Seite:Die Gartenlaube (1885) 328.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Ganz natürlich also, daß ihm der Staat nichts war als ein blindlings seiner herrschenden Hand gehorchender Mechanismus, eine komplicirte und wohlgeölte Polizeimaschine, deren Räder in stummem Gehorsam zu arbeiten hatten. Auch die von ihm „wiederhergestellte“ Kirche sollte nur ein solches Rad in der besagten Maschine sein. Neben die eine Grundsäule des bonaparte’schen Staates, den Gendarm im Uniformsfrack, wurde als andere der Gendarm in der Soutane hingestellt, der Priester. Mittels der Thätigkeit und Wachsamkeit dieser weltlichen und geistlichen Gendarmerie war das Regiment im Innern dergestalt bestellt, daß es dem französischen Volke wieder möglich, sein Brot, obzwar im Schweiße seines Angesichts, aber doch in Sicherheit zu erarbeiten. Für die „Spiele“, für die Ausstaffirung der bewußten Gloire-Kinderklapper mit mehr und mehr Schellen, für immer gesteigerte Kitzelungen der Nationaleitelkeit, für buntwechselnde Befriedigungen der Schaulust der lieben Pariser sorgte die auswärtige Politik des Bonapartismus, – sorgte dafür immer eifriger, rücksichtsloser, heftiger, bis zuletzt die zügellose Eroberungswuth und Herrschaft des weiland armen Schluckers von Artillerieleutnant sogar im Imperatorenmantel sich beengt fühlte und zu dem bekannten Kaiserwahnsinn ausschlug, dessen rasende Launen die Glückgöttin schließlich so verstimmten, daß sie ihrem so lange gehätschelten Galan hohnlachend den Rücken kehrte.


2.0 Warum die Verschwörung gemacht wurde.

Mittels der Siegesschläge von Marengo und Hohenlinden – jener geführt von Bonaparte am 14. Juni, dieser gethan von Moreau am 3. December 1800 – hatte die französische Republik der deutschen Reichsruine und Oestreich den Friedensschluß von Lüneville abgezwungen (8. Februar 1801), allwodurch Deutschland etwa 1150 Quadratmeilen Gebiet mit nahezu 3,500,000 Bewohnern einbüßte. Der deutsche Michel war ja dazumal, wie seit dem 16. Jahrhundert allzumal, der bekannte Prügeljunge der Weltgeschichte und mußte sich alles gefallen lassen. Auch den „Reichsdeputationshauptschluß“, wie man das jammersälige Ding bandwurmig nannte, vom 25. Februar 1803, das Vorwort zu jenem schmachtriefenden Blatt unserer Geschichte, worauf bald das Kapitel „Rheinbund“ geschrieben werden sollte, geschrieben vom „Protektor“ Napoleon und unterthänigst unterzeichnet von unseren vieltheuren „Angestammten“.

Noch vor dem Reichsdeputationshauptschluß war in Amiens zwischen Frankreich und England ein Friedensschluß zustandegekommen (27. März 1802). Freilich nur ein Scheinding, nur eine Friedensphrase, von englischer Seite unterhandelt und zuwegegebracht durch das Ministerium Addington, welches im übrigen den Pittismus fortsetzte, obzwar ohne Pitts Geist und Energie. Die große Mehrzahl des englischen Volks begrüßte diesen zu Amiens todtgeborenen Friedensengel mit ausgelassener Freude – „with extravagant joy“, sagt ein vollwichtiger Zeuge. Es wußte ja nicht, wie wenig ernsthaft seine herrschende Oligarchie den Frieden nahm, diese englische Oligarchie, welche wie an Tugenden: Muth, Standhaftigkeit, Zähigkeit – so auch an Lastern: steinherzigem Hochmuth, brutaler Selbstsucht, broncestirniger Heuchelei – glücklich mit der altrömischen wetteiferte. Allerdings war sie zum Mißtrauen gegenüber dem neuen Herrn Frankreichs berechtigt, insofern derselbe ja bereits als ein sehr gefährlicher Konkurrent im Länderverschlingungs- und Völkerausbeutungsgeschäft sich ausgewiesen hatte. Solche Konkurrenz war im grünen Neidauge der Großkrämerin Britannia nicht nur ein schmerzender Splitter, sondern ein ganzer Qualbalken. Die oligarchischen Geschäfteführer der englischen Großkrämereifirma erkannten scharfsichtig, daß der Frieden von Amiens nur einen Waffenstillstand bedeutete, weil die Gefahr der bonaparte’sch-französischen Konkurrenz eben bloß mittels eines Kampfes auf Leben und Tod beschworen werden könnte. Moralische Skrupel hinsichtlich der Mittel, diesen Kampf zu führen, kannte der englische Pharisäismus ganz und gar nicht. Alles, was zweckdienlich war oder auch nur schien, fand seine Billigung und Unterstützung. Das Ministerium der „hochherzigen Briten“ hielt in seinem Solde die ganze Bande französischer Emigranten, von den Prinzen des allerchristlichsten Hauses Bourbon bis herab zum letzten „Chouan“, um diese Bande bei Gelegenheit gegen Frankreich auszuspielen – sei es im offenen Felde oder aus dem Hinterhalt, als Soldaten oder als Attentäter und Meuchelmörder, je nachdem. Das „Geschäft“ brachte es so mit sich. Beweise für dieses Verhalten der englischen Oligarchen lagen handgreiflich vor. Die emigrirten französischen Royalisten trachteten dem Ersten Konsul nach dem Leben, sobald ihnen klargeworden, daß ihre Hoffnung, derselbe würde sich zur Rolle eines Monk hergeben, eine lächerliche Illusion gewesen. Mit englischen Staatsgeldern war jenes Komplott großgefüttert worden, welches, durch den charaktervollsten und entschlossensten Chouansführer, den Müllerssohn Georges Cadoudal aus dem Morbihan, fernher geleitet, am Abend vom 24. December 1800 in der Straße Sainte-Nicaise in Paris die „Höllenmaschine“ vergebens gegen Bonaparte losgebrannt hatte.

Der Erste Konsul hatte also seinerseits vollauf Ursache, dem „mordstiftenden Albion“ zu mißtrauen und zu glauben, die englischen Oligarchen meinten es mit dem Frieden von Amiens nicht ehrlich. Warum also sollte er es thun? Dennoch muß gesagt werden, daß der Bruch dieses Friedens nicht von dem französischen Machthaber ausging. Die Erneuung des Krieges mit England kam ihm dazumal sogar sehr ungelegen. Er hatte ja vorderhand noch in Frankreich selbst gar viel zu thun. Er mußte seine Gewalt befestigen, sein Verwaltungssystem ausbauen, die Finanzen neu ordnen, die Einführung des „Code civil“ vorbereiten und das Konkordat durchsetzen, nebenbei auch mit seiner „Mediation“ die Schweiz beglücken, d. h. in höflicher Form dieselbe zu einem französischen Vasallenland machen, und endlich mußte er den allbereits fertiggeschneiderten Kaisermantel anprobiren. Ihm war überdies gar wohl bewußt, daß, um den Engländern mit Aussicht auf Erfolg den Krieg machen zu können, die Herstellung einer großen Seestreitmacht unumgänglich wäre. Dazu aber, rechnete er, bedürfte es einer Frist von 7 bis 8 Jahren. Auf solange wünschte er demnach den Krieg mit England vertagt. Allein dieses merkte die Absicht und wurde so verstimmt, daß es schon im Mai von 1803 kriegerische Parlamentsbeschlüsse faßte. Darauf gab Bonaparte zur Antwort die Schaffung des Lagers von Boulogne, allworin 150,000 Mann, zum Einfall in England bestimmt, versammelt und aus republikanischen Wehrmännern vollends in kaiserliche Soldaten umgewandelt wurden. Die kolossalen Rüstungen zu Land und Wasser, welche der Erste Konsul damals betrieb, waren keineswegs eine bloße Spiegelfechterei. Der Plan einer Kriegsfahrt nach England war durchaus ernstgemeint und wurde bis in alle Einzelnheiten hinein mit außerordentlicher Sorgfalt vorbereitet.

Jenseits des Kanals hatte man ein sehr beängstigendes Gefühl der Gefahr, obzwar die Mandatare der „oberen Zehntausend“ sich noch für eine Weile den Anschein zu geben suchten, das, was drüben auf der französischen Küste vorging, nur für einen riesigen Humbug, für eine großartige Finte oder gar nur für eine thörichte Bramarbasenschaft anzusehen. Bald aber konnte man doch nicht umhin, in England die Sache ebenso ernst zu nehmen, als sie in Frankreich gemeint war, und eilends die ausgedehntesten Vorbereitungen zur Abwehr des Bedrohlichen zu treffen. Kriegerische Vorbereitungen und – meuchelmörderische. Helfe, was helfen mag, dachte der britische Pharisäismus, lief in die Kirche, schlug sich zerknirscht an die Brust und – steckte dem Georges Cadoudal eine Million zu, auf daß der Chouanshäuptling „nervum rerum“ besäße, in seiner Art gegen diesen verteufelten Bonaparte, der uns in unserm Inselkontor aufsuchen will, um unsern Großkram an der Wurzel zu vernichten, bourbonischen Krieg zu führen, Krieg bis aufs Messer!.

Daß die Verschwörung, welche nach ihrem Hauptmann Georges Cadoudal benannt ist, mit englischem Gelde gemacht wurde, kann gar keinem Zweifel unterstellt werden. Woher sonst hätten alle diese armen Schlucker von Emigranten, welche, vom Grafen Artois bis herab zum bettelhaftesten Exsoldaten von der „Condé’schen Armee“, sammt und sonders vom aus der englischen Staatskasse bezogenen Almosen lebten, die sehr bedeutenden Summen genommen, welche das Komplott kostete? Natürlich existiren keine den englischen Zahlmeistern von den Verschworenen ausgestellten Quittungen. Ueber derartige Machenschaften pflegen keine Protokolle aufgenommen und keine Aktenfascikel angelegt zu werden. Auch in lichtscheuen Zettelungen bewanderte und verhärtete Leute hegen ja ein gewisses Gefühl von Scheu, wenn nicht von Scham, ihre Nichtswürdigkeiten schwarz auf weiß vor sich zu sehen.

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_328.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2024)