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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

geschlagen. Jetzt aber richtete sie sich in die Höhe und stampfte mit dem Fuße auf, während ihr volles frisches Gesicht sich auffallend verdunkelte. Gertrud kam von ihrem Schemel herunter und trat näher. „Die Liese, das dumme Ding“ – eine Magd aus dem Nachbarhause – „meinte neulich, für Einen, der die Haustochter heirathen solle, mache sich der junge Herr doch auch gar so rar hier“ – sagte sie lauernd. „Und so ganz Unrecht hat sie nicht, Rosinchen.“

Rosinens große blaue Augen füllten sich bei diesen Worten mit zornigen Thränen, und sie ballte die Hände, ein Zeichen, daß ihre schwerfällige Natur, was diesen Punkt betraf, schon längst zur Empfindlichkeit aufgerüttelt war. „Er soll es mir noch entgelten,“ murmelte sie. „Wenn der öffentliche Verspruch nur erst gewesen ist ...“

An Meinungsverschiedenheit über die Mitgift konnte die Verzögerung nicht liegen. Rosine wußte aus gelegentlichen Aeußerungen ihres Vaters wie ihrer Mutter recht wohl, daß Ersterer Willens war, in Betreff ihrer Mitgift dem Bürgermeister weiter als irgend einem anderen Schwiegervater, der etwa in Betracht zu ziehen wäre, entgegen zu kommen. An den Külwetters lag es nicht, daß die Sache noch nicht weiter gediehen war. Und was die Bürgermeisterin betraf, so betrieb diese die Heirath, welche die beiden Familien verbinden sollte, schon seit Jahren, während ihr gestrenger Eheherr sich derselben wenigstens niemals abgeneigt gezeigt und unsere hübsche Rosine in der letzten Zeit mit unzweifelhaftem schwiegerväterlichen Wohlwollen behandelt hatte.

An wem also lag es, daß man noch nicht weiter war – von wem ging der geheime hemmende Einfluß aus? – Rosine, mit einem geringen Maße von Phantasie begabt, deren Einfluß die meisten Menschen in ihren Beobachtungen zu stören pflegt, und außerdem mit dem kräftigsten Egoismus ausgerüstet, sah vermöge dieser Eigenschaften in allem, was ihre eigenen Angelegenheiten betraf, weit schärfer, als es ihre Geistesgaben sonst vielleicht hätten vermuthen lassen. Und deßhalb irrte sich Georg, wenn er glaubte, Rosine Külwetter sei ganz zufriedeu mit ihm. War er zugegen und bezeigte sich galant und vertraulich, dann nutzte sie ihren heimlichen Groll aus, indem sie ihn reizte und beschäftigte und endlich dahin brachte, daß sein verwandtschaftlicher Abschiedskuß so feurig wurde, wie selbst sie es verlangen konnte. In seiner Abwesenheit aber konnte sie ihn beinahe hassen, noch viel mehr aber alles dasjenige, was, wie sie argwöhnte, ihn heimlich nach einer andern Seite hinzog und zu einem so säumigen Bewerber machte.

Jetzt preßte Rosine die frischen Lippen zusammen, und zwischen den Brauen grub sich eine tiefe Falte ein, wodurch sie so bitterböse aussehen konnte, wie es einem hellen Mädchengesicht nur selten möglich ist. Gleich darauf aber gab sie jeden Zwang auf und brach in lautes Weinen aus.

„Da haben wir’s,“ sagte Gertrud ... „der schlechte Mensch! Ich wußte wohl, daß Ihr schon lange was auf dem Herzen hattet, Rosinchen. Nur heraus damit ... macht Euch Luft!“

Zu einer Herzensergießung in Worten schien jedoch bei Rosinen noch kein übergroßes Bedürfniß vorhanden; sie fuhr nur fort, mit verzogenem Gesicht zu schluchzen, und stampfte gelegentlich mit dem Fuße. Jene sprach weiter:

„Man sollte es nicht für möglich halten. Eine Bürgerstochter wie Ihr ... ein Gesicht wie Milch und Blut, und alle Schränke voll – und da weiß der Herr nicht, ob er auch zugreifen soll, oder erst noch –“

„Das machen die wälschen Liebschaften,“ fuhr Rosine leidenschaftlich heraus. „Wäre er in Gottes Namen dort geblieben, anstatt uns hier zum Narren zu halten! Wer weiß, an was für eine schwarze Hexe er sich dorten gehängt hat. Ich wollte nur, ich dürfte so Einer einmal an das Gesicht“ – und Rosine spreizte kampfbereit alle zehn Finger ihrer kurzen, derben Hände aus – „oder ich könnte ihr ’was ins Waschwasser schütten –“

„Da braucht Ihr vielleicht nicht bis nach Wälschland zu gehen,“ stieß Gertrud heraus, dann aber schwieg sie mit einem Gesicht, als habe sie schon viel zu viel gesagt. Rosinens Thränen versiegten im Nu, und sie sah die Magd mit funkelnden Augen und erblaßten Wangen an. Als jene nicht weiter sprach, packte Rosine sie am Arm und schüttelte sie. „Willst Du gleich reden, unverschämtes Lügending!“ rief sie zornig.

Trudchen hörte diesen Zornesausbruch ziemlich gelassen an, strebte dann aber, ihren Arm von Rosinens Griff zu befreien, indem sie sagte: „Ihr seid nicht klug, Rosinchen! Gleich laßt mich los, oder ich sage kein Wort weiter. Was hat man wohl groß für Dank davon, wenn man zu Euch hält! Da fährt sie Einem um den Kopf mit spitzen Worten wie eine Hornisse ... laßt mich gehen – es ist Zeit, daß wir hier mit der Arbeit fertig werden.“

Jetzt zog Rosine andere Saiten auf und versprach sogar dem Mädchen den Strauß künstlicher Blumen, den sie auf dem letzten Rathhaustanze am Mieder getragen hatte. „Dann legt ihn nur gleich heraus, wenn Ihr über Euer Spind geht, sonst vergeßt Ihr’s doch wieder,“ schlug Trudchen vor. „Ihr braucht freilich die Blumen nicht mehr, die für unser Einen noch wunder was für ein Staat sind. Bis Ihr wieder zum Tanze aufs Rathhaus geht, auf die Fastnacht, da seid Ihr eine Braut und tragt das Schapel mit Gold und Silber ... denn es kann dem Herrn Georg mit der langen Weberstochter ja doch nimmermehr Ernst sein ...“

Die kleine Rache gelang; Rosine zuckte zusammen, als habe sie einen Stich empfangen. „Was ist mit der Weberstochter? Gleich sagst Du mir Alles, was Du weißt,“ zischte sie.

„So gar viel ist das auch nicht,“ meinte Gertrud, „aber man muß sich doch wundern, wenn man hört, wie oft der junge Herr sich dort unten herumtreibt. Daß er so ganz stillschweigend, wie heimlich, durch das Pförtchen in der Stadtmauer hereinkommt, das habe ich selber gesehen, als ich neulich in Bürgermeisters Garten war und der alten Kathrine die Kohlbeete umgraben half. Er wurde uns gar nicht gewahr, und ich sage zur Kathrine: ‚Ist denn das nicht Euer junger Herr? wo kommt denn der her?‘ ‚Ja,‘ sagt sie, ‚das möcht’ ich auch wissen; denn da draußen, jenseit der Stadtmauer, hört ja doch die Welt auf, da liegen nur noch die Bleicherwiesen. Gestern kam er auch des Wegs, und er muß das Pförtchen geschmiert haben; das knarrte sonst, daß man’s durch den ganzen Garten hörte!‘“

Rosine starrte mit verdüstertem Gesicht vor sich hin, dann sagte sie: „Ich hörte den Vater neulich sagen, daß der Oheim Tiedemars an dem fremden Volke, den Webersleuten, einen Narren gefressen habe; – jetzt, zum Einzuge der neuen Landgräfin wollte er ihnen auch etwas zuwenden. Der Vater schalt – das hergelaufene Pack brauche den alten Bürgern auch nicht die fürstliche Gnade vor dem Munde wegzuschnappen ... aber der Oheim Tiedemars habe immer seinen eigenen Kopf. Einen von den Betbrüdern, einen Alten, sah ich neulich selber in das Bürgermeisterhaus gehen ... man kennt sie ja gleich – an der Tracht.“ Sie stampfte mit dem Fuße. „Der Oheim hört und sieht nicht vor lauter Stadtregiment – er hat den Georg wohl gar selber zu dem Volk geschickt, damit ihn die freche Dirne nur recht beschwatzen kann.“

„So, wenn ihn sein Vater hinschickt, in Geschäften, dann braucht er wohl Abends um das Haus herum zu schleichen und am Fenster zu horchen, sodaß ihn der Wächter gerade für einen Landfahrer oder gar einen Dieb aufgreifen will!“ sagte die Gertrud. „Von wem ich das habe? das hat der Barthel Küfer drüben in der Schloßgasse mit eignen Augen gesehen, ja er hat noch dem Wächter, der den Bürgermeisterssohn durchaus hat packen wollen, ein Licht aufgesteckt, mit wem sie es eigentlich zu thun hätten. Ich kam gerade dazu, wie des Barthel’s Frau es der alten Schmidtin erzählte, und die Schmidtin sagte zu mir: ‚das schwatzt Sie aber nicht weiter, Gertrud, und macht Ihrer hübschen Jungfer das Herz nicht schwer! denn das Löffeln und Poussiren wird der Georg in Wälschland ja wohl aus dem Grunde gelernt haben, und wenn sie ihn nimmt, muß sie ihn nehmen, wie er ist!‘ Aber da hör’ ich die Frau Mutter kommen, Rosinchen ... laßt Ihr mich jetzt ausschelten, wie Ihr’s gewöhnlich thut, daß wir hier noch nicht weiter sind, so erzähl’ ich Euch mein Lebtag’ nichts wieder.“

Frau Külwetter trat gleich darauf ein und traf Tochter und Magd anscheinend in voller Thätigkeit, und da ihr Rosine weismachte, daß die oberen Simse schon gereinigt seien, so fand sie außer einigen Kleinigkeiten für jetzt nichts zu tadeln, und die beiden Mädchen konnten, nachdem sie wieder den Rücken gewendet, nachholen, was sie etwa bisher versäumt hatten. „Was braucht denn das Alles immer so aus denn Grunde gemacht zu werden,“ meinte Trudchen, indem sie rasch und oberflächlich mit ihrem Tuche über die Bretter fuhr ... „Es guckt ja doch Niemand in alle Ecken ...

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_235.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2020)