dem Italienischen, Frankfurt a. Main 1659), nachdem er vorher das Ungemach, das die Boten nicht selten zu erdulden hätten, aufgeführt hat, folgende drastische Schilderung von ihren Fehlern. „Was aber die Boten selber anbelangt, findet man auch ihre Mängel. Denn beneben anderer Untreu, so offtermahls gespüret wird, daß sie die Brieffe auffbrechen, die Siegel verfälschen, Heimlichkeiten verrathen, sind sie auch meisterlich darauf abgerichtet, daß sie Päck und Geld aufmachen, verspielen, versauffeu etc., und geben hernach für, sie seyn angegriffen worden, beklagen sich auch ihres Leibs, als übel geschlagen, und reden den Leuten einen solchen Seubert ein, daß sie Mitleyden mit ihnen haben, und ihnen noch Geld darzu geben. Und wenn ihnen solches einmal angehet, wagen sie es noch mehr, und stecken sich allgemach in den Strick, darinnen sie endlich bleiben, oder das Land räumen müssen, wenn sie merken, daß man ihrer buben-Stück ist gewahr worden.“

Kaiserlich chinesischer Postfußbote.

Wir müssen jedoch den europäischen Boden verlassen, wenn wir die Post zu Fuß in ihrer höchsten Vollkommenheit schauen wolle. In der alten Welt bildete der Reiter stets den gefährlichen Konkurrenten des Fußboten und mußte auch bei Dienstleistungen auf weite Entfernungen über denselben naturgemäß den Sieg davontragen. Einer eigenartigen Kultur der Völker der neuen Welt, in der das Pferd unbekannt war, blieb es vorbehalten, die Post zu Fuß in wunderbarster Weise auszubilden. Abgeschlossen von jedem Weltverkehr lag das mächtige Reich der Inka und schuf sich dennoch eine Post, die bei den spanischen Entdeckern des Goldlandes Peru das größte Staunen hervorrief.[1] „Tschaskis“ („Umtauscher“) nannte man die dortigen Postläufer, die sich nicht allein durch ihre Schnellfüßigkeit, sondern auch durch unbestechliche Zuverlässigkeit hervorthaten. Ein nicht unbeträchtlicher Theil der Botschaften wurde mündlich durch sie befördert, und sie mußten auf das Strengste das Amtsgeheimniß bewahren, dessen Verletzung mit Todesstrafe geahndet wurde. An den vier großen Heerstraßen des Reiches waren in Abständen von ungefähr sechs Kilometer Posthäuser, kleine hölzerne mit Stroh gedeckte Gebäude, errichtet worden, welche den Tschaskis zur Herberge dienten. In Friedenszeiten lagen in jeder dieser Wachen vier, in Kriegszeiten acht, zehn und mehr von ihnen, da mindestens die Hälfte der Mannschaft bei Tage, wie bei Nacht bereit sein mußte, im gegebenen Augenblicke Dienst zu thun. Während zwei oder mehrere ruhten und schliefen, standen zwei, unverwandt nach dieser und jener Richtung die Straße überschauend, zu beiden Seiten des Häuschens, um des von nächster Poststation zu gebenden Feuerzeichens rechtzeitig ansichtig zu werden. Sowie Rauch aufstieg oder die Flamme aufleuchtete, zündete der, welcher das Zeichen gesehen hatte, unverzüglich einen stets bereit gehaltenen Holzstoß an, nun die nächste Postwache zu benachrichtigen. Dann lief er dem erwarteten Kameraden ein Stück Weges entgegen, um sich, noch bevor dieser sein Ziel erreichte, den mündlichen Auftrag mittheilen, das von ihm überbrachte Schnurenbündel[2] oder Gepäckstück einhändigen zu lassen. Beide liefen nunmehr im schnellsten Rennen so lange nebeneinander her, bis der Ablösende die ihm mitgetheilte Botschaft Wort für Wort auswendig gelernt hatte und ohne Anstoß wieder hersagen konnte. Nunmehr ließ er jenen zur Ruhe gelangen und eilte in gleichmäßig beschleunigtem Laufe dem nächsten Posthäuschen zu.

Bei Tage, wie bei Nacht, in den heißen Sandwüsten der Küste, wie auf den eisig kalten Hochebenen, in menschenleeren Einöden, wie in dicht bevölkerten Thälern warteten die Tschaskis ihres Dienstes mit solchem Fleiße, daß der Inka in seiner gegen 500 Kilometer vom Meere entlegenen Hauptstadt frische Seefische speisen konnte.

Mit diesen Worten schließt R. B. Brehm seinen interessanten Bericht über die größte Fußpost, welche jemals die Welt gesehen.

In dem Reiche Montezuma’s fanden die Spanier ähnliche Einrichtungen vor, mit dem Unterschiede, daß hier die Postläufer theatralischer auftraten. Hatten sie die mißliche Aufgabe, die Nachricht von einer verlorenen Schlacht zu überbringen, so ließen sie ihr Haar in Unordnung flattern und begaben sich, ohne auf dem Wege mit irgend Jemand ein Wort zu wechseln, in den Palast des Herrschers, dem sie, ähnlich wie die Boten der alten Pharaonen, ihre Botschaft knieend ausrichteten. War dagegen ein Sieg zu melden so trug der Bote das Haar mit rothen Bändern geknotet, die Lenden umkleidet mit weißen Linnen, in der Linken einen Schild, in der Rechten einen Degen, den er zum Zeichen des Triumphes in der Luft schwenkte.

Auf denselben Grundsätzen war auch in China, als Marco Polo im 13. Jahrhundert das Reich des Kublai Khan besuchte, die Nachrichtenpost organisirt, und auch dort brachten Postläufer dem großen Khan in Stunden frischgepflückte Früchte von Orten, die von seinem jeweiligen Wohnsitz 10 Tagereisen entfernt waren. Hier hat sich der Beförderungsdienst zu Fuß bis in die neueste Zeit erhalten, sodaß im ganzen weiten chinesischen Reich noch gegenwärtig der gesammte Verkehr der Staatspost sowie der Privat-Postanstalten durch Fußboten erledigt wird. Auf unserer Abbildung sehen wir den kaiserlich chinesischen Fußboten, wie er, Laterne und Schirm in beiden Händen haltend, seine Briefschaften in einem Bündel trägt, das mit einem um Brust und Schultern geschlungenen Tuch festgehalten wird. Eine am Bündel befestigte Schelle beweist, daß wir es mit einem amtlichen Briefträger zu thun haben, der durch dieses Abzeicheu seiner Würde zugleich sein Herannahen verkündigt.

  1. Vergl. „Das Inka-Reich“. Von Dr. med. Reinhold Bernhard Brehm. (Jena, Fr. Mauke’s Verlag. 1885.)
  2. Quipu, indianische Knotenbriefe.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_394.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2021)