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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

profanen Blick auszusetzen. Von ‚heimlichem Glück‘ konnte ich nichts bemerken; ich bewunderte nur ihr klassisches Profil, die blühenden Farben, die prächtigen Zähne bei ihrem gnädigen Lächeln und erstickte fast in dem Veilchenparfüm, mit welchem sie das Treppenhaus erfüllte, und das, dieses Uebermaß, war nicht vornehm an der Aristokratin –“

„Sieh, da war ja gleich wieder der bittere Nachgeschmack!“

„Ich kann sie nicht leiden!“ fuhr es ihr plötzlich heftig heraus.

Er lachte und strich sich amüsirt den Bart. „Nun, das war gutes, ehrliches Deutsch!“ sagte er. „Weißt Du, daß ich in der letzten Zeit manchmal des kleinen Mädchens gedacht habe, das ehemals mit seiner geradezu verblüffenden derben Offenheit und Wahrheitsliebe die Großmama nahezu in Verzweiflung gebracht hat? … Das Weltleben draußen hatte nun diese Geradheit in allerliebste, kleine, graziöse Bosheiten verwandelt, und ich meinte schon, auch der Kern der Individualität sei umgemodelt. Aber da ist er, blank und unberührt! Ich freue mich des Wiedersehens und muß wieder an die Zeiten denken, wo der Primaner öffentlich im Hofe als Spitzbube gebrandmarkt wurde, weil er eine Blume annektirt hatte.“

Schon bei seinen ersten Worten war sie aufgestanden und nach dem Ofen gegangen. Sie schob unnöthiger Weise ein Stückchen Holz um das andere in die helllodernden Flammen, die ihre finster zusammengezogene Stirn, ihre sichtlich erregten Züge anglühten … Sie ärgerte sich unbeschreiblich über sich selbst. Das, was sie gesagt hatte, war allerdings die strikte Wahrheit gewesen, aber dabei eine Taktlosigkeit, deren sie sich bis an ihr Lebensende schämen mußte.

Sie blieb am Ofen stehen und zwang sich zu einem Lächeln. „Du wirst mir glauben, daß ich jetzt nicht mehr so penibel denke,“ erwiderte sie von dorther. „Das ,Weltleben‘ härtet die Seele gegen allzu feine Auffassung. Es wird in der heutigen Gesellschaft so viel gestohlen an Gedanken, man nimmt vom guten Namen des lieben Nächsten, von seinem ehrenhaften Streben, von der Rechtlichkeit seiner Gesinnungen so viel, als irgend zu nehmen ist, und möchte gar oft am liebsten die ganze Persönlichkeit vom Schauplatz verschwinden machen, wie damals die Rose in Deine Tasche eskamotirt wurde. Diesen Kampf ums Dasein, oder eigentlich diesen Diebstahl aus Selbstsucht und Neid kann man am besten im Hause eines Mannes von Namen beobachten. Ich habe mir viel davon hinters Ohr geschrieben und diese Weisheit allerdings auch mit einem guten Theil meiner kindlich naiven Anschauung bezahlt … Du könntest mithin vor meinen Augen alle Rosen der schönen Blanka in die Tasche stecken –“

„Die wären jetzt sicher vor meiner räuberischen Hand –“

„Nun, dann meinetwegen das ganze Rosenparterre vor dem Prinzenhofe!“ fiel sie schon wieder erregter ein.

„O, das wäre denn doch zu viel für das Herbarium meiner Brieftasche, meinst Du nicht, Margarete?“ Er lachte leise in sich hinein und lehnte sich noch behaglicher in seine Sofa-Ecke zurück. „Ich brauche mich auch nicht als Dieb dort einzuschleichen. Die Damen theilen redlich mit mir und meiner Mutter, was an Blumen und Früchten auf ihren Fluren wächst, und auch Du wirst Dir bei Deinem Besuche einen Strauß aus dem Treibhause mitnehmen dürfen.“

„Ich danke. Ich habe keine Freude an künstlichen Blumen,“ sagte sie kalt und ging nach der Stubenthür, um sie zu öffnen. Tante Sophie war zurückgekommen und stampfte und schüttelte draußen den Schnee von ihren Schuhen und Kleidern.

Sie machte große Augen, als sich Herbert’s hohe Gestalt aus der Sofa-Ecke erhob und sie begrüßte. „Was, ein Gast an unserem Theetische?“ rief sie erfreut, während Margarete ihr Mantel und Kapotte abnahm.

„Ja, aber ein schlechtbehandelter, Tante Sophie!“ sagte er. „Die Wirthin hat sich schließlich in die Ofenecke zurückgezogen und mich meinen Thee allein trinken lassen.“

Tante Sophie zwinkerte lustig mit den Augen. „Da hat’s wohl ein Examen gegeben, wie vor alten Zeiten? – Das kann die Gretel freilich nicht vertragen. Und wenn Sie vielleicht ein Bischen ins Mecklenburgsche hineinspaziert sind, um hinzuhorchen –“

„Keineswegs,“ antwortete er plötzlich ernst, mit sichtlichem Befremden. „Ich habe gemeint, das sei abgethan,“ setzte er wie fragend hinzu.

„Bewahre! Noch lange nicht, wie die Gretel alle Tage erfährt!“ entgegnete die Tante stirnrunzelnd im Hinblick auf die Quälereien der Frau Amtsräthin.

Der Landrath suchte prüfend Margaretens Augen, aber sie sah weg. Sie hütete sich, auch nur mit einem Worte auf dieses widerwärtige Thema einzugehen, das die Tante unvorsichtiger Weise berührt hatte … Aber er sollte es nur wagen, mit der Großmama gemeinschaftlich vorzugehen und in sie zu dringen, ihren Entschluß doch noch zu ändern – er sollte es nur wagen! –

Sie trat, beharrlich schweigend, hinter die Theemaschine, um Tante Sophiens Tasse zu füllen; Herbert aber kehrte nicht wieder an den Tisch zurück. Er übergab der Tante den mitgebrachten Thee und wechselte in verbindlicher Weise noch einige Worte mit ihr; dann nahm er den Pelz auf den Arm und hielt Margarete seine Rechte hin. Sie legte ihre Fingerspitzen flüchtig hinein.

„Kein ,Gutenacht‘?“ fragte er. „So bitterböse, weil ich Dich bei Tante Sophie verklagt habe?“

„Das war Dein Recht, Onkel – ich war nicht höflich. Böse bin ich nicht; aber gerüstet!“

„Gegen Windmühlen, Margarete?“ – Er sah ihr lächelnd in die zornig aufblickenden Augen, dann ging er.

„Sonderbar, wie sich der Mann geändert hat!“ sagte Tante Sophie und sah über ihre Tasse hinweg heimlich lächelnd in das blasse Mädchengesicht, das, den Fenstern zugewendet, mit verfinstertem Blick in das Schneegestöber hinausstarrte. „Er ist immer gut und voll Höflichkeit gegen mich gewesen, das kann ich nicht anders sagen; aber er war und blieb mir doch ein Fremder, von wegen seiner vornehmen, kühlen Art und Weise … Jetzt ist mir aber oft ganz kurios zu Muthe, ganz so, als hätte ich ihn auch, wie Euch, unter meiner Zucht gehabt. Er ist so herzlich, so zutraulich, – und daß er heute Abend den Thee hier unten genommen hat –“

„Das will ich Dir erklären, Tante!“ unterbrach sie das junge Mädchen kalt. „Es giebt Stunden, in denen man die ganze Welt umarmen möchte, und in einer solchen Stimmung ist er aus der Residenz, vom Fürstenhofe zurückgekommen. Er hat, wie er selbst sich ausdrückte, ‚hocherfreuliche Nachrichten‘ mitgebracht. Wir dürfen demnach in der Kürze die endliche ,Proklamation‘ seiner Verlobung erwarten.“

„Kann sein!“ meinte Tante Sophie und leerte den Rest ihrer Tasse.

(Fortsetzung folgt.)

Zum sechszigjährigen Professoren-Jubiläum Leopold von Ranke’s.

„Den Sand der Wüste treibt der Sturmwind dahin und dorthin;
das Gebirge läßt er wohl stehen.“
 Histor.-polit. Zeitschrift 1, 824.

Am 31. März sind es sechszig Jahre, daß Leopold von Ranke Professor ist. Nicht viel länger ist es her, seitdem er sein erstes Buch geschrieben hat. Bis dahin war er ein der gelehrten Welt so gut wie unbekannter Gymnasiallehrer zu Frankfurt an der Oder. Hier hatte er jenes Werk aus der sonst nicht benutzten Bibliothek eines Professor Westermann herausgearbeitet; ohne Honorar zu empfangen, hatte er es Georg Reimer zum Druck übergeben. Das Buch verschaffte ihm alsbald Namen und Stellung. Wenige Monate später ward er als außerordentlicher Professor der Geschichte nach Berlin berufen, in den Kreis der Savigny und Hegel, an die Universität, welche, wie er selbst rückblickend gesagt hat, „noch unmittelbar in jenem Geiste, in welchem sie gestiftet worden war, lebte, in der Vereinigung der preußischen Strenge und Zucht mit der Vielseitigkeit und Tiefe der deutschen Nation“: in dem Kampf der beiden Parteien, welche damals in allen Disciplinen mit einander rangen, der philosophischen und historischen, hat er seitdem zwei Menschenalter hindurch als Vorkämpfer der historischen Richtung für die politische Historie hier im Centrum der deutschen Wissenschaft und Staatsidee gewirkt. Entfernte er sich von Berlin, so geschah es fast immer, um neue

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_227.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2024)