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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

‚der mit den Karfunkelsteinen‘! Wenn sie nur wüßte, was ich weiß! Die Frau muß bei Lebzeiten ein wahrer Satan gewesen sein, daß sie nicht einmal in ihrem Rahmen Ruhe hat. Das gottheillose Bild gehört von Rechtswegen auf den Boden, hinter den Schlot, sag’ ich – da kann sie meinetwegen ohne Rahmen ’rumspazieren!“

Aber das Bild kam nicht auf den Hausboden. Margarete hängte es selbst mit Hilfe des Tapezierers an seinen alten Platz. Dann ging sie hinunter in ihre stille Hofstube, um sich ein wenig zu erwärmen.

Sie setzte sich an das Fenster und sah in den beschneiten Hof hinaus. Die Temperatur war etwas milder geworden, hier und da sank ein gelöstes Schneebällchen von den Lindenästen; Finken, Meisen und Spatzen tummelten sich auf den für sie hergerichteten Futterplätzen, und auch die Haustauben kamen herab und halfen die reichlich gestreuten Körner aufpicken.

Aber plötzlich flog die ganze Vogelgesellschaft lärmend auf – es mußte Jemand in den Hof, vom Packhause herkommen. Margarete bog sich über die Brüstung, und da sah sie den kleinen Max, wie er, die ängstlich suchenden Augen auf die Küchenfenster geheftet, direkt auf das Vorderhaus zu, durch den Schnee stampfte.

Die junge Dame erschrak. Wenn Reinhold den Knaben bemerkte, dann gab es einen Sturm … Sie öffnete das Fenster und rief das Kind mit halbunterdrückter Stimme zu sich. Es kam sofort herüber und zog sein Mützchen, und da sah sie Thränen in den trotzigen Augen.

„Die Großmama will umgebettet sein, und der Großpapa kann sie nicht allein heben,“ sagte er hastig. „Die Aufwärterin ist fortgegangen; ich habe sie überall gesucht und bin in der Stadt herumgelaufen, aber ich kann sie nicht finden. Nun haben wir Niemand! Ach, das ist zu schlimm! Und da wollte ich zu der guten Bärbe –“

„Gehe nur und sage dem Großpapa, es würde sofort Hilfe kommen!“ raunte Margarete hinab und schloß eilig das Fenster.

Der Kleine lief spornstreichs heim, und Margarete griff nach ihrem weißen Burnuß und ging nach der Wohnstube.

Tante Sophie war eben im Begriff auszugehen.

Das junge Mädchen theilte ihr im Fluge mit, daß augenblickliche Hilfe im Packhause nöthig sei, und schließlich sagte sie: „Ich weiß jetzt, wie ich unbemerkt hinüber kommen kann – durch den Gang und über den Bodenraum des Packhauses! Hast Du den Schlüssel zu der Dachkammer in Verwahrung?“

Die Tante reichte ihr einen neuen Schlüssel vom Haken. „Da Gretel, gehe Du in Gottes Namen!“

Margarete flog die Treppe hinauf, nicht ohne einen ängstlichen Seitenblick nach dem Komptoirfenster zu werfen; aber der Vorhang hing unbeweglich hinter den Scheiben; es war still und menschenleer in dem Hausflur, wie sich vorhin auch kein Gesicht an den Fenstern nach dem Hofe gezeigt hatte, und droben im rothen Salon waren nur noch die Tapezierer beschäftigt, den Teppich zu legen.

Sie huschte durch den Flursaal und die noch zurückgeschlagene Thür des Ganges; das neue Schloß der Dachkammerthür war schnell geöffnet, und auf dem ganzen Bodenraum trat ihr kein Hinderniß in den Weg, alle Thüren standen offen, auch die nach der Treppe führende war unverschlossen.

(Fortsetzung folgt.)

Der Stil in der Wohnung.

Von Ferdinand Avenarius.


Nach langer Zeit kraftlos magerer Blässe zeigen unsere Wohnungen wieder Form und Farbe, und die Sonne des Schönen blickt wieder freundlicher in unser Heim. Das danken wir der Renaissance. Aber sn dem Versuch, mit ihr ein unserer Zeit Neues wenig vermittelt einzuführen, lag eine Gefahr. Von tieferem Verständniß des Geistes der alten Kunst kann nur bei Wenigen die Rede sein. Verhehlen wir’s uns nicht: sie ist gar oft zur platten Mode geworden. Daß aber was in die Mode gekommen, auch wieder aus der Mode kommt, ist ein alter wahrer Satz.

Heut seien der Umschau darnach, was im zeitgenössischen Geschmack Mode ist und was mehr, einige ruhige Betrachtungen gewidmet. Man spricht jetzt aller Enden von „Stil“ – möge uns der Begriff des Stils Führer bei dem Folgenden sein!

Zunächst aber fragen wir uns einmal ganz allgemein und scheinbar ohne Beziehung darauf: wie soll eine Wohnung beschaffen sein?

Zweckmäßig! Das ist die Hauptsache, denn entspricht sie dem Zwecke nicht, bewohnt zu werden, so ist sie eben keine Wohnung, und entspricht sie ihm schlecht, so ist sie eine schlechte. Zur guten gehört, daß sie gesund sei. Sie braucht Wärme, Licht, Luft, nicht zu viel und nicht zu wenig, sondern angemessen dem Ort, auf dem sie steht, den Bewohnern, die drin hausen, und ihren Bedürfnissen. Eine luftige Säulenhalle, die der Sonne Hitze mildern soll, kann zweckmäßig im Süden und unzweckmäßig im Norden sein. Die Wohnung soll auch den geistigen Verhältnissen genügen, unter denen wir leben, unsern Sitten und Anschauungen – auch das gehört zur Zweckmäßigkeit! Ein Römerhaus, das weltabgeschlossen in sich hineinsieht, können wir nicht brauchen, denn unsere heutige Häuslichkeit trennt sich minder vom Leben draußen. Manch Material früherer Zeiten entspricht heute seinem Zwecke schlecht, weil es zu theuer geworden – das giebt uns ein Minus in der Rechnung. Die moderne Technik, die modernen Verkehrsmittel setzen ihm ein gewaltiges Plus entgegen, das zu Gunsten eines alten Stils zu ignoriren das Pfund vergraben hieße, mst dem wir wuchern sollten.

Nun aber kommen wir weiter: die Zweckmäßigkeit thut’s nicht allein. Nur Aermlichkeit – materielle oder geistige – begnügt sich damit, Stühle zu haben, auf denen sich sitzen, Tische, auf denen sich schreiben läßt, wie sie sonst auch sein mögen, kurz, mit jenem bloßen „Praktisch-Sein“, das doch ein Geräth nie und nimmer entbehren darf. Und daß wir uns nicht damit begnügen, hat einen in unserem Innersten wurzelnden Grund: den Drang des Menschen, Alles, was er sieht, zu beleben.

Der Wilde legt in die todte und grünende Natur überallhin Seele: seine Religion und sein Aberglauben, seine Märchen und Sagen, seine Gebräuche sind Zeugen dafür. Aber auch der höher Entwickelte läßt sich von Wald und Flur anheimeln und anfremden, und nicht minder von Haus und Hof, Geschirr und Geräth, wenn er künstlerisch empfindet, und bewußt oder unbewußt dichtet auch er Seele in Alles, was ihn umgiebt. Indem er bildet, kann er das auf zweierlei Art. Entweder er wandelt den Stoff, um ein draußen oder im eigenen Kopfe Erschautes ohne anderen Zweck darzustellen, als den, eben ein Bild zu schaffen. Oder er formt aus dem Stoffe einen Gegenstand heraus, der einem bestimmten Gebrauche dienen soll, und sucht ihn so zu gestalten, daß er eben dies Dienen in seiner Form ausspricht. Im ersteren Falle – beim Werke der reinen Kunst – vermittelt der Stoff nur Schauen, Fühlen und Denken des Künstlers; im zweiten – beim Produkt des Gewerbes – soll der Gegenstand von sich selber sprechen und in seiner Erscheinung sagen: aus diesem Stoffe besteh’ ich und diesem Zwecke dien’ ich.

Ein Geräth aber, das unserem Auge sagt, was es ist und was es soll, hat Seele, Leben und Sinn – hat Stil!

Wir wollen beim Metallgefäß die Eigenschaften des Metalls aus der Form erkennen, seine Kraft, Härte, Zähigkeit, beim Glasgebilde die Sprödigkeit, doch auch die schmiegsame Grazie und

Dehnbarkeit und Durchsichtigkeit des Glases. So darf die Form nicht wider die Natur des Stoffes sein: ein Dreifuß von Erz mag seine Füße biegen, ein Stuhl massiven Holzes darf es nicht, denn dessen Faserung läuft gerade, ein Stuhl aus Zweigen darf es, denn Zweige biegen sich. Ein Stuhl soll ferner sich behaglich öffnen, als lüd’ er uns ein zum Niedersitzen, denn dann spricht seine Form den Zweck aus; ein Tisch soll auf festen Füßen stehen, als sag’ er uns: belaste mich nur, ich breche nicht, ein Schrank sich kraftvoll verschließen, als wollt’ er sagen: vertrau’ mir Dein Gut, ich berg’ es sicher. Das Faß soll uns in seiner Formerscheinung schon andeuten, daß es seinen Inhalt nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_278.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)