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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

einander, während er die Arme über der Brust kreuzte. Der Sturm war also im Anzuge, mochte er kommen ... jetzt hieß es, ihm die Stirn bieten.

Der Bürgermeister betrachtete seinen Sohn aufmerksam und begann dann in einem Tone, der viel milder war, als ihn Georg zu hören erwartet hatte:

„Ich gedenke Dir hier keine Lektion, wie einem Schulknaben, zu lesen, Georg. Aber eines will ich Dir nicht verhalten. Gerade weil Du nun drei Jahre hindurch Deine volle Freiheit gehabt hast, hätte ich nimmermehr zu hören erwartet, daß Du Dir hier in Deiner Vaterstadt, in der Du nun bald als einer der ersten Bürger sitzen sollst, noch jetzt einen übeln Leumund machen werdest und dem armen Ding, der Rosine, Grund zur Klage geben!“

Es blieb nicht unbemerkt von dem Doktor, daß bei den Worten, mit denen er Rosinens erwähnte, ein verächtlicher Zug um die Lippen seines Sohnes zuckte.

„Sprich,“ sagte er jetzt, um einen Schatten weniger gelassen, als er es bisher war, „ist es eine Kinderei von dem Mädchen, oder hast Du ihr in der That ein Recht gegeben, eifersüchtig zu sein?“

„Ja, Vater, allerdings: das beste Recht, den besten Grund von der Welt,“ war die Erwiderung des Sohnes, indem er die Augen zu dem Alten erhob und ihn fest ansah.

Der Doktor fuhr nun doch in die Höhe. Die Armlehnen seines Sessels mit beiden Händen haltend beugte er sich vor. „Was steckt hinter dieser wunderlichen Antwort, Georg? Beliebt es zu reden?“ rief er scharf.

Die Bürgermeisterin, die in der Nebenstube das Abendbrot herzutrug, hatte sich schon eine Weile geängstigt, was die Beiden nun wieder hinter verschlossenen Thüren zu stecken hätten. Sie ging öfter an dieser Thür vorbei, als eben nöthig gewesen wäre, und ärgerte sich, daß hinter den dicken Eichenholzpanelen derselben bis jetzt nur ein undeutliches Stimmengemurmel hervordrang. Jetzt aber fuhr sie ordentlich zusammen. Sie hatte einen zornigen Ausruf ihres Mannes gehört und zugleich ein Geräusch, als wenn einer der massiven Stühle drinnen heftig zur Seite geschleudert würde. Das war in dem Augenblicke gewesen, als drinnen über die Lippen Georg’s zum ersten Male der Name der Tochter des Lukas Vanderport gegangen war.

Der Doktor war aufgefahren, wie es dem Manne von erprobter Selbstbeherrschung selten begegnete. „Nun bei Gott!“ rief er, „einen schlimmeren Streich hätte uns Dein vermessener Leichtsinn nicht spielen können. Ich ebne den Leuten hier die Wege, wo und wie ich nur kann ... sie blicken auf mich als ihren stärksten Beistand – durch mich sind sie hergekommen, ich bin dem Landgrafen für sie verantwortlich ... und nun wird dem Hause des Mannes, dem die ganze Gemeinde anhängt, die schnödeste Unbill zugefügt ... und durch wen – durch mein eigen Fleisch und Blut, durch den Sohn des Bürgermeisters selber!“

Wie um seiner Erregung Herr zu werden, war der Doktor heftig im Gemache auf und abgeschritten; er blieb stehen, als Georg begann:

„Ihr irrt, Vater. Noch ist die Ehre der Weberstochter durch mich nicht gekränkt ... die ist bei ihr selber in guter Hut. Ich denke ehrlich um sie zu werben ... lassen kann ich nicht von ihr, noch sie von mir, und sie wird mein Weib – sie oder keine.“

Diesmal erfolgte kein lauter Zornesausbruch des Bürgermeisters, aber das volle, scharfe Gesicht veränderte die Farbe und gewann einen Ausdruck, wie ihn Georg noch nie gesehen hatte. „Ich glaube, Du träumst, Bursch!“ sagte der alte Herr eiskalt. „Seit Jahren haben die Külwetters unser Wort, und wie ich Dir vorhin sagte: sobald der Einzug der Herrschaft und die Festlichkeiten vorüber sind, wird zwischen Euch Verspruch und Hochzeit gehalten.“

Auch Georg war scheinbar ruhig geblieben, nur daß er die Arme fest über der arbeitenden Brust kreuzte. „So glaubt Ihr mich zwingen zu können, Vater?“ sagte er, „zwingen, ein Wort einzulösen, welches ohne mich gegeben wurde, dem ich als gedankenloser, keines bindenden Entschlnsses fähiger Knabe mich anbequemt haben mag, und welches auch von Euch, je nach Eurer Laune, einmal ernst genommen zu werden schien, dann aber auch wieder leicht, wie ein kindischer Scherz! Ich aber sage Euch, mit allem schuldigen Respekt, Vater, doch kraft der festen Entschließung des Mannes, zu der ich, bei Gott, jetzt ein Recht habe: jenes Mädchen, die Rosine Külwetter, heirath’ ich nimmermehr!“ –

„Georg! ...“ die Stimme des Alten donnerte durch das Gemach, so daß die Bürgermeisterin in der Nebenstube zusammenfuhr und sich dann kopfschüttelnd auf den nächsten Stuhl sinken ließ. Auch der Sohn war bleich geworden, aber dem scharfen Blick des Bürgermeisters entging nicht, daß er keineswegs nachgiebig aussah, vielmehr saß ihm zwischen den Brauen jene Falte eines hartnäckigen Entschlusses, welche man schon dann und wann an dem Knaben gesehen hatte, und welche dann immer als Vorzeichen einer Niederlage derer, die anders wollten, als er, gelten konnte.

Der Bürgermeister hatte viel vom Diplomaten; er erwog gedankenschnell, daß es nicht gerathen sein würde, den starren Willen in dem jungen Kopf da gegen sich zu waffnen. Weit ruhiger, als man nach seinem letzten Ausruf hätte erwarten sollen, begann er nach kurzer Pause:

„Du warest im Irrthum, mein Sohn, wenn Du jenes Uebereinkommen zwischen den Külwetters und uns, nach welchem die beiden Häuser sich durch Euch verschwägern sollten, allzu leicht genommen hast. Muß ich Dich daran erinnern: demselben wohnt jene bindende Kraft bei, die dem Worte eines Ehrenmannes in der gesitteten Gemeinschaft eigen ist und ihm den Werth eines Eides verleiht! Willst Du mich vor meinen Mitbürgern zum wortbrüchigen Lügner machen?“

Der kluge Herr war in ein gewisses Pathos verfallen, welches bei ihm nur sehr selten zur Anwendung kam. Aber er überschoß das Ziel; er vergaß, daß er in seinem Sohne ebenfalls einen Juristen vor sich hatte. „Da sei Gott vor,“ erwiderte Georg auf jene letzten Worte ziemlich kühl. „Aber es bleibt ein Ausweg, lieber Vater: beide Theile können von einem eingegangenen Vertrag zugleich und freiwillig zurücktreten. Der alte Külwetter kann, wenn er Alles erfährt, nicht umhin, Dir gegenüber von seinem Worte zurückzutreten.“

Der Doktor biß sich auf die Lippen ... „Er wird sich schwer dazu verstehen, Georg,“ sagte er und fuhr dann mit einem Anflug von Wärme fort: „Sie hängen an Dir, wie ich und Deine Mutter uns an das Mädchen wie an eine Tochter gewöhnt haben. Hör auf die Stimme der Erfahrung, der Klugheit, Georg ... beschwöre keine endlose Reihe von Widerwärtigkeiten über uns alle herauf durch eine flüchtige Laune! Rosine ist ein Mädchen wie für Dich geschaffen ... den Augen wohlgefällig, nicht klüger als nöthig ... und daß sie Geld und Gut mitbringt, ist wahrlich nicht zu unterschätzen ... auch sichert es ihr, wie es Dir zu Statten kommt, das nöthige Ansehen in der Stadt sowohl wie auch im eignen Hause –“

„Um Gottes willen, Vater!“ rief Georg schmerzlich aus, als der Bürgermeister sich hier unterbrach – „redet mir nicht länger von Rosinen! Was sie ist, was sich unter dem Taubengefieder verbirgt, das hab’ ich jüngst erfahren ... aber gleichviel, preist sie mit Menschen- und mit Engelzungen denen, die nach ihr und nach ihren Truhen fragen! Muß ich es wiederholen? für mich giebt es nur noch ein Weib ... sie, die ich Euch nannte, die Tochter des Mannes, dem auch Ihr Eure Achtung nicht versagt ...“

Er war mit einem Male ganz nahe an den Vater herangetreten, und dieser blickte nunmehr betroffen in das Gesicht des Sohnes und hörte auf das Beben tiefster Erregung in der unterdrückten Stimme, mit der jetzt die Worte kamen: „ich liebe Hilden Vanderport ... hört Ihr, Vater, ich liebe sie und will und kann nicht ohne sie leben. Vielleicht wißt Ihr nicht, was das heißt, denn ich selber habe es vor wenigen Wochen noch nicht gewußt.“

Der alte Herr hatte inzwischen seine Ueberraschung schon bemeistert, und als er jetzt sprach, war es in seinem trockensten, kältesten Tone.

„Das nimmt mich Wunder ... ich dächte, der Herr Sohn hätte eben jene Studia unter den Weibern in Padua und Bologna sehr eifrig betrieben und sei in der ars amandi kein solcher Neuliug mehr.“

Georg war blaß geworden, und der Alte sah einem heftigen Ausbruch entgegen. Aber er irrte sich; der Sohn wendete sich schweigend nach der Thür. „Wohin, Georg?“ rief der Doktor mit starker Stimme. „Gehst Du so von Deinem Vater?“

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