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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Onkel! – Nun Du weißt, wie ernst ich’s meine, wirst Du auch nicht anstehen, die Großmama zu bestimmen, daß sie mich nicht länger bestürmt – sie erreicht doch nichts!“ –

„Wenn Du den Mann liebtest, dann würden Deine strengen Principien unterliegen – er bliebe der Sieger!“

„Nein! Und tausendmal nein!“

„Margarete!“ – Er trat plötzlich auf sie zu und ergriff ihre beiden Hände. „Ich sage ,wenn Du ihn liebtest‘. Kannst Du Dir wirklich nicht denken, daß man, um das Glück eines anderen Menschenlebens zu werden, seine Antipathien, seine liebsten Neigungen, ja, ganz und gar sich selbst überwindet und hingiebt?“

Sie preßte die Lippen auf einander und schüttelte heftig den Kopf.

„Du willst sagen, daß Du kein Verständniß für das Wesen der Liebe hast?“ Er drückte ihre Hände fester, die sie ihm zu entziehen strebte.

Ihre Augen hafteten am Boden, sie sah nicht auf. „Muß das sein?“ murmelte sie mit tieferblaßten Lippen. „Ist ein solches Verständniß nöthig für jedes Menschenkind, und kann man nicht auch durchs Leben gehen, ohne jener dämonischen Macht Raum zu geben?“ Sie richtete sich plötzlich auf und entzog ihm mit einem gewaltsamen Ruck ihre Hände. „Ich will nichts mit ihr zu schaffen haben!“ rief sie, und in ihren Augen brannte ein wildes Feuer. „Seelenfrieden will ich, und nicht jenen mörderischen Kampf –“ einen Moment hielt sie wie erschrocken inne, als ertappe sie sich selber auf einer Unvorsichtigkeit. – „Ich würde übrigens nicht unterliegen,“ setzte sie beherrschter hinzu. „Mein bester Helfer wäre der Kopf – ich hoffe, er ist hell und stark genug dazu.“

„Glaubst Du? Nun, so versuche es und leide, bis –“ er brach ab, und sie sah scheu zu ihm auf – so tieferregt hatte sie seine Züge noch nicht gesehen. Aber er hatte eine wunderbare Gewalt über sich selbst. Nachdem er den Wintergarten einmal durchschritten, trat er wieder auf sie zu.

„Wir müssen wieder in den Salon zurückkehren,“ sagte er ganz ruhig. „Du würdest in Verlegenheit kommen, wenn man Dich drüben um Dein Urtheil befragte, denn Du hast Nichts gesehen. Drum betrachte Dir hier das prächtige Palmenexemplar, dort die canarische Dracaena. Und sieh, hier über das Tulpen- und Hyacinthenbeet hängt der spanische Flieder seine Trauben: sie sind am Aufbrechen – ein wahres Frühlingsbild! Hast Du Dich nun ein wenig orientirt?“

„Ja, Onkel!“

„,Ja, Onkel!‘“ wiederholte er spöttisch. „Der Titel kommt Dir ja heute wieder einmal recht flink von den Lippen; Du siehst hier wohl ganz besonders die altehrwürdige Respektfigur in mir?“

„Hier nicht anders, als daheim auch.“

„Also immer! Der Onkeltitel geht und steht mit mir, wie mit Jenem der Zopf, ‚der ihm hinten hing‘. Nun, ich will ihn ertragen, bis Du Dich vielleicht einmal auf meinen Namen besinnst.“

Bald nachher saßen die Drei wieder im Schlitten; aber sie fuhren nicht nach der Stadt zurück. Der Landrath lenkte in den Feldweg ein, der das Ackerland seitwärts durchschnitt und direkt nach Dambach führte. Sein Vater habe heute Morgen über Rheumatismus in der Schulter geklagt, und da wolle er doch sehen, wie es um den Patienten stünde, sagte Herbert und trieb die Pferde an.

Die Frau Amtsräthin kauerte mißgelaunt in ihrer Ecke. Der Abstecher war durchaus nicht nach ihrem Geschmack; aber sie wagte nicht, offen zu protestiren. Statt dessen sprach sie sich mißbilligend und sehr scharf über Margaretens Schweigsamkeit aus – sie habe zwischen den Damen gesessen wie eine Landpomeranze, der man jedes Wort abkaufen müsse und die nicht „drei“ zählen könne.

„Das Schweigen hat auch sein Gutes, Persönlichkeiten gegenüber, deren Antecedentien man nicht ganz genau kennt, liebe Mama,“ raunte der Landrath dicht an ihrem Ohr. „Mir wäre es heute auch lieber gewesen, Du hättest Dich nicht so rückhaltlos über die Ballerinen ausgesprochen – die Baronin Taubeneck ist auch eine gewesen.“

„Großer Gott!“ Die Frau Räthin sank mit diesem Ausruf wie vernichtet in sich zusammen. „Nein, nein, das ist ein Irrthum, Herbert, eine bodenlose Verleumdung böser Zungen!“ raffte sie sich nach kurzem Besinnen wieder auf. „Die ganze Welt weiß, daß die Gemahlin des Prinzen Ludwig von altem Adel gewesen ist –“

„Gewiß. Aber die Familie war seit Langem total verarmt. Die letzten Träger des alten Namens waren Subalternbeamte, und die zwei schönen Schwestern, die Baronin Taubeneck sowohl, als auch die verstorbene Gräfin Sorma, haben unter angenommenen Namen als Tänzerinnen ihr Brot verdient.“

„Und das sagst Du mir heute erst?“

„Ich weiß es selbst erst seit Kurzem.“

Die Frau Amtsräthin sprach kein Wort mehr. Wenige Minuten später hielt der Schlitten im Dambacher Fabrikhofe. Das Abenddunkel war längst hereingebrochen, und aus den langen Fensterreihen der Arbeitssäle fiel heller Lichtschein auf die breite Schneefläche des Hofes.

Die alte Dame zog tiefaufseufzend, unter hörbarem Frostschütteln den Pelz über der Brust zusammen und trippelte am Arm ihres Sohnes über den schneebedeckten Kiesweg des Gartens. Bei der Biegung der Weglinie um den festgefrorenen Teich sahen sie den Amtsrath am offenen Fenster seines Zimmers stehen. Die Lampe brannte auf dem Tische hinter ihm; er war im Schlafrock und klopfte seine Pfeife am Fensterbrett aus.

„Nun sehe mir Einer den Mann!“ schalt die Frau Amtsräthin geärgert mit unterdrückter Stimme. „Er behauptet rheumatisch zu sein und stellt sich bei der entsetzlichen Kälte ans offene Fenster!“

„Ja, das sind so Reckengewohnheiten, Mama – die ändern wir nicht,“ lachte der Landrath und führte sie nach der Thür des Pavillons.

„O je, was für ein rarer Besuch!“ rief der alte Herr, sich vom offenen Fenster zurückwendend, während seine Frau über die Schwelle schritt. „Potztausend, Franziska, bist Du’s denn wirklich? Und so bei Nacht und Nebel, bei Schnee und Eis? Das hat seinen Haken!“ Er schloß schleunigst das Fenster, durch welches allerdings ein eisiger Zugwind fauchte. „Soll ich Kaffee kochen lassen?“

Die alte, kleine Dame schüttelte sich förmlich. „Kaffee? Um diese Zeit? Nimm mir’s nicht übel, Heinrich, aber Du verbauerst entsetzlich in Deinem Dambach! – es ist ja nahezu Theezeit! … Wir kommen vom Prinzenhofe –“

„Dacht’ ich’s doch! Da sitzt der Haken –“

„Und wollten nicht in die Stadt zurückkehren, ohne uns zu erkundigen, wie es Dir geht.“

„Danke für gütige Nachfrage. Je nun, es reißt und zwickt mich in der linken Schulter, und der Rumor wird mir manchmal ein Bischen zu bunt – das ist richtig. Ich habe heute schon ein paarmal dazu gepfiffen, um wenigstens Takt in die Geschichte zu bringen.“

„Sollen wir Dir nicht doch den Arzt herausschicken, Vater?“ fragte Herbert besorgt.

„Nichts da, mein Sohn! In die alte Maschine, da –“ er zeigte auf seine breite Brust – „ist zeitlebens kein Tropfen Quacksalbergift gekommen, da werde ich mir doch nicht in meinen alten Tagen noch das Blut verderben! … Die Faktorin ist mir mit Senfspiritus fürchterlich zu Leibe gegangen und hat mir ein Wergbündel übergebunden; sie behauptet, das würde mir helfen –“

„Ja, besonders, wenn Du bei der Kälte ans offene Fenster trittst, wie vorhin!“, sagte die Frau Amtsräthin anzüglich und fuhr mit dem Muff zertheilend durch den Tabaksdampf, der sich nun bei geschlossenem Fenster sehr bemerklich machte. „Ich weiß schon, mit dem Arzt darf man Dir nicht kommen; aber Du solltest es wenigstens mit einem Hausmittel versuchen.“

„Vielleicht ein Täßchen Kamillenthee, Fränzchen?“

„Nein, Lindenblüthe mit Citronensaft würde praktischer sein; das hilft mir immer – Du mußt schwitzen, Heinrich!“

„Brr!“ schüttelte er sich. „Dann lieber gleich ins Fegfeuer! … Siehst Du, Maikäferchen –“ er schlang seinen Arm um Margaretens Schultern, die längst Hut und Mantel abgeworfen hatte und an seiner Seite stand – „so soll Dein alter Großvater maltraitirt werden! In den Spittel mit ihm, wenn er wirklich Lindenblüthe trinkt – meinst Du nicht?“

Sie lächelte und schmiegte sich an ihn. „In solchen Dingen bin ich unerfahren wie ein Kind, Großpapa, da darfst Du nicht an

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_244.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2024)