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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Kap Palmas. Nach einer Originalskizze von Dr. Pechuel-Loesche.

Ein letztes Zusammentreffen mit Gustav Nachtigal.

Von Dr. Pechuel-Loesche.


Die Walfischbai, das einzige brauchbare Eingangsthor zu dem Hererolande in Südwestafrika, ist eine trostlose Gegend. Wer sie besucht, wird genügend vorbereitet auf das, was er in den periodisch verschmachtenden Hinterländern zu erwarten hat und lernt es im Voraus, die endlosen lockeren Gras- und Dornbuschbestände der Weideländer des Inneren, wenigstens um seiner armen unentbehrlichen Zugochsen willen, mit Befriedigung zu betrachten. Nichts ist in Sicht als Sand, Wasser, Himmel. Hinter einem von unserer rheinischen Mission errichteten Kirchlein liegt hart am Strande die Ansiedelung. Sie besteht aus einem Dutzend größtentheils eng an einander gedrängter, aus eingeführtem Holz und gewellten Blechen errichteter Baulichkeiten. Ihr Fundament ist künstlich erhöht, weil bei Springfluthen das Seewasser sie rings umfließt. An recht hellen Tagen erblickt man im Osten, jenseit der das Bett des periodischen Kuisibflusses abschließenden Dünen die gefürchtete Namib, die allmählich ansteigende Wüste, deren weite Ebenen hier und da von einem gerundeten Bergkopf durchbrochen werden.

Wenn die grauen Morgennebel verfliegen und die Sonne heiß niederzubrennen beginnt, treibt über dem fahlen Sande der in der Gluth zitternden Baifläche die Fata Morgana ihr wundersames Spiel und verwirrt die Sinne, indem sie Wasserspiegel hervorzaubert und den Gegenständen phantastische Formen verleiht. Dann aber erhebt sich der oft zu sturmähnlicher Stärke anschwellende Wind und füllt die Atmosphäre mit gespenstisch entlang ziehenden Staubmassen. Die schwereren Sandtheilchen fegt er in langen Streifen über die glatte Fläche, läßt sie in Haufen liegen, schüttet sie zu Dünen auf und lagert sie an den Gebäuden ab, sodaß die Bewohner sich wie bei Schneetreiben zeitweilig Bahn schaufeln müssen. Angenehm sind nur die frühesten Morgenstunden, während deren man sich bei Ebbe auf dem festen Strandboden ergehen kann; und manche Abende gewinnen einen hohen Reiz durch farbenprächtige Sonnenuntergänge.

So vergeht Tag um Tag, Jahr um Jahr an der Walfischbai. Der vorherrschend aus südlicher Richtung wehende kühle Wind kommt zur Abwechselung auch manchmal heiß und trocken aus Osten, seltener von Norden; zuweilen weichen die grauen Nebelschwaden tagelang nicht den Strahlen der Sonne, und vielleicht einmal im Jahre fallen Regentropfen.

Einförmig wie die Gegend ist das Thierleben. Ungeheure Flüge von Taucherenten ziehen über der Bai hin und wieder; vereinzelte Möven stoßen auf unvorsichtige Fische; gravitätische Flamingos waten in Reihen an flachen Stellen umher und erfüllen die Luft mit ihrem Geschrei, daß man glaubt, eine heimathliche Gänseherde sei in der Nähe.

Anfangs November des vergangenen Jahres waren wir, meine Frau, unser landeskundiger Reisebegleiter Herr Kleinschmidt und ich, nach monatelanger Fahrt durch die großartigen Einöden des Hererolandes wieder an unserem Ausgangspunkte, der Walfischbai, angelangt. Müde, ausgehungert und verschmachtet standen und lagen unsere bedauernswerthen Ochsen hinter der Häusergruppe und ließen sich als erfahrene Zugthiere nicht mehr, wie so oft die Neulinge aus dem Innern, durch die glitzernde Fluth verlocken, ihren Durst mit Seewasser löschen zu wollen. Siebzehn Stunden lang auf Tod und Leben mechanisch vorwärts schreitend, hatten sie die schweren Wagen über die letzte schlimmste Strecke des wüsten Küstenstriches bis zum Meere geschleppt. Nun stand ihnen die größere Aufgabe bevor, nach kurzer Rast abermals denselben Weg bergauf und dann mindestens noch eine Tagereise zurückzulegen, ehe sie sich wieder einmal annähernd sättigen konnten. Aber nicht alle sollten diese schwere Prüfung überstehen. Bereits an der Bai erlagen die stattlichen Leitochsen von dem Vierzehngespann des Wagens meiner Frau dem letzten Gewaltmarsch; nachdem sie ihre Aufgabe gelöst, uns wieder zum Atlantischen Ocean gebracht hatten, verendeten sie an Entkräftung. Ihre Schädel mit den schön geschweiften Gehörnen nahmen wir zum Andenken mit uns.

Zwei Schiffe, ein in diesem verlassenen Erdenwinkel überaus seltener Anblik, lagen in der Bai und boten uns Gelegenheit, sogleich nach Kapstadt weiterzusegeln. Da wir jedoch mit Kapitän Jensen, dem Führer der vornehmlich den Verkehr unterhaltenden und wiederum fälligen kleinen Brigantine „Louis Alfred“, die Heimreise bereits während der Herfahrt vereinbart hatten, blieben wir zurück. In den uns freundlich überlassenen Nebenräumen des Kirchleins, wo wir oft den wirklich anerkennenswerthen Gesangsleistungen der Zöglinge des Herrn Missionärs Böhm lauschten, richteten wir uns behaglich ein und verlebten unsere Tage in angenehmem Verkehr mit den deutschen, englischen und schwedischen Einsiedlern an der Bai. Nach zwei Wochen tauchten endlich die wohlbekannten Segel des „Louis Alfred“ am westlichen Horizonte auf, und bald begrüßte uns wieder Kapitän Jensen und seine vielsprachige junge Gattin. Die Abfahrt des Schiffes war in Kapstadt verzögert worden, weil es den Regierungs-Kommissar Mr. W. C. Palgrave, der in besonderer Mission zu Maharero, dem Oberhäuptling der Herero, entsendet wurde, aufzunehmen hatte.

Unsere Freude über die Befreiung aus einer, wenn auch angenehmen, so doch unvorhergesehenen Gefangenschaft sollte noch in anderer Weise vergrößert werden: wir sollten noch den Generalkonsul und Kommissar des Deutschen Reiches, Dr. Gustav Nachtigal, an der Walfischbai mit frohem Händedruck bewillkommnen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_378.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)