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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Es grollte so viel verhaltener Unwille und bitterer Verdruß in der Stimme des Bürgermeisters, als der Respekt vor der landesherrlichen Gegenwart nur irgend gestattete. Und wenn der Doktor, dem fürstlichen Herrn hiervon nur genau so viel zumaß, als, wie er wußte, an diesem Orte zulässig war, so spielte er damit keineswegs etwa nur eine Rolle, sondern sprach ziemlich genau aus, was er wirklich empfand. Denn allzu schwer kam es dem an das Befehlen gewöhnten, sich seiner guten oder doch wenigstens immer klugen Absichten bewußten Mann an, die althergebrachten Zukunftspläne für den Sohn von diesem so jäh durchkreuzt zu sehen.

Der Landgraf hatte aufmerksam zugehört und wiederholt den Kopf geschüttelt. Jetzt richtete er denselben in die Höhe, sah den Doktor eine Weile an und sagte dann mit starker Stimme: „Daraus wird nichts!“ und noch einmal „daraus wird nichts!“ während er nach dem Stock griff, der neben ihm lehnte, und denselben mehrmals heftig auf den Boden stieß.

Der Bürgermeister begriff, daß die Sache für ihn günstig stand. Er wartete noch eine Weile, ob von den landesherrlichen Lippen eine weitere Meinungsäußerung fallen werde. Diese erfolgte nach einer ziemlich langen Pause und zwar in Gestalt der kurzen Frage: „Und wer ist das Weibsstück?“

Der Bürgermeister wußte auf die Art des Herrn zu laufen. Er antwortete ohne Zögern: „Ein Mädchen geringen Standes, Euer fürstliche Gnaden … brav und unbescholten, so viel ich weiß, aber nicht einmal eine Bürgerstochter, und ihrer Herkunft nach zur Frau eines ansehnlichen Bürgersohnes wenig geeignet.“

„Und er will sie heirathen?“ fragte der Landgraf, ohne das Haupt, welches er mit dem Kinn auf seinen Stock gestützt hatte, zu erheben.

Doktor Tiedemars zuckte mit vielsagender Miene die Achseln.

„Er soll es bleiben lassen,“ fuhr der fürstliche Herr auf, um aber sogleich wieder in sein Schweigen zu verfallen.

Der Bürgermeister begann nach respektvoller Pause:

„Jedenfalls aber steht der thörichte Handel zwischen meinem Sohne und demjenigen, was, ihn betreffend, seiner Eltern wohlmeinender Wille ist. Nun begeb’ ich mich aber nicht ganz der Hoffnung, mit der Zeit den Trotz des Thunichtguts zu beugen, ihn auch, durch Anwendung väterlichen Zuspruchs wie väterlicher Strenge, wieder auf den Weg des Gehorsams zu bringen. Zu dem Ende aber, und damit er nicht etwa, was Gott verhüten möge, hinter meinem Rücken uns einen Streich spiele und sein Freien nach eigener, frevler Willkür durchsetze, möchte ich ihn auf eine Zeitlang entfernt wissen, und dazu wage ich um die Mitwirkung meines gnädigen Herrn Landgrafen zu bitten. Wollte ich, aus eigener Autorität, ihn gerade jetzt fortschicken, wer weiß, ob der Trotzkopf mir nicht den Gehorsam weigerte. Einem Befehle seines landgräflichen Herrn aber wird er folgen, um so eher“ – hier blickte der Bürgermeister den Fürsten mit seinem klugen Lächeln bedeutsam an – „je weniger er ahnt, daß hochfürstliche Gnaden von seinen Streichen unterrichtet sind.“

Der Landgraf nickte nur, und Tiedemars fuhr fort:

„Wohin wir ihn senden können, wollte ich mich ebenfalls unterfangen vorzuschlagen. So wie so werden Euer Gnaden nunmehr einen zuverlässigen Mann, im Aufsetzen von Urkunden und allen juristischen Bräuchen wohl erfahren, hinüber ins Schmalkaldische zu schicken haben, da Euer Gnaden Mitherr der nunmehr zurückgefallenen Rothenbüheler Lehen seid. Mein Sohn wäre dazu der rechte Mann, daher mein unterthäniges Anliegen ist, selbigen mit den nöthigen Vollmachten versehen in allernächster Zeit – und heute lieber als morgen – dorthin abfertigen zu wollen.“

Der Bürgermeister hatte wohl wahrnehmen können, wie der Landgraf auf seiner Seite war, und versah sich daher alles Anderen eher, als daß der fürstliche Herr jetzt mit einem Male wohlbedächtig und mit aller Entschiedenheit den Kopf schütteln würde. Das aber geschah zum Schrecken des Bürgermeisters – der Landgraf schüttelte das Haupt, und zwar zu wiederholten Malen, was bei ihm eben so gut war, als habe er die verschiedensten Gegengründe vorgebracht. Endlich sprach er: „Das wollen wir anders machen, Bürgermeister … das wollen wir besser machen. Fortschicken? wozu … daß er sich anderswo wieder in eine Andere vergafft? Nein ... Dein Sohn heirathet die Jungfer Külwetter – ich kenne den Alten wohl – so was von einem Pfennigfuchser, wie?“ – dabei nickte der Herr gutlaunig zu dem Doktor hinüber – „führt das knappste Ellenmaß in der Stadt und hat keinen schlechten Haufen Batzen zusammengebracht? Nun, um so besser für Dich – ich freie dem Burschen die Braut, und das morgen … laß mich nur machen ... laß mich nur machen! Wollen doch sehen, ob er dann noch aufsässig ist … Hübsch ist die Dirne, sagt Ihr? die Jungfer Külwetter mein’ ich … hübsch und sauber? ja, hübsch müssen die Weiber sein, das kann ein ordentlicher Kerl von Seiner verlangen. Und von gutem Hause, und reich? was will der Schelm mehr? Morgen Abend ist die Sache richtig, und gleich nach der unsern richtest Du die Hochzeit zu. Und wir sammt der Gräfin Sabine, alsdann unserem lieben Gemahl, bitten uns hiermit dazu bei Dir zu Gaste.“

Dem Bürgermeister war es heiß geworden, und der Kopf fing an ihm zu schwirren ob dieser kurzen, fürstlichen Art, mit seinem Handel umzuspringen. Aber er wußte, daß, wenn der Herr gerade in solchen Dingen, wo er es gut meinte, seinen Kopf aufgesetzt hatte, seinen fürstlichen Willen, um nicht zu sagen Eigenwillen, zur Geltung zu bringen, an keine Einrede zu denken war. Es half nichts, er mußte sich für die landgräfliche Huld bedanken und morgen dem Schicksal seinen Lauf lassen. – Und nun war der Tag endlich da, an dem schon seit Wochen die Gedanken von Tausenden voreilend gehangen hatten. Die Sonne selber, die von einem blauen, nur leicht und unmuthig bewölkten Himmel schien, lachte heller als sonst von den unzähligen bunten Wimpeln, den Teppichen und Tüchern nieder, durch welche die Gassen in oben offene Säle umgewandelt worden waren; sie küßte überall die warmen Farben noch wärmer, und selbst das graue Gestein verwitterter Mauern, ja verräucherte Dächer und Schornsteine überzog sie für heute mit einem goldenen Farbentone, sodaß sie aufs Beste in das prächtige Bild paßten.

Und unter diesem Himmel und umweht vom leisesten, frischesten Windhauch, der die Düfte der in den Kranzgewinden prangenden Blumen weit umhertrug, ging der Einzug des landgräflichen Herrn und der künftigen Landesmutter in die getreue Stadt, ging ferner Scene um Scene der längst vorbereiteten Feierlichkeiten unaufhaltsam von Statten, zog Schauspiel auf Schauspiel vorüber, um nicht mehr der Zukunft, nicht mehr der kurzen, für das gierige Schauen viel zu kurzen Gegenwart, dem flüchtigen Jetzt, sondern um von nun an der Vergangenheit und Erinnerung anzugehören und damit den Menschen eigentlich erst wirklich eigen zu werden.

Alles gerieth aufs Beste, nichts schlug fehl. Schon vom ersten Blicke auf das fürstliche Paar an hatte sich ein wahrer Taumel loyaler Erregung der sonst ziemlich hausbackenen Städter bemächtigt. That es doch schon jedem getreuen Herzen gut, die wohlbekannte Gestalt des allverehrten Landesherrn einmal wieder zu sehen, das biedere breite Gesicht, die kräftigen Schultern des ehrenwerthen, wenn auch etwas trockenen Herrn in der an ihm ganz ungewohnten Festtracht zu bewundern, mit den um den Werth eines Herzogthums nicht zu kaufenden Perlenschnüren am Hut und der Kette des goldenen Vließes auf der Brust. Freute man sich aber hier über das was man kannte, so war es wahrlich nichts Geringeres um das frohe Staunen, die befriedigte Neugier und die unbegrenzte Bewunderung, mit der aller Blicke alsbald an der neben dem Herrn reitenden hohen Frauengestalt hingen.

Das war sie also, das dunkelhaarige Weib in prächtiger Haltung, mit dem etwas vollen und stark gefärbten, aber doch nobelen und zugleich freundlichen Angesicht, den Augen voll Lebenslust und Heiterkeit, dem gutmüthigen, etwas spöttischen Munde! Ja, so sah eine echte Fürstin aus. Und wie sie auf dem Pferde saß und das feurige Thier ohne alle Anstrengung zügelte und regierte, nur nebenher, wie sich’s gehörte, und als ob sie davon nichts wisse!

„Ob die wohl spinnen kann?“ entfuhr es einem dürren, allzu bedenklichen Männchen. Hui, wie dem von den Danebenstehenden über den Mund gefahren wurde! „Unsere Landgräfin braucht nicht in der Stube zu sitzen! Die soll dem Herrn seinen Hof und sein Land wieder lieb machen, daß er sich nicht länger trübsinnig in seine ältesten Nester von Schlössern verhockt! Laß sie jagen und reiten, um so besser! Da kommen sie auf die Dörfer und sehen, wie der arme Mann wohnt und wie sein Getreide steht, und ob er auch den Zehnten zu erschwingen vermag! Und auch der Bürger kann ihnen eher einmal nahen und ein Anliegen vorbringen, als wenn sie kaum und nur zum Kirchgang an das Tageslicht kämen.“

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