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einen Augenblick unschlüssig stehen bleibend, entdeckte er den großen chinesischen Gong, der an einer von zwei gabelförmigen Stangen getragenen Brechstange hing.

‚Was ist das?‘ fragte er, auf den Gong zeigend.

‚Ein Fetisch,‘ erwiderte ich bedeutungsvoll.

Sein Sohn Endjeli, der weit gewitzigter zu sein schien als der Häuptling, flüsterte diesem zu, er glaube, es sei das eine Glocke, worauf Ngaljema rief:

‚Bula-Matari, schlage dies; laß mich es hören.‘

‚O Ngaljema, ich darf nicht; es ist der Kriegsfetisch!‘

‚Nein, nein,‘ erklärte er ungeduldig. ‚Schlage es, Bula-Matari, damit ich den Klang höre.‘

‚Ich darf nicht, Ngaljema. Es ist das Zeichen zum Kriege. Es ist der Fetisch, der die bewaffneten Männer herbeiruft; es würde zu schlimm sein.‘

‚Nein, nein, nein! Ich fordere Dich auf zu schlagen. Schlage es, Bula-Matari,‘ wiederholte er nochmals, in kindischer Ungeduld mit dem Fuße stampfend.

‚Gut denn,‘ entgegnete ich, den Klöppel in die Hand nehmend. ‚Aber bedenke, daß es ein böser Fetisch, der Fetisch des Krieges ist.‘ Und während ich den Schlägel hoch hob, fragte ich nochmals: ‚Soll ich jetzt schlagen?‘

‚Schlage, ich sage Dir, schlage!‘

Mit aller Kraft schlug ich auf den Gong; der laute glockenähnliche Ton klang bei dem allgemeinen Schweigen, welches während unserer Unterredung unter den aufmerksamen Begleitern Ngaljema’s und auf dem ganzen Schauplatze herrschte, schon äußerst beunruhigend; aber als die rasch auf einander folgenden Schläge auf den Gong fielen, glaubten sie den Donner zu hören. Noch hatten sie sich nicht von ihrer ersten Ueberraschung erholt, als sie Menschengestalten über den gerade über ihrem Kopfe befindlichen Bord des ‚En Avant‘ springen sahen, aus meinem Zelte das Kriegsgeschrei in ihr Ohr schallte und in der schwarzen Schlucht hinter ihnen ein Strom wüthender Wahnsinniger aus dem Erdboden hervorzudringen schien. Das Vorrathszelt war in heftiger Bewegung und stürzte schließlich zusammen, und aus dem Innern sprang eine Horde Dämonen heraus, einer noch wilder als der andere. Die einzelnen trägen, verschlafenen Männer wurden zu Wütherichen, aus allen Hütten, unter den Schlafstellen strömten die bewaffneten Krieger hervor, sodaß die von panischem Schrecken ergriffenen Eingeborenen glaubten, Himmel und Erde seien in Bewegung gesetzt, um die beständig zunehmende Zahl der bewaffneten Krieger noch zu vermehren. Alle anwesenden Eingeborenen, ob Freund ob Feind, verloren vor dieser fürchterlichen Scene die Fassung, die noch sitzenden Krieger ließen ihre Gewehre im Stich, sprangen auf und ergriffen vor dieser seltsamen Sündfluth die Flucht, die Munitionsträger warfen ihre Flaschen fort, sodaß dieselben zerbrachen und das Pulver und die Metallstückchen über den Erdboden zerstreut wurden, und Ngaljema stand stumm und starr, wie vom Schlage getroffen. Ihn beim Arm fassend, sagte ich sanft zu ihm:

‚Fürchte Dich nicht, Ngaljema. Bedenke, daß Bula-Matari Dein Bruder ist. Stelle Dich hinter mich, ich werde Dich schützen!‘

Vor mir schrieen und wütheten die Sansibarer, indem sie mit gellendem Kreischen ausriefen:

‚Ha, ha, Ngaljema! Du bist gekommen, um mit Bula-Matari zu kämpfen. Wo sind Deine Krieger, Ngaljema?‘

Unbarmherzige, blutdürstige Wuth könnte kaum natürlicher dargestellt werden, als wie es von meinen schwarzen Schauspielern bei dieser so plötzlich improvisirten Scene geschah. Ihre scheinbare Raserei streifte fast an Wirklichkeit, und wäre ich nicht in das Geheimniß eingeweiht gewesen, so würde auch ich mich haben täuschen lassen; die Tapferkeit, mit welcher ich meinen armen Bruder vertheidigte, der mich mit beiden Händen um den Leib gefaßt hielt und von einer Seite zur andern tanzte, um den wüthenden Streichen der wie Wahnsinnige ausschauenden Krieger zu entgehen, während der junge Endjeli sich an seinem Vater festhielt und dessen Bewegungen mitmachte, erinnerte mich an das längst vergessene Spiel ‚Henne und Küchlein‘, mit welchem wir in der Schule die Freistunden hinzubringen pflegten.

‚Rette mich, Bula-Matari, laß sie mir nichts thun!‘ schrie Ngaljema. ‚Ich habe keine böse Absicht gehabt.‘

‚Halte Dich fest, Ngaljema; halte Dich gut an mir fest. Ich werde Dich vertheidigen, fürchte nichts! Kommt nun, kommt alle! Ah, ha!‘

Das Lager war fast leer von unsern Besuchern, welche größtentheils die Munition zurückgelassen und die Gewehre über den Boden verstreut hatten. Die Posse war ausgezeichnet zu Ende gespielt worden.

‚Genug, Leute; stellt Euch auf und Stillgestanden!‘ schrieen Susi und die andern Aufseher, und die gehorsamen, gut einexercirten Burschen kamen sofort zusammen und stellten sich mit der Präcision alter gedienter Soldaten mit ‚Gewehr über‘ auf. Als Ngaljema dann, von diesem neuen Schauspiel und der veränderten Scene aufs höchste überrascht, mich los und die Arme sinken ließ, faßte ich ihn bei der Hand und fragte mit gewinnendem Lächeln:

‚Nun, Ngaljema, wie denkst Du jetzt über den Fetisch des weißen Mannes?‘

‚O, ich habe mich nicht gefürchtet; glaubst Du das? Sieh, meine Leute sind alle davongelaufen. O, die Feigen! Nur Endjeli und Gantschu sind bei mir geblieben. Aber sage mir, Bula-Matari, woher sind alle diese Leute gekommen?‘

‚O, das ist der böse Fetisch, von dem ich Dir gesagt habe. Willst Du noch mehr sehen? Komm, ich will den Gong nochmals schlagen, vielleicht ist die nächste Scene noch wunderbarer als die erste.‘

‚Nein!‘ kreischte er und legte die Hand auf meinen Arm. ‚Nein, nein, berühre es nicht. O, das ist gewiß ein böser Fetisch,‘ fügte er ernsthaft hinzu, die runde unschuldige Oberfläche des Gongs mit Kopfschütteln betrachtend.

‚Nun, blicke nochmals jene Leute an, Ngaljema,‘ sagte ich, auf die lächelnden Gesichter meiner Arbeitersoldaten deutend.

‚Achtung! Augen rechts! Vorwärts marsch, Ihr Alle, und ruhig, kein Geräusch; legt Eure Gewehre fort und gehe Jeder wieder an seine Arbeit. Vorwärts marsch!‘ Damit setzte sich die Truppe in Bewegung und verschwand; Ngaljema begann wieder Muth zu fassen und Endjeli und Gantschu schrieen und riefen, die Flüchtigen sollten wieder herbeikommen. Nach einer halben Stunde waren Alle wieder im Lager und unter allgemeiner lärmender Heiterkeit, bei welcher Ngaljema’s lautes Lachen dasjenige aller übrigen übertönte, erzählte der eine dem andern seine persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen.“

Aber Ngaljema und seine Leute machten trotz dieser Lehre Stanley noch viel zu schaffen, verstiegen sich wohl auch zu schlechten Witzen, indem Endjeli Stanley auf dessen Zimmer einschloß und mit dem Schlüssel davonlief. Dabei verlor aber Stanley niemals die gewohnte Ruhe, er klagte gegen die Missethäter bei den Häuptlingen und gewann glänzend seine afrikanischen Processe. Wer wissen will, wie Stanley zu Macht und Ansehen in Afrika gelangte, der lese dieses Kapitel, der präge sich dieses fesselnde Bild des Lehrers und Civilisators der wilden Stämme ein. Wenn der künftige Kongodichter, von dem Stanley spricht, wenn ein Cooper des Kongo jemals erstehen wird, dann werden in seinen Werken die beiden Gestalten „Bula-Matari“ und Ngaljema gewiß die Hauptrolle spielen müssen. –

Wir haben noch Stanley’s als Entdeckers zu gedenken, denn auch in dieser seiner hervorragenden Eigenschaft stellt er sich uns in seinem neuesten Werke vor. Mit dem [k]leinen Dampfer „En Avant“ fährt er gegen den Strom, und da ihn neue Probleme fesseln, so kehrt er trotz der falschen Berichte der interessanten Königin Gankabo nicht um, bis er den großen Leopold II.-See entdeckt. Auch aus diesem Kapitel wollen wir eine Episode herausgreifen; sie schildert den überwältigenden Eindruck, den das Erscheinen des ersten Dampfers auf die Eingeborenen ausübte, und zugleich die Gutmüthigkeit und das launige Temperament des kühnen Forschers.

„Als wir gegen 10 Uhr aus einer langen baiartigen Bucht des Landes herauskamen, bemerkten wir in der Mitte des Sees ein halbes Dutzend Kanoes, 3 km weiter hinaus noch ein anderes und, nachdem wir eine felsige Spitze umfahren hatten, das Dorf, in welchem jene Fahrzeuge zweifelsohne zu Hause waren. Wir hatten also eine ausgezeichnete Gelegenheit, um uns über das Land zu informiren und vielleicht frische Fische und Nahrungsmittel zu erhalten. Wir hielten deßhalb nach den Fischern zu; da diese eifrig mit dem Einholen ihrer Netze beschäftigt waren, konnten wir uns bis auf 1½ km Entfernung nähern, ehe sie unsere Gegenwart bemerkten. Und wie müssen wir ihnen erschienen sein! Ein langes weißes Boot mit weitem, ausgebreitetem Flügel, das ein ganz seltsames Geräusch machte und nicht die geringste Aehnlichkeit mit irgend einem Thier hatte, von dem sie je gehört! In Verzweiflung heben sie die Hände auf. Einer scheint mehr Geistesgegenwart zu haben, als die anderen, ergreift sein Ruder und treibt das Boot instinktmäßig zur Flucht. ‚Ein vorzüglicher Gedanke‘, sagen offenbar die anderen, und alle tauchen ihre Ruder tief in das schwarze Wasser, sodaß die kleinen Kanoes mit großer Schnelligkeit fortgetrieben werden und im Fluge über den See hinjagen. Nur der Mann in dem einsamen Kanoe ist so gründlich in das Einholen der Netze vertieft, daß er noch immer keine Ahnung von der ihm drohenden Gefahr hat. Da, horch! Was ist das? Was ist das für ein seltsam stöhnendes, puffendes, klatschendes und klapperndes Geräusch? Er dreht sich nach unserer Richtung um und erblickt ein wunderbares Ungethüm, ganz weiß, mit einem hohen Flügel und ein paar sich drehenden Klappern, welche das Wasser hinter sich in langgestreckte Wellen aufwühlt. Er fällt wie vom Schlage getroffen ins kleine Kanoe und scheint sich klar machen zu wollen, ob das Wirklichkeit oder ein ihn äffender Traum ist. Ohne Zweifel fliegt der Gedanke durch sein Hirn: ‚Noch vor einem Augenblicke sah ich mich nach allen Seiten um und bemerkte nichts Seltsames, das mir Furcht oder Angst machen könnte, und nun? Woher kann das Ungethüm gekommen sein? Es ist sicher ein wilder Traum!‘

Aber unaufhörlich wieder trägt der leichte Wind die starken regelmäßigen Töne und das tiefe aber kräftige Seufzen an sein Ohr; er hört das verzweifelte Herumwirbeln der Schaufelräder und sieht die langgestreckten, rollenden Wellen im Kielwasser. Mit wilder Energie springt er auf, wirft noch einen raschen Blick um sich und begreift nun die Wirklichkeit, daß, während er als gedankenloser Narr am hellen Mittag seinen Träumereien nachgehangen hat, er von seinen Freunden im Stiche gelassen worden ist. Allein so lange noch Leben, ist auch noch Hoffnung; er kauert nieder, ergreift das Ruder, taucht es auf dieser Seite und auf jener Seite ein, und willig seinem Befehl und den langen Schlägen gehorchend, springt der zierliche, wie eine Speerspitze scharfe Kahn über das Wasser.

‚Zieht das Segel ein, Jungen!‘ Das Segel wird aufgerollt und es zeigt sich eine hohe dünne Stange, während hinter demselben eine schwarze Säule steht, welche Feuer und Rauch aus ihrem Munde speit.

Näher und immer näher kommt der Dampfer dem fliehenden Kanoe, allein plötzlich treibt der schwarze Insasse dasselbe mit einer Drehung des Ruders in rechtem Winkel zur Seite, während der ‚En Avant‘, überrascht von der unerwarteten Schwenkung, in rasendem Laufe geradeaus stürmt; aber binnen kurzem setzt er die Jagd fort, indem er dieses Mal jede

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_332.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2024)