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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Mathias Schmid’s Geburtshaus im Dorfe See.

milchweißen Wasserfällen so viel zur Verschönerung des Thales beitragen, zu verheerenden Wildbächen anschwellen, Häuser wegreißend und üppige Wiesen und fruchtbare Felder mit Schlamm und Steinen bedeckend, sodaß die Thalbewohner im spät eintretenden Frühling mühsam ihre Aecker säubern und das zu Thal geschwemmte Erdreich im Rückkorbe wieder bergan tragen müssen; oder wenn im endlos langen Winter Alles unter metertiefem Schnee begraben liegt, jeder Verkehr gehemmt ist und der Donner der Lawinen die Menschen aus dem Schlafe schreckt – dann begreift man wohl, warum die Paznauner so kühl bleiben beim Lobe ihres Heimaththales und fragen, was denn hier Schönes zu finden sei, es sei doch ein so „laads“ (unschönes) Thal. Der Landmann beurtheilt eben die Schönheit einer Gegend nicht nach ihren landschaftlichen Reizen, sondern nach dem Erträgniß, das ihm Grund und Boden gewähren, und damit ist es im Paznaun nicht am besten bestellt; müssen doch fast alle Lebensmittel, selbst Getreide und Mehl, hineingetragen werden. Ueberdies sind vielleicht im ganzen Thale nicht hundert Häuser zu finden, die auf vollständig lawinensicheren Plätzen stehen. Besonders gefürchtet ist der über einen Kilometer breite Lawinenzug hinter Ullmich mit dem ominösen Namen „Zum todten Mann“. Ein Luftzug, der Ruf eines Menschen, der Pfiff einer Gemse kann die Ursache sein, daß die Lawine plötzlich mit Donnergetöse auf der Jochhöhe losbricht. Der ungeheuere Luftdruck wirft mit unwiderstehlicher Gewalt ganze Strecken des schönsten Waldes nieder, knickt die stärksten Bäume wie schwaches Rohr – selbst auf weite Entfernungen erzittern die Häuser und dringt der feine Schneestaub durch die kleinste Ritze. Wehe Dem, den die Lawine plötzlich überrascht, er ist rettungslos verloren! Wenn sie, wie das in langen, strengen Wintern sich ereignet, mit ihrem Schnee die ganze Breite des Thales ausfüllt, sodaß selbst die Trisanna in ihrem Laufe gehemmt ist, bis sie sich gewaltsam wieder Bahn bricht, so ist oft wochen-, ja monatelang für das einzige Fuhrwerk des Thales, den kleinen, nur von einem Pferde gezogenen Postkarren von Ischgl, die Straße versperrt und die Post muß zu Fuß mittelst Rückkorb befördert werden.

(Schluß folgt.) 

Unter der Ehrenpforte.

Von Sophie Junghans.
(Schluß.)


Wenige Worte des fürstlichen Herrn hatten genügt, um die Dame an seiner Seite von der Idee, die ihm so plötzlich gekommen war, hinreichend zu verständigen, denn die Gräfin Sabine faßte rasch und wußte sich besonders ganz wunderbar dem Manne anzubequemen, dem sie gefallen wollte. Sie trat lächelnd vor; dabei aber hatte sie die Rechte um die Schultern ihres Stiefsohnes gelegt, den sie die ganze Zeit über so recht mütterlich dicht neben sich gehalten hatte. Die kluge Frau wußte sehr wohl, daß sie damit den Leuten ein Vergnügen bereite, doch war es wohl das nicht allein: die Kinderlose hatte von Anfang an ihre Herzensfreude an dem schönen Jungen gehabt, und dieser vergalt ihr das durch zutrauliche Anhänglichkeit.

Jetzt trat er, an sie geschmiegt, mit vor, und dadurch kam es der Fürstin, welche gerade die festliche Oeffentlichkeit solcher Scenen als ein ihr zusagendes und vertrautes Element vollkommen beherrschte, in den Sinn, der Sache noch eine besondere anmuthige Wendung zu geben. Sie löste sanft den Arm, welchen der Knabe ihr um den Leib gelegt hatte, und indem sie ihn, die Hand noch immer auf seiner Schulter, ein wenig vorschob, sagte sie vernehmlich mit ihrer klaren wohltönenden Stimme:

„Wie wär’s, kleiner Heinz, wenn Du heute einmal für uns den Freiwerber machtest? Laß sehen, ob Du klug genug bist, ein gar lustiges Räthsel zu errathen! Hier ganz in unserer Nähe stehen zwei, die sich längst lieb haben, doch fanden sie sich bisher nicht zusammen. Die suche Du mir heraus – ein kleiner Landgraf muß das können – und laß sie sich fest bei den Händen halten. Dann wollen Dein Herr Vater und ich ihnen gleich morgen den Weg zum Altare zeigen!“

Alles horchte auf: ein lächelndes Staunen trat auf den meisten Gesichtern hervor. Der Landgraf stand und strich sich behaglich das Kinn; etwas bedenklicher, aber gefaßt, als ein kluger Mann, auf Alles, was der wunderliche Tag bringen mochte, hielt sich der Doktor Tiedemars ein wenig hinter ihm. Die schöne Frau hatte sich indessen lächelnd zu dem Ohr des Knaben niedergebeugt und ihm etwas zugeflüstert, und es muß gesagt sein, daß dies Souffliren mehrere allzu gespannte Gemüther merklich beruhigte. Da war der kleine Fürst vorgetreten, über und über roth, aber mit einer sichern Art, die männiglich merken ließ, daß er einer solchen Rolle in einem öffentlichen Schauspiel wohl gewachsen sei, und hatte den seitwärts ganz in der Nähe stehenden Georg Tiedemars freundlich bei der Hand ergriffen. Ein rascher Blick auf die Eltern zeigte ihm, daß er den richtigen Mann habe; zugleich ging es wie ein frohes beifälliges Gemurmel unten durch die Menge.

Mit Georg, der kaum wußte, wie ihm geschah, und, wie manche bemerken wollten, ein gespanntes, aber durchaus kein freudiges Antlitz zeigte, trat der Knabe nun vor den bunten Kranz der Jungfrauen hin. Auch hier mußte er seiner Sache gewiß sein; hatte es doch die fürstliche Mutter an einem verständlichen Wink nicht fehlen lassen. Warum aber stockte er plötzlich – warum verflossen zwei, drei Sekunden, und wieder und wieder eine – so viele, daß die wunderlichsten Vermuthungen Zeit fanden, sich in den Köpfen der Zuschauer zu kreuzen – während Rosinens Herz, die ja ihr Glück näher und näher kommend wußte, indessen zum Zerspringen schlug!

Wie es in Augenblicken der Erregung ihre Gewohnheit war, hatte Rosine, da der kleine Fürst mit Georg herantrat, in einer Art von verstellter Gleichgültigkeit den Kopf gehängt und das Kinn auf den Busen sinken lassen. Schon eine Weile war es her, daß sie noch rasch den letzten Blick unter gesenkten Lidern hervorgeschossen hatte. Der Knabe hatte wohl zu wissen geglaubt, wer gemeint sei; als er aber jetzt von der hübschen Dirne nichts als eine vorgeneigte Stirn sah, als kein Blick von ihr ihm und dem, den er brachte, entgegen kam, da wurde er wieder unsicher.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_348.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2024)