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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

auch den letzten Besuch Georg’s in dem Weberhause alsbald herausgeschnüffelt und haarklein darüber Wahres und Falsches berichtet.

Seitdem sann Rosine den ganzen Tag und mit Beeinträchtigung ihres sonst sehr gesunden Schlafes auch sogar einen Theil der Nacht hindurch darüber nach, wie sie sich an der Weberdirne rächen und zugleich auch dem Georg eins versetzen könne, gewissermaßen auf Abschlag, denn die volle Heimzahlung der erfahrenen Kränkung mußte für den Ehestand aufgespart bleiben, und Rosine konnte vor sich hin sitzen, das volle, weiche Gesicht in beide Hände gestützt, und ein wahres Vergnügen bei dem letztern Gedanken empfinden.

Aber auch für jetzt hatte sie endlich einen gar nicht übeln Plan ausgeklügelt. Sie mußte und sollte von den Handtüchern mit den gestickten Borden haben, wie sie die Frauen und Mädchen bei den fremden Weberleuten so geschickt auszuführen verstanden. Das war eine ganz gediegene Vermehrung der Aussteuer, und deßhalb zeigte sich auch die sonst so sparsame Frau Külwetter dem Ankauf nicht abgeneigt. Denn der Leinenschatz eines Mädchens war ja ein sicheres Kapital, und das Geld, welches man hineinsteckte, wohl angelegt.

Ehe sich aber eine Bürgersfrau von damals dazu verstand, einen Gang zu thun, wie der hinaus in die Weberniederlassung, jenseit des Stadtthores, aus dem man in seinem Leben kaum ein Dutzendmal heraus kam, da mußten schon am frühen Morgen die bessern Kleider und zur Fürsorge auch das Regentuch aus den lavendelduftenden Truhen genommen und bereit gelegt und das Haus auf einen ganzen Nachmittag bestellt werden. Die schlaue Rosine ließ die Mutter erst Tage lang bei dem Gedanken an ein solches Unternehmen seufzen, dann hatte sie mit einem Male die allerbequemste Auskunft bereit. Die Gertrud hatte es einer Nachbarin und diese wiederum einer andern gesagt, welche ihr Weg doch hinaus vors Thor führte, und, kurz und gut, die Mutter konnte ruhig zu Hause bleiben, eine der fremden Dirnen war bestellt und würde die Muster der schönsten Borden, darunter man dann eine Auswahl treffen konnte, zu Külwetters ins Haus bringen.

Daß sie, Rosine, die Gertrud in eigner Person mit einer ausdrücklichen Bestellung zur Tochter des Meister Lukas geschickt hatte, brauchte Frau Külwetter nicht zu wissen, und es glückte, ihr zur rechten Zeit etwas vorzumachen. Und da Rosine nun wußte, auf wann die Weberstochter zu kommen zugesagt hatte, so war es ganz einfach, in der weitern Verfolgung ihrer Absicht der Mutter einen andern Tag als den bezeichneten zu sagen und mit ein paar weitern kleinen Kunstgriffen sich das Feld für den Anfang wenigstens frei zu halten.

Das Schwierigste war, den Anlaß für die Anwesenheit Georg’s in ihrem Hause zu finden und sich diese zu sichern. Rosine aber war gesonnen, nichts unversucht zu lassen. Von ihrem Erkerfenster aus konnte sie sehen, wer bei Bürgermeisters aus- und einging. Die Spätnachmittagsstunde, in der Hilde zu kommen zugesagt hatte, nahte heran. Rosine saß mit klopfendem Herzen am Fenster und bewachte drüben die Hausthür. Georg war zu Hause, das wußte sie. Blieb er im Hause, so konnte sie zur rechten Zeit die Gertrud hinschicken und ihn herüber bitten lassen, damit er ihr zu dem Kaufe seinen Rath gebe. Da aber – ihre Augen begannen zu funkeln – da trat er aus der Thür, das Barett auf dem Kopfe, zu einem Ausgange bereit. Rosine sprang in die Höhe, nicht willens, den besten Theil ihres Planes zu opfern. Gertrud sollte hinunter, ihn aufhalten … der Vorwaud würde sich schon finden. Georg aber schritt langsam über den Marktplatz, das Glück war Rosinen günstig, er kam auf ihr Haus zu … Er kam, sie zu besuchen, gerade jetzt, von selber! Im Gefühl ihres Triumphs lachte das Mädchen laut auf, dann aber hob sie sich auf die Zehen, hinter dem Vorhang stehend, etwas ängstlich noch immer … wenn er nur nicht im letzten Augenblick andern Sinnes wurde!

Nein, die Hausthür ging, sein Schritt kam durch den Flur, und nun glitt Rosinchen geschwind durch die Stube, setzte sich auf den Stuhl vor ihr Spinnrad, dann aber, einem zweiten Gedanken folgend, trug sie das Rädchen vor die hölzerne Bank mit der Lehne, auf welcher zwei Personen Platz hatten. Und nun schnurrte das Rad auch schon, und Jungfer Rosine machte ein Gesicht, als ob sie den ganzen Tag dagesessen und gesponnen hätte.

Georg trat ein. Rosine hätte sein Klopfen überhört, so vertieft war sie. Erst als er vor ihr stand, bemerkte sie ihn, und wie sie nun lächelnd zu ihm in die Höhe blickte, während sie zugleich den runden Arm ausstreckte und, ein wenig vorn über gebeugt, in das Rad griff, um es aufzuhalten, sah sie wirklich ganz allerliebst aus.

„Laßt Euch nicht stören, Bäschen, das Radschnurren ist gar keine üble Musik,“ sagte Georg, indem er sich mit einem halben Seufzer der Ermüdung neben sie auf die Bank nieder ließ. Er hatte also keine Lust zum Reden, was eigentlich kein Kompliment für Rosinen war. Sie ließ sich aber, klug wie sie in diesen Dingen war, seine schweigsame Laune gefallen und that nach seinem Begehr. So neben ihr und etwas weiter zurück sitzend, konnte er aus nächster Nähe den rosigen Nacken, das kleine Ohr und einen Theil der runden Wange betrachten, was alles schon an sich eine zärtliche Sprache redete, ohne daß Rosine die Lippen zu öffnen brauchte. Es dauerte auch nicht lange, so stähl sich sein Arm um sie herum, und wenn er auch auf der Lehne der Bank ruhen blieb, so konnte er sie doch jeden Augenblick umschließen, und sie brauchte sich nur ein wenig zurückzulehnen, um der Stütze dieses Armes zu genießen.

So sah denn das Pärchen für einen etwa Eintretenden einig genug aus. Georg, in seine trüben Gedanken verloren, empfand Rosincns ruhige Nähe wohlthätig und blickte, als jetzt die Thür ging, etwas unwirsch über die Störung in die Höhe. Ganz anders Rosine, deren Herz stärker gegen das straffe Mieder klopfte. Sie hatte, während sie emsig spann, ebenso auf jedes Geräusch im Hause gelauscht, und das Oeffnen und Schließen der Hausthür, die Schritte draußen und dann eine fremde, ziemlich tiefe Stimme waren ihr nicht entgangen, indeß Georg aus dem Allen nicht das mindeste Arg hatte.

Trudchen, die Magd, war von draußen in die Thür getreten. Ueber dem Schnurren des Rades verstand Georg nicht, was sie ihrer Jungfer sagte. Rosine aber entgegnete über die Schulter zurück mit scharfer Stimme: „Sie kommt spät genug … sie mag warten. Laß sie sich in die Küche setzen, bis ich komme.“

Die Magd hatte sich wieder entfernt, Rosine spann weiter, und Georg hatte den kleinen Zwischenfall, den er kaum beachtet hatte, vergessen. Er ahnte nicht, daß das Mädchen neben ihm klopfenden Herzens ihre Zeit abmaß und schon jetzt ihrer Rache Genüge that an eben Derjenigen, bei deren reinem Bilde seine sehnsüchtigen Gedanken weilten. Ja, er dachte an Hilden, wie er Täg und Nacht that, so auch jetzt, in Gegenwart Rosinens und unter der Einwirkung ihres oberflächlichen Reizes.

Und Jungfer Külwetter war keineswegs ohne eine Ahnung dieser heimlichen Abtrünnigkeit, mit der sie sein träumerisches Schweigen in eine ganz richtige Verbindung brachte. Dasselbe ärgerte sie auch je länger je mehr, aber sie behielt sich in der Gewalt. Endlich fuhr sie herum, ließ das Rad stocken und lachte ihn an. „Wie redselig Ihr seid, Herr Vetter!“

„Ich?“ Georg war etwas beschämt … „Ihr habt Recht, mein hübsches Bäschen, ich bin ein allzu schlechter Gesellschafter; Ihr verdient einen besseren. Halte ich Euch etwa von einem häuslichen Geschäfte ab? Ist mir nicht, als hättet Ihr vorhin sollen abgerufen werden?“

„Ja, draußen ist Jemand, der feil hält,“ sagte Rosine mit angenommener Gleichgültigkeit. „Da Euch das Radschnurren behagte, wollte ich nicht abbrechen. Aber Ihr wißt es Einem auch gar so schlechten Dank!“

Das runde Kinn senkte sich auf den Busen, das gute Kind schmollte. Georg fühlte seinen Unwerth ihrer mehr als verwandtschaftlichen Güte. „Rosinchen –“ er hatte sich über sie geneigt und sprach leise, mit zärtlichem Vorwurf. In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür hinter den Beiden. Rosine, aufhorchend, veränderte ihre Stellung nicht, nur daß sie vielleicht ein klein, ganz klein wenig dichter an Georg herangerückt war. Sekunden lang blieb alles still; die Person, welche hatte eintreten wollen, schien beim Anblick des allem Anschein nach ganz vertieften Paares stutzig geworden zu sein. Dann ließ sich die laute Stimme Gertrud’s vernehmen. Die Dirne hatte die Verabredung geschickt befolgt. Jetzt rief sie von draußen, hinter der Fremden stehend: „Nur herein, Jungfer … Ihr dürft immer eintreten. Nicht wahr, Rosinchen? oder hab’ ich Euch falsch verstanden?“

Rosine war aufgefahren; wie verwirrt, tief aufathmend strich sie das Haar aus dem glühend rothen Gesicht. Georg wußte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_266.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2020)