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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 23.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Trudchens Heirath.

Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Es schlug acht Uhr. Verschiedene Herren zu Fuß waren längst vor dem Hôtel angekommen, dann auch Damen, und nun rollte der erste Wagen mit Ballgästen heran, zierliche Füßchen schlüpften über das Trittbrett und helle Seide rauschte. Ein Gefährt löste das andere ab; jetzt eine elegante Equipage mit prächtigen Eisenschimmeln, eine leichte reizende Frauengestalt in hellblauem spitzenüberflutheten Gewande bog sich vor und silberhelles Lachen schallte in Linden’s Ohr. „Frau Fredrich!“ hörte er im Publikum murmeln, das sich schaulustig hinter ihm aus so und soviel Kindern, Weibern und Dienstmädchen um die Hôteltreppe versammelt hatte.

„Also ihre Schwester!“

Wie eine liebliche Fee schwebte die junge blonde Frau die Treppe empor, gefolgt von dem Gatten in tadellosem schwarzen Frack, der ihr Fächer und Bouquet nachtrug.

Das Gespann rasselte über den Markt zurück, um in weniger als fünf Minuten wiederzukehren.

„Trudchen!“ flüsterte Linden und zog sich unwillkürlich etwas mehr in den Schatten zurück. Eine kleine volle Dame in lichtgrauer Toilette entstieg dem Wagen – dann war sie hinausgeglitten und stand hinter der Mutter, schlank und leicht, in schimmernd weißem, seidenem Gewand, die schönen Schultern leicht verhüllt, und in der Hand einen wohlbekannten Strauß blasser Rosen. Aber das war nicht das Mädchen von vorhin! Der kleine Kopf hatte sich etwas in den Nacken gebogen, als zöge der schwere lichtbraune Haarknoten ihn zurück, und ein Ausdruck von stolzer Kälte lag über dem klaren Gesicht, den er vorhin nicht bemerkt. Zwei Herren stürzten den Damen entgegen; der Erstere bot galant der Mutter den Arm, der Andere näherte sich dem jungen Mädchen; mit unnachahmlich stolzer Gebärde dankte sie, kaum die Fingerspitze auf seinen Arm legend; dann, wie ein holder Spuk, war es verschwunden, das Bild, das er mit durstigen Augen umfaßt hielt.

Aber nun bemächtigte sich seiner eine fast übermüthige Stimmung. Einer dürftig aussehenden Frau, die mit einem elenden Kinde im Arm gerade vor ihm stand, schenkte er ein Fünfmarkstück, und dem alten Sommerfeld, seinem Kutscher, ließ er einen Pokal Glühwein bringen, so groß, daß der Alte sichtlich davor erschrak; „wenn wir man gut nach Haus kommen!“ meinte er bedenklich.

„Rein närrisch!“ gestand Linden sich selbst. Und als einen Augenblick darauf sein Wagen vorfuhr und zugleich die Klänge eines Strauß’schen Walzers an sein Ohr schlugen, begann er die Melodie der „Rosen aus dem Süden“ mitzusingen. Dann rasselte das Gefährt über den Marktplatz auf die finstere Landstraße hinaus, und rascher als sonst war er in seinem stillen Zimmer daheim, und tausend anmuthige Gedanken mit ihm. –

Zu Niendorf im Herrenhause gab es ein Zimmer, darinnen blühten Rosen in Fülle; nicht nur die in den Scherben zwischen den Doppelfenstern oder auf dem Blumenbrette vor den Scheiben, je nachdem die Jahreszeit es gebot, auch im Stübchen selbst rankten sich Tausende der schönsten Erdenblumen um Bilder und Meubel. Es machte einen

Gustav Nachtigal.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_369.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2020)