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entschlüpfte! … Und so saß sie auf der Küchenbank und weinte herzbrechend in ihre Schürze hinein.

Währenddem gingen Margarete und die Tante Sophie in der Wohnstube auf und ab. Das junge Mädchen hatte den Arm um die Tante gelegt und ihr den gewaltigen Umschwung im väterlichen Hause mitgetheilt … Es war dunkel in der Stube; die brennende Lampe war sofort wieder hinausgeschickt worden – es brauchte Niemand zu sehen, daß die Tante geweint hatte; eine solche Weichmüthigkeit gestattete sie sich nur äußerst selten. Aber war es nicht ein Jammer, daß der Mann neun volle Jahre mit seinen verschwiegenen Seelenqualen neben ihr gegangen war? Und sie hatte sich harmlos ihres Lebens gefreut und nicht geahnt, daß sich rund um sie her ein solches Drama abspiele! … Und das Kind, der liebe, prächtige Junge, er hatte nicht das väterliche Haus betreten, nicht an seines Vaters Tische essen dürfen – das Herz hätte sich ja doch dem Balduin im Leibe umwenden müssen! … „Du lieber Gott, was sich doch die Menschen Alles anthun um ein bischen mehr oder weniger, höher oder niedriger willen!“ sagte sie zum Schluß und wischte sich die letzte Thränenspur vom Gesicht. „Unser Herrgott hat sie geschaffen, ohne Wehr und Waffen als ein friedliches Geschlecht; aber da schärfen sie sich die Zunge zum Messer und schmieden sich selber eiserne Panzer um die Herzen, auf daß nur ja niemals Friede sei auf Erden!“

An der Schreibstube ging der Sturm heute noch ungehört vorüber. Der junge „Gestrenge“ saß hinter seinen Büchern und kalkulirte. Er ließ sich nicht träumen, daß er falsch rechne, daß mit nächstem ein Fingerchen an dieser Schreibstube anpochen und der kleine Verhaßte aus dem Packhause Einlaß, Sitz und Stimme fordern werde – von Rechtswegen!

(Schluß folgt.) 

Auf Isola Bella.

Von Heinrich Noé.
(Mit Illustrationen S. 308 und 309.)

Habt ihr einmal von Stresa oder Baveno aus euch den Lago Maggiore betrachtet? Dann habt ihr eine blaue Fläche gesehen, über welcher in fernem Hintergrunde die weißen Gipfel des Strahl- und Mischabel-Hornes aufragen. Ganz im Vordergrunde habt ihr eine Anzahl Inseln wahrgenommen, um welche sich die Fluth ausbreitet. Einige davon gleichen einem großen Blumenstrauße, der auf dem Wasser schwimmt. Wenn ihr es gesehen habt – desto besser für mich. Denn Worte geben, wenn ihnen nicht von Seiten des Hörers viel Einbildungskraft entgegengebracht wird, ein sehr unzureichendes Bild von großen und farbenreichen Landschaften.

Die beste Vorstellung hat derjenige, dem es nicht vergönnt war, die Alpen oder den Apennin zu überschreiten, sich vielleicht in seiner Jugend angeeignet, als er sein Vergnügen an den Erzählungen unserer Romantiker fand. Er gedenke der Gräfin Dolores des Achim von Arnim. Dann gemahnt es ihn wie ein Bild von Piniengärten, aus deren Grün die weißen Marmorhallen hervorblinken. Es rauschen die Brunnen, es duften die Magnolien und die Rosen. Auch Eichendorff hat von solchen Palästen erzählt, die unter Blumen versteckt sind wie das Dornröschen unter Waldzweigen, und Jean Paul führt uns gar in seinem Titan leibhaftig auf jene Insel hinüber und nennt sie den geschmückten Thron des Frühlings.

Wir werden sehen, wie es damit bestellt ist. Mittlerweile lassen wir die Gaststätte des anspruchsvollen Stresa mit ihren langweiligen Engländern hinter uns, steigen in ein Boot und rudern hinüber nach Isola Bella, der nächsten dieser Inseln, die weit und breit unter dem Namen der Borromäischen Inseln bekannt sind. Der Lago Maggiore ist im Ganzen und Großen gerade nicht der schönste See Oberitaliens, ihn übertrifft der Garda-See an Gewaltigkeit der Ufer und an Mannigfaltigkeit der Hochgebirge und Hügel. Gerade aber diese Bucht, an deren Eingang die Inseln hingelagert sind, gewährt einen weiten Rundblick auf Wasser und auf jene weißen glänzenden Wälle, die dem Lande Italien das Schneegefunkel ihres Winters zeigen. Dort ist der See so schön, daß man kaum irgend ein Gestade des Garda-Sees ihm für ebenbürtig erklären möchte. Ja, dieser Einschnitt in die gartenreiche Landschaft, dieses Vordringen des hellen Gewässers in die geschmückten Ufer hinein, wird allenthalben Lobredner und Schwärmer finden. Selbst erfahrenen Kennern der Oberfläche unseres Planeten ist es so ergangen. In dem Reisebüchlein des guten, alten Schubert, welches ich auf meinen Wanderungen gerne mit mir trage, findet sich eine anmuthige Stelle, welche dem ersten Eindrucke der Inseln gilt. Ist es doch, so erzählt uns der gemüthvolle Wanderer, als webte hier im Schatten der Pinien und der jungen Cedern noch der edle Geist der Borromäer, so klar und still und tief, wie der See am Fuß des Orangenhains; der See, in dem sich neben dem Blau des Himmels die Stirn des Alpengebirges spiegelt.

Um dieses zu verstehen, muß man wissen, daß gegen das Ende des 16. Jahrhunderts hin es dem Grafen Vitaliano Borromeo beifiel, einen nackten Felsen, welcher den Schiffern zum Trocknen ihrer Netze und zu anderer Hantirung diente, in diesen Garten umzuwandeln. Darum ist der Name jener Grafen an den Inseln haften geblieben. Diejenige, an der wir soeben gelandet, hieß früher Isola inferiore und wurde im Jahre 1671, als die Gärten und Prachtbauten vollendet wurden, „Isabella“ genannt, der Mutter des Grafen Vitaliano zu Ehren. Als aber später die Leute herbeiströmten, um dieses „schönste Reich Italiens“ zu schauen und zu bewundern, da erlitt der neue Name eine Wandlung, es entstand im Volksmunde aus ihm „Isola Bella“ – der richtigste Name für diese „schöne Insel“. Ja, schön ist sie nach dem Geschmack der Südländer nicht allein dnrch ihre Zaubergärten, sondern auch durch die Werke der Baukunst, die aus dem Pflanzengrün emporragen, denn der Italiener vermag sich keinen großen Garten vorzustellen, ohne einen Palast, der prächtiger und anspruchsvoller ist als die Pflanzungen. So ist es auch hier geworden. Die Gebäude und das Mauerwerk nehmen mehr Raum ein als der Baumschatten.

Wir landen an einer weißen Steintreppe. Alsbald gelangen wir in den großen Hof des Borromäischen Palastes. Von drei Seiten her schlägt die Welle des Sees an seine Mauern. Hier giebt es alles, was man in Wälschland zusammen zu schleppen pflegt, um den Prunk der Familie und den Glanz des eigenen Hauses zu zeigen. Da begrüßen sich in kühlen unterirdischen Räumen Thetis und Galathea neben Muschelschalen, in welche es silberhell hineinsprudelt. Oben glänzen an den Wänden die Meisterwerke eines Caravaggio oder Paolo Veronese. Der Fuß schreitet bald auf Marmor, bald auf Mosaik. Sehenswürdigkeiten, vor welchen stehen zu bleiben den Wanderer der seinem Handbuche schuldige Frohndienst zwingt, giebt es eine Menge. Wir können ein juwelengeziertes Weihwasserbecken und ein Bett anschauen, in welchem Napoleon I. geschlafen hat. Ein Führer wird die allerhöchsten Herrschaften herzählen, mit deren Besuch das Eiland in diesem Jahrhundert beehrt worden ist.

Viel schöner ist es gegen Osten hin. Dort erhebt sich ein Baumdickicht, welchem auch im Winter das grüne Gewand nicht fehlt, weil es aus Cedern und Lorbeeren, aus Cypressen und Kampherbäumen besteht. Dort erhebt sich die Pinie und verkündet Italien.

„Es stehen so ruhig die Cypressen,
So himmelträumend, so weltvergessen.“

Bildsäulen und Gemälde sind überall zu finden. Derjenige aber, der von Norden kommt, wird ihnen gerne den Rücken kehren, um durch die Zwischenräume des dunkeln Laubwerkes auf die Fluth und die weißen Hochgipfel zu schauen. Vielleicht noch mehr als das Gesicht wird der Geruchssinn angeregt, denn dem Lorbeerhauch kommt eine seltsame Wirkung zu. Im Frühling gesellen sich dazu die Düfte zahlloser Blumenkelche, welche die meisten Wanderer nie gesehen haben. Spärlich sind die Stimmen der Vögel, weil die Sänger von den Einwohnern gegessen werden. Kühl ist der Hauch des Sees, glänzend das glatte Blatt des Lorbeers, aber ein akademischer Linear-Geist hat sich mit Richtschnur und Senkel des Hesperidengartens bemächtigt. Schmeichelud weht die Luft

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_312.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)