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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Die Pole des Volta’schen Lichtbogens.

Es begann vor nunmehr beinahe 90 Jahren bei F. A. Leupold in Leipzig zu erscheinen. Sein Programm war, „die Theilnahme an einer guten Konversation zu fördern (daher der neue Name „Konversations-lexikon“ anstatt der früheren Bezeichnung „Encyklopädisches Wörterbuch“) und den Sinn für gute Schriften zu erschließen.“ Allein die Aufgabe war zu eng gegriffen; die Zeit war neuen Unternehmen nicht günstig. Dasselbe gerieth, noch bevor es ganz vollendet war, ins Stocken. So kaufte es Friedrich Arnold Brockhaus, der nicht nur der Gründer der jetzt in seinen Enkeln blühenden berühmten Leipziger Firma war, sondern auch als der wahre Vater, Bahnbrecher und Erfinder des Konversationslexikons zu betrachten ist, im Jahre 1808, zu welcher Zeit er noch in Amsterdam etablirt war. „Was will der Mann mit dem verkrachten Unternehmen machen? Hat er die Mittel, es neu zu beleben?“ fragte damals, 1808, zweifelnd die Geschäftswelt.

Rosenkohl.

Ja, er hatte die Mittel, wenn auch sein Betriebskapital noch gering war. Er hatte, und das ist die Hauptsache, die geistigen Mittel. Er wußte die an sich richtige, aber nicht bis zur Lebensfähigkeit entwickelte Idee des Unternehmens richtig aufzufassen, zu erweitern und zu vertiefen; und er besaß die Ausdauer, das Geschick und die Thatkraft, welche erforderlich waren, um der Idee die entsprechende Erscheinungsform zu verleihen. Er dehnte das Werk aus auf die Zeitgeschichte, namentlich auf die zeitgenössische Biographie, die Staats- und Rechtswissenschaften, die Geschichte und Politik, die Litteratur und die Naturwissenschaften etc. Er wußte tüchtige Mitarbeiter zu gewinnen; aber er selbst behielt die oberste Leitung; und das war gut, denn er allein besaß die nöthige Freiheit und Weite des Blickes, welche er sich durch seinen vielfachen Verkehr im In- und im Auslande, kurz im Strome der Welt, erworben hatte. Er wußte, was dem deutschen Volk noth that, und er hat es geleistet. So hat er von 1808 bis 1818 unablässig gearbeitet, und so lieferte er endlich in der zehnbändigen dritten Auflage (Altenburg und Leipzig, 1814 bis 1819) ein Werk, welches die Grundlage für die weiteren Auflagen bildet, bis zu dem heutigen Tage.

Die wachsende Gunst des Publikums, das immer neue Auflagen von stets vermehrter Anzahl der Exemplare verlangte, war seine Belohnung. Aber es ging mit diesem siegreichen Unternehmen wie mit einem siegreichen Krieg. Wer auf den letzteren zurückblickt, der sieht in demselben nur eine ununterbrochene Kette scheinbar fast mühelos errungener Triumphe. Nur wer näher zusieht, der sieht auch die ungeheuren Opfer, die kolossalen Schwierigkeiten, die bedrohlichen Wechselfälle, welche nur durch den äußersten Aufwand von Scharfsinn, Thatkraft und Tapferkeit überwunden werden konnten, der weiß, daß der Lorbeer erstritten werden muß und daß er Niemand in den Schoß fällt.

Glühlichtlampe von Edison.

In der That, das Brockhaus’sche Konversationslexikon ist ein Buch, worüber man ein Buch schreiben könnte. Ein solches Buch wäre ein hochinteressantes Kapitel der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte und zugleich eine fast rührende Historie des Kampfes wider Unverstand, Böswilligkeit und sonstige feindselige Mächte, von welchen ein großer Theil seinen Ursprung hatte in der damaligen unvollkommenen Verfassung und Gesetzgebung Deutschlands, oder sagen wir lieber: der einzelnen deutschen Staaten. Denn der Deutsche Bund hatte zwar eine gemeinschaftliche Polizei und ein gemeinschaftliches, von dem Fürsten Metternich ausgesonnenes System der Unterdrückung jeder nationalen und idealen Regung, aber eine gemeinsame Gesetzgebung hatte er nicht. So hatte denn Brockhaus zu kämpfen mit Nachdruck, Censur und polizeilichen Verboten. In dem einen Staat war der Nachdruck erlaubt und in dem andern war er verboten. Kaum hatte Brockhaus seine ersten Erfolge errungen, so bemächtigte sich der württembergische Nachdrucker A. F. Macklot seines Werkes, um ihn um die Früchte seines Fleißes zu betrügen. Was der einen Regierung gefiel, das mißfiel der andern. In dem einen Bundesstaat wurde dieser, in dem andern jener Artikel verboten. In dem einen dieser Band und in dem anderen jener. Und wenn eine Regierung keine Lust hatte, die Einzelheiten zu untersuchen und zu prüfen, dann verbot sie lieber gleich in Bausch und Bogen das Ganze. Der Raum, der mir zugemessen ist, verbietet mir, eine vollständige Darstellung dieser Leidensgeschichte zu geben, welche der Erzählung Homer’s von dem Unglück und den Kämpfen des „göttlichen Dulders Odysseus“ nicht nachstehen würde. Wer sich näher dafür interessirt, den verweise ich auf die Biographie des Friedrich Arnold Brockhaus von seinem Enkel Dr. Eduard Brockhaus (3 Theile, 1872 bis 1879, Band II, Seite 121 bis 163).

Und nun, nach dieser kleinen geschichtlichen Skizze, kehre ich zurück zu der Einleitung meines Aufsatzes, um das ganze Unternehmen, welches soeben in der dreizehnten Auflage erscheint und bis zum zehnten Band gediehen ist – im Ganzen werden es sechzehn Bände sein und das Werk geht rasch seiner Vollendung entgegen – kurz zu charakterisiren.

Auch auf geistigem Gebiet gilt, je mehr die Wissenschaft vorschreitet, je mehr sich die Einzelkenntnisse erweitern, vertiefen und ausdehnen, je mehr die Gesammterkenntniß sich steigert, desto mehr der Grundsatz der Arbeitstheilung, der Grundsatz der „Theilung der Geschäfte“, aber auch der der „Vereinigung der Kräfte“.

Früher, als das Gebiet des Wissenswerthen noch enger begrenzt war, gab es wohl einzelne gottbegnadete Personen, welche das Ganze mit einem genialen Blicke zu überschauen vermochten. Heute ist das nicht mehr möglich. Selbst der Gelehrteste von uns muß, wenn er offenherzig sein will, gestehen:

„Zwar viel ist mir bewußt,
Doch Alles weiß ich nicht.“

Krause Endivie.   Moos-Endivie.

Ich habe wohl schon Gelehrte sagen hören: „Wozu ein Konversationslexikon? Ich kenne meine Wissenschaft. Ich kenne die Litteratur. Ich weiß ja das Alles; oder ich weiß wenigstens, wo es zu finden.“

Ganz richtig! In deinem Fach weißt du’s. Aber wie ist es denn in den anderen Wissenschaften? Kennt der Mann der historisch-politischen Wissenschaften auch eben so gut die exakten Wissenschaften? Weiß der Jurist Bescheid in der Medicin, der Theologe in den Naturwissenschaften, der Industrielle in der Philologie und Geschichte? Oder umgekehrt?

Gewiß nicht! Also bedarf selbst der Gelehrteste eines solchen Hilfsmittels, namentlich wenn man eine Notiz oder ein Datum schnell braucht. Hat man doch nicht immer Zeit und Lust, seine eigene Bibliothek (vorausgesetzt, daß man eine hat) zu durchstöbern, oder nach der Staats-, Universitäts- oder Stadtbibliothek hinzuwandern.

Dieses Sammelwerk aber ist in der That eine ganze Bibliothek in nuce, – oder vielmehr eine Versammlung von ein paar hundert tüchtigen Gelehrten, die jede Minute zu meiner Verfügung stehen. Ich brauche sie nur anzutelephoniren, und sie geben mir sofort die richtige und zuverlässige Antwort.

Arbeiter im Staßfurter Steinsalzbergwerk.

Zum Schluß nun noch einige Notizen über die dreizehnte (neueste) Auflage, welche gegenwärtig ihrer Vollendung entgegensieht. Die erneuerte und stets wachsende Gunst, durch welche das Publikum dies Unternehmen auch in seiner neuesten Phase aufmuntert, liefert den Beweis, daß es das Richtige getroffen. Der riesenhaft anwachsende Stoff ist mit eben so viel Geschick als Ausdauer bewältigt. Das Verzeichniß der Mitarbeiter zählt über zweihundert Namen von gutem und bestem Klange. Die Illustrationen sind gelungen, sowohl die großen, nämlich die Bildertafeln und die geographischen Karten, als auch die kleinen, nämlich die im Text abgedruckten Holzschnitte. Namentlich die naturgeschichtlichen, technischen und kunstgewerblichen Artikel haben durch die Illustrationen an Anschaulichkeit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_271.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2021)