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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Eine schwere goldne Kette hatte er jetzt, da die Ueberreichung der Geschenke zu Ende war, vom Halse genommen und sie mit einem gnädigen Worte dem Bürgermeister umgehängt, zu der andern, von der kaiserlich römischen Majestät selber empfangenen, welche der Doktor schon über dem schwarzsammetnen Festwams trug. Den ehrerbietigen Dank des Bürgermeisters wehrte er kurz ab, mit den halblauten Worten: „Wir sind noch immer tief in Deiner Schuld, Jakob Tiedemars, aber wir wollen’s wett machen.“

Die Hand auf des Bürgermeisters Schulter gestützt, stand er da und ließ den Blick über das festliche Gedränge gleiten. Da blieb derselbe an einer jugendlichen Gestalt ganz vorne an den Stufen haften, der eines schlanken jungen Mannes, welchem die reiche Festtracht überaus wohl stand, wenn nur der Ausdruck des hübschen Gesichtes ein wenig besser dazu gepaßt hätte.

Mit rascher Frage wandte sich der Landgraf an den Bürgermeister; dieser bejahte und nun sah man alsbald den jungen Mann nach verwundertem Aufblick die wenigen Stufen ersteigen und erröthend vor dem fürstlichen Paare stehen.

Gar gütig begrüßte die Gräfin Sabine den Sohn des Bürgermeisters, denn dieser war es, welchen ihr Gemahl eben vor sie hin gewinkt hatte. Ihre muntern Augen hingen mit unverhohlenem Wohlgefallen an dem jungen Manne, während sie einige Fragen an ihn richtete. „Nur Eure eignen Augen, Herr, dürften festlustiger und minder ernsthaft dreinschauen,“ hatte sie eben neckend gesagt, als der fürstliche Gemahl sich mit leiser Rede an sie wendete.

Sie horchte lächelnd auf; Georg war indessen geziemend wieder zur Seite getreten. Dem Landgrafen war ein Gedanke gekommen. Mit kurzen Worten verständigte er die Dame, und auch ihr mochte die Sache nicht übel scheinen. Ihr Gemahl hatte ihre Aufmerksamkeit auf die ganz in der Nähe noch weilenden Jungfrauen gelenkt. Dort befand sich diejenige, welche der Bürgermeister dem Landgrafen auf seine Frage als die von den Eltern dem Sohne bestimmte Braut gezeigt hatte.

Nun traf es sich, daß dort allerdings Rosinchen Külwetter recht vorne an stand. Sie hatte diesen in die Augen fallenden Platz die ganze Zeit über tapfer behauptet, sogar mit einigen verstohlenen Ellbogenstößen nach hinten, die dem rosigen Jungfräulein gewiß Keiner von all den Vielen, welche sie heute bewundernd betrachteten, zugetraut hätte. Sie war aber auch gar zu reizend und appetitlich anzusehen in dem Festkleide von granatfarbenem Atlas mit weißseidenen Puffen, und aus der klaren Spitzenkrause hob sich die runde, feste Kehle und das apfelartige Angesicht mit solcher Frische und solchem Schmelz hervor, daß man hätte hinein beißen mögen, wie unter den Zuschauern auf der Gasse ein Alter mit wässerndem Munde behauptete.

Lag nun um die frischen, aber ein wenig zu fest aufeinander gepreßten Lippen ein gewisser Zug, der bei näherer Betrachtung zum „Anbeißen“ doch nicht gerade ermuthigte, so galt dieser nicht der allzu dreisten Bewunderung der Menge, sondern einzig und allein der Nachbarschaft, in welche Zufall oder Fügung Rosinen nun schon Stunden lang versetzte. Sie war nämlich, wie es sich traf, als Gräfin Sabine sie und ihre Genossinnen zur Seite winkte, hart neben die Tochter des Meister Lukas zu stehen gekommen.

Wer es hätte wissen können, wie Haß und Grimm im Busen Rosinens wühlten! und wie die Gluth auf ihren Wangen, welche sie noch schöner machte, da sie einen ihrer Hauptreize, den Farbenschmelz des Angesichts, erhöhte, eigentlich nur die Röthe des Aergers war! Ein Trost nur freilich, daß Rosinchen keinen Augenblick das Bewußtsein davon verlor, wie gut ihr die Purpurwangen standen. Und wenn ihr Bürgerhochmuth sich krümmte unter der Zufallstücke, die sie hier mit der von ihr so gering Geachteten auf eine Stufe stellte und sie und jene Stunden lang für das Volk zum selben Schauspiel vereinte, so kam es Rosinen während der ganzen Zeit doch kein einziges Mal in den Sinn, es könne Antlitz und Gestalt jener Andern neben ihr auch nur irgend einen Anspruch auf Beachtung erheben.

Und doch gab es unter den Zuschauern wenn nicht viele, so doch immerhin einzelne und nicht die schlechtesten Kenner, welche ganz anders dachten. Denn nicht nur daß die Festtracht der Brabanterinnen in ihrer strengen Eigenthümlichkeit etwas sehr Stattliches hatte – es konnte auch eine so edle, ebenmäßige Gestalt wie die Hildens in diesem für sie wenigstens kleidsamen Schmucke nicht anders als manchen staunenden Blick auf sich ziehen. Helle, heitere Farben freilich verbannte der ernste Sinn der kleinen Gemeinde, dem Eindruck aber, welchen Hildens stolz getragene Gestalt zu machen fähig war, that dies keinen Abbruch. Ja, man hätte sagen können, daß sie sogar neben der glänzenden Fürstin noch fürstlich aussehe in dem dunkeln Gewand von schwerem Stoffe und entsprechend reichem Schnitt; und ganz eigen und reizvoll erschien das klare Oval ihres Gesichts unter der schleierartig um Stirn und Wangen und über den Nacken niederfallenden Spitzenhaube, die von festanliegenden Silberplatten an den Schläfen gehalten wurde. Es war dies ein Schmuck, der die wunderschöne Form des für ihre schlanke Höhe kleinen Kopfes bei Hilden noch besonders hervorhob.

Wie dem auch sei, und ob auch dies Alles Vorzüge waren, welche nur dem feinern Auge auffielen – Einen gab es, der sie mit den Blicken nicht nur, der sie mit allen Sinnen empfand, und den sie gleichsam auf allen Punkten seines schmerzhaft empfänglichen Wesens reizten und verwundeten. Georg hatte diese ganze lange Zeit hindurch fast unbeweglich unten auf der Gasse, hart an den Stufen der Estrade, gestanden, wo er Hilden sowohl wie Rosinen etwas über sich und gerade gegenüber hatte. Er wollte leiden, heute noch ein Mal, mit ganzer Seele … er sog den Anblick der Geliebten in sich hinein unter schmerzlichem Genießen, etwa wie der Büßer, der den mystischen Rosenstrauch fest an sein Herz drückt, sodaß der Duft ihn fast berauscht, während zu gleicher Zeit die Dornen ihn zerfleischen.

Und wunderbar war es, wie in all dieser Menge etwas wie ein geheimer Zauber diese Beiden aussonderte, so daß sie eigentlich nur für einander da waren. Denn auch Hilde lebte während dieser Stunden allein im Empfinden der Nähe des Geliebten. Sie wurden nicht inne, wie die Zeit verging, noch achteten sie groß auf das glänzende Schauspiel vor ihnen, als sich die Scenen desselben lästig in den Raum zwischen sie und ihre Blicke drängten. Und von Blick zu Blick lebten sie nur. Auch Hilde, von dem erhöhten Daseinsgefühl dieses Tages getragen, gab sich willig in den Bann und tauchte wieder und wieder ihre schönen Augen wie zum Abschied sehnsüchtig tief in die heißen Jünglingsaugen, die sie immer dieses Blickes wartend fand. Ihr war zu Muthe, als möge noch heute kommen was da wolle; als dürfe sie an diesem einzigen Tage aus dem schäumenden Lebenskelche sich satt trinken, süßes Weh und bittere Lust, genug für ein Leben lang.

Bei all diesem konnte es geschehen, daß Rosine, die, wie gesagt, ganz nahe an Hilden stand und sich für das Ziel so vieler Blicke halten durfte, auch die beharrliche stumme Huldigung des hübschen Bürgermeistersohnes unten an den Stufen im Stillen auf ihr Theil setzte. Ihr Herz klopfte unter dem Atlasmieder und den kostbaren Spangen aufs neue höher auf in einer Hoffnung, die sie zuvor noch keineswegs ganz aufgegeben hatte. Zur selben Zeit aber achtete sie scharf auf Alles, was um sie her vorging, denn Rosine war nicht dazu gemacht, in Selbstvergessenheit zu versinken, selbst wenn ein Liebhaber im Spiele war. Und zugleich hatte sie die Gabe, unter gesenkten Lidern hervor mehr zu sehen als andere, wenn sie die Augen umher warfen.

Von den Mienen und Blicken, mit welchen das fürstliche Paar nach der Ansprache der Gräfin an Georg seine leise Wechselrede begleitete, war ihr nichts entgangen. Sie sah, wie das Auge des Landgrafen in ihrer Nähe suchte, sie aussonderte, wie er die Aufmerksamkeit der hohen Frau eben dahin richtete, und mit einem Male, unter stürmischem Herzklopfen, begriff Rosinchen, was der Fürst vorhatte. Wir wissen ja, daß in Allem, was sie selber betraf, ihr Verstand eine besondere Schärfe besaß. Blitzschnell reimte sie sich Alles in Gedanken zusammen. Der Landgraf wollte vor der ganzen Stadt dem Bürgermeister einen glänzenden Beweis seines Wohlwollens geben … Er hatte von der zwischen seinem und dem Hause Külwetter geplanten Verbindung gehört, und nun dachte er die Familie Tiedemars, die ihre und damit zugleich die ganze Bürgerschaft zu ehren, indem er die zwei ansehnlichen Stadtkinder hier auf der Stelle zusammen gab, und das bürgerliche Familienfest dadurch, daß er es mit seinem Feste gewissermaßen vereinte, aufs glänzendste zu erhöhen.

So ungefähr ahnte, bebte, hoffte die schöne Rosine, und wir wissen, daß sie das Vorhaben des Landgrafen ganz richtig deutete. Nun stand sie pochenden Herzens und harrte der weitern Entwicklung der Dinge. Und diese ließ nicht lange auf sich warten.

(Schluß folgt.)

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