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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Der hochgewachsene, breitschulterige Müllerssohn aus dem Morbihan mit seinem offenen, bäurischgesund-rothbackigen Gesicht macht auch im Untersuchungsverhör auf der Polizeipräfektur, wie später vor Gericht, von allen seinen Komplottgenossen die beste Figur. Statt sich wie Moreau auf’s Lügen und Leugnen zu verlegen, ging er freisam mit der Sprache heraus und man merkte, daß diese der energische Ausdruck einer felsenfesten Ueberzeugung sei. „Warum kommen Sie nach Paris?“ – „„Um den Ersten Konsul anzufallen.““ – „Womit?“ – „„Mit offener Gewalt.““ – „Was beabsichtigten Sie und Ihre Mitverschworenen weiter?“ – „„An die Stelle des Ersten Konsuls einen Bourbon zu setzen.““ – „Was für einen?“ – „„Ludwig den Achtzehnten.““ – „Welche Rolle sollten Sie bei dem beabsichtigten Angriff auf den Ersten Konsul spielen?“ – „„Die Rolle, welche mir einer der französischen Prinzen, der dabei sein sollte, zuweisen würde.““ – „Also in Uebereinkunft mit den ci-devant französische Prinzen ist der Attentatsplan entworfen worden und so sollte er auch zur Ausführung kommen?“ – „„Ja.““ – „Sie haben sich mit den ci-devant französischen Prinzen in England verabredet?“ – „„Ja.““ („Procès instruit“ etc. II, 79, 83.)

Man sieht, Georges sprach ganz offen und bestimmt, als ein Mann, welcher nicht mit einer Unwahrheit auf den Lippen dem Tod entgegengehen wollte, der ihm, wie er wußte, unbedingt gewiß war. Ebenso bestimmt aber verweigerte er jede Auskunft über seine Verstecke und Herberger, sowie über seine Mitverschworenen. „Ich will die Zahl der Opfer nicht vermehren,“ sagte er; „es sind ihrer ohnehin genug.“ De Rivière und die Polignacs suchten ihre Geständnisse, zu welchen sie sich doch auch herbeilassen mußten, mittels allerhand Ausflüchten und Verklausirungen möglichst abzuschwächen und zu verdünnen.

Als Summe aller von den verhafteten Verschwörern erwirkten Bekenntnisse konnte die Regierung die unbezweifelbare, deutlich sichtbare, handgreifliche Thatsache eines bourbonischen Mord- und Umsturzkomplotts vor die öffentliche Meinung hinstellen.

Jetzt hörten die Pariser auf, zu witzeln und hohnzulächeln. Das ging ihnen doch über den Spaß.

(Schluß folgt.)     




Das Paznaunerthal.

Mit Illustrationen aus dem Skizzenbuche von0 Mathias Schmid.
II.
(Schluß.)


Das Fluchthorn.

An den hübschen Weilern Vergreß und Versall vorbei wandern wir das Sträßchen, das bald hinab zur Thalsohle, dann wieder in ziemlich starker Steigung aufwärts führt. Ein steter Wechsel der Scenerie bietet sich hier dem Auge dar. Nie wird die Landschaft monoton; bei jeder Biegung zeigen sich dem Blicke neue Bilder, die das Auge entzücken. In wunderbarem Kontraste wechseln großartige Hochgebirgsbilder mit Ansichten voll einfacher Anmuth. Hier liegen auf grüner Halde eng an einander gedrängt die braunen Hütten eines malerischen Dörfchens, über dem sich der ernste Bannwald erhebt, es schützend vor den Unbilden und Gefahren der wilden Hochlandsnatur.

Im Abendlichte erglänzen die hohen Gipfel der das Thal scheinbar abschließenden Bodemer- und Rothwandspitze; in rosige Gluth getaucht leuchtet die mächtige Valülla, deren kahle Schrofen schon hinter Kappl sichtbar werden. Die Seele voll von den Eindrücken, welche die wunderbaren Naturschönheiten in uns hervorriefen, erreichen wir endlich den Hauptort des Thales, das idyllische Ischgl, dessen schlanker, grüner Kirchthurm uns schon längst entgegenwinkte, und das auf einer vordringenden, im Laufe der Jahrhunderte von dichtem Rasen überzogenen einstigen Gletschermoräne liegt. Behauptet doch Ludwig Steub, der emsige Forscher auf etymologischem Gebiete, der Name Ischgl stamme von Insula, und in der That macht die Beschaffenheit des hier ansehnlich breiten Thales den Eindruck eines ehemaligen Seebeckens. Ischgl macht mit seinen aus Stein erbauten Häusern mit den wuchtigen Dächern einen sehr behäbigen Eindruck, und vor Jahren, als noch die Saumrosse den Verkehr mit dem benachbarten Engadin vermittelten, saßen hier reiche Handelsherren, die aber fortzogen, als sich dem Handel und Verkehr bessere Wege erschlossen. Jetzt ist dem rührigen Völkchen von Ischgl nur noch der Viehhandel verblieben, um den sich auch alle Interessen nicht blos Ischgls, sondern des ganzen Paznauns drehen, da er fast die ganze Einnahmsquelle bildet.

Ischgl verspricht in Zukunft, wenn erst eine bessere Straße hergestellt ist, ein reizender Sommerfrischort zu werden, wozu es durch seine außerordentlich schöne Lage und die wunderbar reine und kräftige Luft sich eignet. Auch für gute Unterkunft ist – bei bescheidenen Ansprüchen – in den drei Gasthäusern, deren Besitzer wetteifern, den Wünschen ihrer Gäste nach Thunlichkeit gerecht zu werden, bestens gesorgt. Wie anheimelnd sind die zierlich getäfelten, mit altväterlichem Hausrathe geschmückten Zimmer auf der „Post“, von deren Fenstern man eine herrliche Aussicht genießt! Ischgl ist auch besonders als Standquartier geeignet, um von hier aus Partien durch das Fimberthal auf das Fluchthorn, in die Jamthalergletscher, Valüllaspitze etc. zu unternehmen, was namentlich die Engländer thun, denn es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß das in Deutschland fast unbekannte Paznaun von Engländern schon längst besucht wird.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_363.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2020)