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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

vornehmlich vorm Palais und um das Standbild Friedrichs des Großen, das mit Kränzen und Blumen reich geschmückt war. Ein märchenhafter Anblick entwickelte sich. Bunte und vergoldete Galawagen und Karossen in schier endloser Zahl fuhren auf die Rampe des kaiserlichen Gebäudes. Das blitzte von reichgeschirrten Pferden, Uniformen, Federbüschen und Ordenssternen nicht minder, als von dem Gold der Epauletten und dem Silber der Harnische. Fürsten und höchste Herrschaften, diesmal von auswärts zahlreicher, denn jemals, nahten sich zur Gratulation, und erst gegen zehn Uhr, als die Klänge vom Dom zur kirchlichen Feier einluden, vertheilte sich das Publikum.

Das Gotteshaus war überfüllt. Kopf an Kopf drängte sich die Menschenmenge bis an den Ausgang, und die feierliche Stimmung ward gehoben durch die Orgeltöne, die vom Chore herabdrangen. Nach beendeter Feier begann abermals die Auffahrt am Palais, und unter brausenden Hurrahs und Hüteschwenken des nun wieder herbeiströmenden Publikums fuhren neue Glückwunschbringende vor.

Und nach dieser Zeit begann sich die Stadt zu besonderen Feiern zu regen. In der Akademie der Künste und in der Universität wurden Festreden gehalten, in den höheren Schulen vollzogen sich schon am Sonnabend gleiche, den Tag würdigende Feiern, und in dem ganzen Berlin erhob sich heute der Blick zu der bekränzten Büste oder dem Bilde des Kaisers, das fast in keinem Hause fehlt.

Um 12 Uhr erfolgten die Salutschüsse vom Königsplatz, und etwa um dieselbe Zeit ward im Kastanienwäldchen unter Beisein der höchsten militärischen Chargen die Parole ausgegeben. Abermals ein überaus anziehendes Bild, denn gerade brach die Sonne wieder hervor und bestrahlte die zahllosen glänzenden Helme und bunten Uniformen. Und vom Rathhaus in der Königstraße brausten die Klänge der Militärmusik zu Ehren des Tages herab, und auch hier stauten sich die Menschenmassen und feierten durch ihre Anwesenheit den Tag.

Mit Beginn des Nachmittages begannen die zahlreichen, dem Tage gewidmeten Festessen. Im Kronprinzlichen Palais fand die Familientafel statt, im Rathhause tafelten 250 Stadtverordnete und hörten auf die zündende Festrede des Oberbürgermeisters von Forckenbeck. Der eiserne Kanzler hatte die Botschafter und Gesandten um sich versammelt, und bei sämmtlichen Häuptern der Reichs- und preußischen Ministerien erschienen die Geladenen. Aber auch der Reichs- und Landtag und zahlreiche Civilbeamten- und Militär-Korporationen hatten Vorbereitungen für diesen Tag getroffen, um Kaiser Wilhelm zu ehren.

Am Abend stürzte sich fast die ganze Bevölkerung in den Rausch des Vergnügens. Alle Theater brachten Festvorstellungen mit Prologen und Jubel-Ouvertüren. In allen öffentlichen Lokalen, bis auf den Keller herab, herrschte, wohin man blickte, eine gehobene, begeisterte Stimmung, und namentlich an den vornehmeren Häusern der Hauptstraßen entzündeten sich die Lichter zu einer wahrhaft feenhaften Illumination.

Die großen Ministerialgebäude in der Wilhelmstraße versanken fast in dem Lichte der Transparente, und von dem Rathhausthurm flammten rothe Flammengarben in die dunkle Nacht. Gesang, Jubel, Bewegung, Hochs, Hurrah, Begeisterung! Ein fröhlicher, ausgelassener Taumel der Berliner Bevölkerung, wie kaum eine Feder ihn zu beschreiben vermag!

Und als endlich die Nacht allmählich alle Lichter löschte, stand noch Kaiser Wilhelm’s Glücksstern am Himmel und in ihm leuchtete verheißungsvoll:

„Noch lange Jahre glänze ich ihm zum Ruhme, dem deutschen Volke zum Segen.“ Hermann Heiberg.     


Deutschlands merkwürdige Bäume. Nr. 5. Die Heinrichs-Linde in Braunschweig. (Mit Illustration S. 241.) Als in Braunschweig, nach der Rückkunft Herzogs Karl II. von Paris, in den ersten Tagen des Monats September 1830 die Unruhen ausbrachen, welche am 7. September mit der Flucht des „Souverains“ und dem Brande des Residenzschlosses endeten, da wurde, um den murrenden Arbeitern Verdienst zu verschaffen, höchsten Ortes der Abbruch der an der Südseite des Domes stehenden mittelalterlichen Gebäude beschlossen, welche zu dem von Heinrich dem Löwen im Jahre 1170 neu begründeten Stifte St. Blasii gehörten. Nachdem dann der letzte Rest der Stiftsgebäude weggeräumt war, entstand dort der Wilhelmsplatz, dem am 18. Oktober v. J. heimgegangenen Herzoge zu Ehren so benannt.

An der Westseite desselben steht, als letztes Ueberbleibsel des ehemaligen Domkirchhofes, ein alter mächtiger Lindenbaum, an den, gebannt von dem Zauber der Sage, man im Sturmjahre 1830 die Axt nicht zu legen wagte. Dieser Sage zufolge soll Heinrich der Löwe den Baum mit eigener Hand gepflanzt haben, weßhalb er vom Volksmunde die „Heinrichs-Linde“ genannt wird und, wie der von diesem mächtigen Fürsten einst vor seiner Burg aufgestellte eherne Löwe, zu dem Wahrzeichen der Stadt Braunschweig gehört. Ist auch jene Sage unverbürgt, so steht doch unzweifelhaft fest, daß dieser Baum, dessen Stamm einen Umfang von nahe 20 Fuß hat, so alt ist wie der Dom selbst, dessen südliche Giebel er in jedem Lenz mit frischem Grün bekränzt. Seine Berühmtheit reicht ins Mittelalter zurück, und von seiner Popularität zeugt es, daß man ohne nähere Bezeichnung von der „Linde in Braunschweig“ sprach und daß damit Jedermann in Niedersachsen wußte, welche Linde gemeint sei.

Wie für das Herzogthum Braunschweig, so ist das Jahr 1830 auch für den berühmten alten Baum verhängnißvoll geworden. Man hatte ihn damals zwar vor einem jähen Tode bewahrt, aber seitdem nichts für seine fernere Erhaltung gethan. So lange die Linde, geschützt durch die sie umgebenden Gebäude, ihre Wurzeln in dem lockeren, fruchtreichen Boden des Domfriedhofes ausstreckte, trug sie in jedem Sommer eine über 70 Fuß hohe üppige Laubkrone. Nachdem sich aber das Straßenpflaster um ihren Stamm her fester und immer fester schloß, da begann die Krone abzusterben, und jetzt ist, wie unser Bild zeigt, der eine ihrer beiden mächtigen Hauptäste fast vollständig verdorrt. Dem weiteren Fortschreiten dieses Absterbens hat man durch eine theilweise Entfernung des Straßenpflasters und durch Zuführung von Wasser in dürrer Jahreszeit zu wehren gesucht, ein zu der ferneren Erhaltung des Baumes Hoffnung gebendes Resultat scheint aber erst dadurch erzielt worden zu sein, daß man vor zwei Jahren den nördlichen Theil des Wilhelmsplatzes nach dem Dome zu in eine Rasenfläche mit Bosquetanlagen verwandelt hat, in welche auch die alte Linde mit aufgenommen ist. – C. St.     


Der Hausirer. (Mit Illustration S. 245.) Ein Stücklein alter „Landstraßen-Poesie“ ist noch in dem Hausirer übrig geblieben, der seinen Weg von Dorf zu Dorf zieht, fernab der Eisenbahn und der großen Heerstraße. In jeder Hütte ist er ein willkommener Gast, den man gern zum Wiederkommen auffordert. Aber er versteht auch sein Geschäft, Jedem weiß er das Passende anzubieten. Ei, ei, das Passende? Ist etwa die kurze Pfeife mit dem schön gemalten Porcellankopfe, die der alte Hausirer unseres Bildes der prächtigen, lachenden jungen Dirne anbietet, für diese ein „passender“ Einkauf? Daß die moderne Städterin ihre Cigarette qualmt, ist schon richtig, aber auf dem Dorfe ist das weibliche Geschlecht noch nicht bis zur Pfeife herabgesunken. Doch der hausirende Menschenkenner weiß schon, warum er die Pfeife dem Mädchen zeigt, und sicher ist in der nächsten halben Stunde nach üblichem Feilschen und Dingen die Pfeife im Besitze Liesens, des Abends aber in dem Hansens, der sie – ganz gewiß ohne Feilschen – gegen ungezählte Küsse von Liesen eingehandelt hat. –r.     


Das Klettern der Fliegen. Es giebt in der Natur eine große Zahl einfachster Erscheinungen, die wir tagtäglich sehen und deren Deutung doch ungemein schwierig ist. So blieb auch die Kunstfertigkeit, mit welcher die Fliegen und andere Insekten an senkrechten glatten Wänden auf und ab laufen können, lange Zeit ein undurchdringliches Geheimniß. Aber auch der gymnastischen Tausendkünstlerin, die selbst über die Decke zu laufen versteht, ist man endlich auf die Spur gekommen. Anfangs, da man gefunden hatte, daß die Füße der Thierchen mit zahllosen Härchen besetzt sind, nahm man an, daß die Haare in die Poren der Wände eindringen und so das Festhaften der Insekten ermöglichen. Das war aber eine unglückliche Erklärung, denn die Fliegen laufen auch auf Glasflächen, die bekanntlich keine Poren besitzen. Dann hatte man eine recht tiefsinnige Theorie aufgestellt, nach der die Fliegen den mittleren Theil ihrer Fußsohle nach dem Aufsetzen heben und auf diese Weise einen luftleeren Raum erzeugen sollten; nun konnten sie an den Wänden hängen, wie ein kleines Fläschchen, aus dem wir die Luft ausgesogen, an unserer Lippe oder Zunge hängen bleibt. Auch das war weiter nichts als graue Theorie, denn das Mikroskop belehrte uns, daß den Fliegenfüßen die zu dieser Manipulation nöthigen Muskeln gänzlich fehlen. Das Geheimniß der Kletterkunst der Fliege blieb also ungelöst und das reizte die Forscher zu neuen Untersuchungen an.

Man fand nun, daß die Fliegenfüße eine Flüssigkeit absondern, deren Spuren sich auf Glasflächen etc. nachweisen lassen, und nahm an, daß dies ein Klebestoff sei, der schnell fest werde und die Fliegen festhalte. Aber auch diese Erklärung gefiel den Gelehrten nicht, denn so scharfsinnig sie war, es fanden sich Scharfsinnigere, welche mit Recht einwarfen, daß eine Fliege, die längere Zeit an einem Orte sitzt, schließlich festkleben müßte, während sie sich doch in Wirklichkeit mit der größten Leichtigkeit zu jeder Zeit weiterbewegen kann. Endlich stellte man die neueste und plausibelste Theorie auf. Danach sollen die Füße unserer Fliegen nur ein wenig flüssiges Fett absondern, das die Härchen der Füße benetzt und, wenn es mit den glatten Wänden in Berührung kommt, vollständig genügt, um das Herabfallen des Insektes zu verhüten. Man wies die Richtigkeit dieser Behauptung mit Zahlen nach. Man sah nämlich, daß Haare von 16 Centimeter Länge mittelst eines Oeltröpfchens, das nicht größer war, als der Haardurchmesser, an einer Glasplatte haften blieben. Nun sind aber die Fliegenfüße mit Haaren sehr reich gesegnet, denn an der Unterseite eines jeden der sechs Füße befinden sich nicht weniger als 1600 bis 2000 Härchen, und diese vermögen mit ein bischen Oel getränkt wohl eine Fliege an der glattesten Wand zu halten, da sie im Durchschnitt nur 45 Milligramm wiegt. Jetzt erklärt es sich auch, warum die Fliege auf angehauchter Glasfläche nicht gut laufen kann. Das Fett ihrer Füße mischt sich nicht mit den Wassertröpfchen des Hauches, kann also an dem Glase nicht haften, sodaß die Fliege in Folge dessen herunterfallen muß. Aus demselben Grunde bewegt sich die Fliege höchst ungeschickt auf bestäubten Flächen. Die Zwischenräume zwischen den Härchen füllen sich nämlich mit Staub, der die Wirkung der abgesonderten öligen Flüssigkeit paralysirt. Aber diesem Uebelstande weiß die Fliege abzuhelfen, denn sie trägt ihre Staubbürste mit sich. Sie hebt dann ihre Füße in die Höhe und reibt sie tüchtig an den mit rauhen Haaren besetzten Flügeln ab. In kurzer Zeit sind sie gereinigt, und die Fliege kann wieder prächtig laufen. Die meisten Menschen denken, die Insekten putzten sich dabei ihre Flügel – nun, wenn die Fliegen das wüßten, würden sie Manchen ob seiner Weisheit auslachen. –i.     


Die „Bismarck-Literatur“ ist, wie vorauszusehen war, gelegentlich des Jubiläums des Reichskanzlers zu einer wahren Hochfluth angeschwollen. Auch nur die Titel der einzelnen Werke an dieser Stelle aufzuführen, wäre eine Unmöglichkeit, wir beschränken uns daher darauf, unseren Lesern nur einige derselben namhaft zu machen, aus denen das Gesammtbild unseres großen Staatsmannes sich übersichtlich und scharf abhebt. Vor allen ist hier zu nennen die von dem bekannten Tübinger Historiker Professor Wilhelm Müller veranstaltete Jubiläumsausgabe „Reichskanzler Fürst Bismarck 1815 bis 1885“ (Stuttgart, Verlag von Karl Krabbe) – ein treffliches, von jeder Parteileidenschaft sich fern haltendes Buch, dessen Zweck der Verfasser darin sieht, daß es die Kenntniß eines so reichen und großartigen Lebens in den verschiedenen Stadien seiner Entwickelung vermittelt, eine Kenntniß, die „Sache jedes nationalgesinnten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_255.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2020)