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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Völker im friedlichen Wettstreite die brachliegenden Felder der Kultur erschließen sollen. Den Mittelpunkt und sozusagen das Herz desselben bildet der junge Kongostaat, der, jetzt unter der Souveränetät Leopold’s II. von Belgien stehend, trotz der an Frankreich und Portugal abgetretenen Gebiete noch fünfmal so groß ist wie das Deutsche Reich und von etwa 43 Millionen Menschen bewohnt wird. An ihn grenzen im Norden und Westen die Besitzungen Frankreichs und im Süden die alten Kolonialgebiete der Portugiesen. Im fernen Osten leuchtet wie eine Oase inmitten „herrenloser Länder“ das deutsche Usagara, und auch dort, wo am unteren Kongo die Grenzen der neuen Staatsgebiete hart an einander stoßen, weht von den Stationsgebäuden Nokkis unsere Flagge, ein kleines deutsches Gebiet bezeichnend, das bestimmt ist, den Ausgangspunkt größerer Unternehmungen zu bilden.

Wer vor zehn Jahren diese Wandlung der Dinge in Afrika prophezeit hätte, er würde keine Gläubigen gefunden haben; denn unerforscht war damals noch das Innere des Landes, unbekannt selbst der Lauf des gewaltigen Stromes, der heute die wichtigste Handelsstraße jenes Welttheils zu werden verspricht. Aber der Zauberer ist erschienen, der den Schleier zu lüften vermochte, der das Unglaubliche gethan, und er selbst schildert uns heute die Geschichte seiner Schöpfung.

Es ist gewiß verlockend und interessant, diese Geschichte aus Stanley’s Munde zu vernehmen, obwohl uns der Umstand zugleich zwingt, vorsichtig zu sein, zu prüfen, ob wir ein objektives Geschichtswerk oder eine Rechtfertigungs- und Anklageschrift vor uns haben.

Ja, wenn Stanley mit bitterer Ironie über die Handlungsweise seiner Stellvertreter spricht, wenn er gegen den Schluß seines Werkes die Erklärung abgiebt, daß er, da er über die Zufriedenheit des Königs von Belgien mit seiner langjährigen bitteren Arbeit keine schriftliche Anerkennung besitze, dem Leser es überlassen müsse, sich sein eigenes Urtheil zu bilden – dann sind wir geneigt, jenem Verdacht Raum zu geben.

Aber solche Betrachtungen bilden keineswegs den Hauptkern seines Werkes; sie bilden auch nicht das Fesselndste in ihm.

Es ist schon interessant, wenn wir den kurzen Brief Gordon’s, des Opfers von Khartum, lesen, in dem er seine baldige Ankunft am Kongo seinem „lieben Stanley“ anzeigt, um „mit ihm und unter ihm“ die Sklaverei zu bekämpfen. Es ist interessant, solche Worte von einem Manne zu lesen, der bald darauf, unter schwierigen Verhältnissen, die Sklaverei im Sudan wieder gestattete. Es hat auch gewissen Reiz, zu erfahren, daß Stanley über den neuen ihm aufgedrungenen Kollegen nicht besonders erfreut war und aus Brüssel Aufklärung über diese ihm mysteriöse Sendung wünschte. Aber das Hauptinteresse bei der Erörterung dieser Fragen liegt mehr zwischen den Zeilen, als in dem sehr vorsichtig Erzählten.

Auch die wissenschaftlichen und handelspolitischen Kapitel des Werkes bringen wenig durchaus Neues. Ueber den Europäer in Afrika, über das Klima etc. ist schon viel geschrieben worden, und alle Welt kennt die vielleicht zu optimistischen Ansichten Stanley’s, der in seinen Kongo so innig verliebt ist, daß er dessen Schwächen nicht sehen will oder besser gesagt nicht sehen kann.

Aber wer das Buch bis ans Ende gelesen, der wird auch finden, daß Stanley weder ein schlauer Diplomat noch ein Händler oder Rechner ist, daß er andere große Vorzüge besitzt, die in der Geschichte der Gründung des Kongostaates wie helle Sterne leuchten und leuchten werden.

Stanley, der Städtegründer, der Straßenbauer, der Missionär der Kultur am Kongo, der kühne Entdecker – das ist der Mann, der unsere Sympathie im Sturme erobert. Auf diesem Gebiete seines Wirkens und Schaffens müssen wir ihn aufsuchen, dort ist er der Meister für Viele, ein leuchtendes Vorbild kommenden Geschlechtern.

Stanley, der Städtegründer – haben wir gesagt. Ja, dieser Titel gebührt ihm, wenn wir auch zugeben müssen, daß die afrikanischen Städte, die er ins Leben rief, vorerst nur Stationen, nur einfache Niederlassungen bilden. – Der Titel gebührt ihm, denn nur dort ließ er Häuser bauen, wo ihm der Platz zur künftigen Gründung einer Stadt geeignet erschien, wo seine Station die Akropolis, die Burg zu werden versprach, um die sich später die Häuserflucht einer blühenden Handelsstadt schaaren würde. Darum beginnt auch sein Werk mit dem Kapitel „Die Gründung von Vivi: Eine Geschichte der Arbeit“ so ungemein fesselnd zu wirken.

Dort, wo im unteren Laufe des Kongo die wildrauschenden Stromschnellen die Schifffahrt unterbrechen, liegt die düstere Gegend von Vivi. Der Handel hat sie gemieden, der religiöse Eifer dort kein passendes Feld für seine Thätigkeit gefunden und die Rauheit der Natur sogar den Zeloten abgeschreckt. Aber Stanley ruft aus: „Jetzt laßt sehen, was aufmerksame Sorgfalt, geduldiger Fleiß und ein vertrauender Glaube aus derselben machen kann; die Kraft des Menschen ist groß, obgleich er nur ein schwaches vergängliches Geschöpf ist, doch mit kleinen, aber vielen Zügen hat er schon wiederholt Wunder vollbracht; seine Lebenszeit dauert nur eine kleine Anzahl von Stunden, aber in jeder derselben legt er, vom Fleiße beseelt, einen Stein, und viele Steine machen eine Straße.“

Mit solchen Ansichten begab er sich ans Werk, und bald krönten Gebäude den Hügel von Vivi und schon jetzt gaben dem muthigen Unternehmer die staunenden Eingeborenen den Titel „Bula Matari“, das heißt Felsenbrecher. Aber die neue Station steht auf nacktem Stein, den sengenden Strahlen der äquatorialen Sonne ausgesetzt. Auf dem Felsen muß ein Garten hervorsprießen und schattenspendende Baumkronen sollen über die Dächer ragen. So will es Stanley, und die Eingeborenen schleppen zwanzig Tage hindurch schwarze fruchtbare Erde vom Thal herauf, bis der Boden für einen 2000 Quadratfuß großen Garten bereitet ist. Nun pflanzt der Gründer Vivis die ersten Mango-, Orangen- und Limonenschößlinge, säet Zwiebeln, Lattich, Pastinak, steckt Rüben, Tomaten und Melonen.

Nachdem Vivi gegründet war, unternahm Stanley eine Rekognoscirung nach Isangila, um die zweite seiner wichtigsten Aufgaben zu erfüllen, eine fahrbare Straße zwischen den beiden genannten Orten zu bauen und auf ihr die Stromschnellen des Kongo umgehen zu können. Bevor er aber an die Arbeit ging, hielt er mit den Häuptlingen ein Palaver ab, in dem die Koncession des ersten Straßenbaus am Kongo ertheilt wurde. Es ist ein sonderbares Aktenstück – ein mündliches, das er uns aufbewahrt hat. Wir geben es in Rede und Gegenrede wieder:

„Häuptling De-de-de“, schreibt Stanley, „ist heute eine sehr wichtige Persönlichkeit; er hat aber auch seine Sache gut gemacht, indem er Boten durch das ganze Land geschickt hat, um die Mächtigen von Nsanda zu einer wichtigen Konferenz zusammenzuberufen. Nachdem die ceremoniellen Begrüßungen vorüber sind und ich die mir gebrachten Gegenstände in gehöriger Weise entgegengenommen habe, eröffne ich das Palaver, indem ich ihnen den Zweck meiner Anwesenheit in Vivi mittheile und sie über die Gründe aufkläre, welche zur Berufung dieser Versammlung Veranlassung gegeben haben. Sie sind ihnen allerdings längst bekannt, die Etikette verlangt jedoch, daß dieselben ihnen nochmals öffentlich erläutert werden.

‚Ich beabsichtige eine Straße durch Euer Land von Vivi nach Isangila herzustellen, aber ich bin erst auf Euern eigenen Pfaden hierhergekommen, um auszufinden, ob es möglich ist, eine Straße anzulegen, auf welcher große, mit schweren Booten etc. beladene Wagen passiren können; ferner um in persönlicher Unterredung mit Euch zu erfahren, ob Ihr Einwendungen dagegen zu machen habt, daß Ihr mir das Recht zur Herstellung dieser Straße gebt, denn es könnte vielleicht vorkommen, daß Euere Gärten und Felder gerade in der Linie einer guten Straße lägen und daß diese nicht anders gebaut werden kann als direkt durch jene Gärten. Ehe ich Geld an die Herstellung einer Straße wende, welcher der erste beste Garten, auf den wir stoßen, ein Ende machen kann, muß dieser Punkt nothwendigerweise besprochen und aufgeklärt werden. Auch muß ich von Euch wissen, ob Ihr, wenn ich eine solche Straße mache, die für Euch ebenso offen ist wie für mich, von mir erwartet, daß ich jedesmal, wenn ich auf meiner eigenen Straße reise, Euch dafür bezahle. Ebenso will ich erfahren, ob Ihr gestatten werdet, daß Eure jungen Leute für einen guten Lohn an der Straße für mich arbeiten, wie die Bevölkerung von Vivi mir beim Bau meiner Stadt geholfen hat.‘

Gegen vier Uhr wurde, nachdem sie mehrere geheime Berathungen abgehalten hatten, zu denen sie sich in einiger Entfernung von De-de-de’s Dorfe versammelten und bei welchen es, nach dem lauten Sprechen und den lebhaften Geberden einiger der Redner zu urtheilen, zu sehr heißen Debatten zu kommen schien, bei dieser ersten allgemeinen Berathung der Häuptlinge der verschiedenen Distrikte zwischen Vivi und Isangila Folgendes mündlich vereinbart und mir mitgetheilt:

‚Sie seien sehr erfreut darüber, daß wir in ihr Land gekommen seien. Es würde für das Land sehr gut sein, wenn eine Straße gebaut werde. Kein Häuptling habe irgend etwas gegen dieses Projekt einzuwenden. Ihrer Ansicht nach würde das Kommen des weißen Mannes nur Gutes schaffen, Gutes für die Häuptlinge und das Volk. Es bedeute Handel und sie seien alle Kaufleute. Der Weg nach Boma sei weit und viele fürchteten denselben und seine Schwierigkeiten. Sie würden sich daher alle sehr freuen, wenn der Handel zu ihnen, bis vor ihr Haus komme. Deßhalb könne die geplante Straße ohne Furcht angelegt werden, und es solle von derselben in Zukunft keine Abgabe mehr erhoben werden; wenn der weiße Mann ein Papier für jeden Häuptling unterzeichnet habe und demselben jeden Monat ein kleines Geschenk für das Wegerecht gebe, dann solle die Straße das Eigenthum des weißen Mannes werden. Wenn dieselbe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_330.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2024)