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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Er lachte leise auf und trat näher an den Tisch. Er war noch im Reisepelz, und auf seiner Mütze glitzerten Schneeflocken, also direkt von draußen kam er herein.

„Aber solch ein Schrecken, Margarete!“ sagte er kopfschüttelnd. „Warst wohl, trotz Deiner hausmütterlichen Beschäftigung, im sonnigen Griechenland, und der Hans Ruprecht im Pelz riß Dich in die rauhe thüringer Wirklichkeit zurück? … Nun, guten Abend auch!“ setzte er in treuherzig thüringer Weise hinzu und bot ihr die Hand – war ihr doch, als müsse es Freude sein, die sie aus seinen Augen unter der Pelzmütze hervor anleuchtete.

„Nein, in Griechenland war ich nicht,“ antwortete sie, und die augenblickliche innere Erregung bebte noch in ihrer Stimme nach. „Trotz Schnee und Eis bin ich um die Weihnachtszeit doch lieber hier. Aber es ist für mich etwas ganz Unerhörtes, Dich in unsere Wohnstube eintreten zu sehen. Du wirst selbst wissen, daß diese Stube stets abseits von Deinem Wege gelegen hat. Früher mag Dich der Kinderlärm verscheucht haben, und später“ – der schmerzhafte Zug, der seit dem Tode ihres Vaters ihre Lippen umlagerte, wich momentan einem schelmischen Lächeln – „später das ausgesprochene Spießbürgerthum in der Einrichtung und dem Leben und Weben hier unten.“

Er zog ein kleines Paket aus der Rocktasche und legte es auf den Tisch. „Das ist’s, weßhalb ich hier eingetreten bin, das einzig und allein!“ sagte er ebenfalls lächelnd. „Weßhalb soll ich ein ganzes Pfund Thee, das ich für Tante Sophie in der Residenz besorgt habe, zwei Treppen hinaufschleppen?“ Nun nahm er die Pelzmütze ab und schleuderte die letzten funkelnden Schneereste fort. „Uebrigens irrst Du in Deiner Annahme – ich finde es urgemüthlich hier, und Dein Theetisch sieht nichts weniger als spießbürgerlich aus.“

„Darf ich Dir eine Tasse Thee anbieten? Er ist eben fertig –“

„Ei wohl! Er wird mir gut thun nach der kalten Fahrt. Aber dann mußt Du mir auch erlauben, daß ich meinen Pelz ablege.“ Er mühte sich, die schwere Last abzustreifen. Unwillkürlich hob Margarete den Arm, um zu helfen, wie sie es bei Onkel Theobald zu thun gewohnt war; aber er fuhr zurück und ein Zornesblitz sprühte aus seinen Augen. „Lasse das!“ wies er sie fast rauh zurück. „Die töchterliche Hilfe mag bei Onkel Theobald nöthig sein – bei mir noch nicht!“

Unmuthig, mit einem letzten kräftigen Rucke riß er den Pelz von der Schulter und warf ihn auf den nächsten Stuhl.

„So, nun bin ich allerdings hilfsbedürftig – ich lechze nach Deinem heißen Thee!“ sagte er gleich darauf und ließ seine elegante Gestalt in die Sofa-Ecke gleiten. Seine Stirn war wieder heiter, und er strich sich behaglich den Bart. „Aber ich bin auch hungrig, liebes Hausmütterchen, und solch ein appetitliches Butterbrot, wie Du es eben vor meinen Augen zurecht gemacht hast, sollte mir schon schmecken und jedenfalls besser munden, als die Butterbrote oben, die meine Mutter konsequent durch die Köchin herrichten läßt. … Später, am eigenen Herde, werde ich mir das allerschönstens verbitten – die Hausfrau muß mir eigenhändig dergleichen Bissen mundgerecht machen, wenn sie nicht will, daß ich hungrig vom Tische aufstehe.“

Margarete reichte ihm den Thee; aber sie schwieg und sah ihn nicht an. Sie mußte denken, ob die stolze Heloise wirklich die Etikette so bei Seite setzen und mit ihren wundervollen weißen Händen die Butterbrötchen für den Herrn Gemahl streichen würde? – Und Herbert selbst? Dachte er im Ernste so spießbürgerlich häuslich, Großmamas Sohn, der Mann der Formen, mit denen er der Welt imponirte?

„Du bist sehr still, Margarete,“ unterbrach er das eingetretene kurze Schweigen; „aber ich sah ein spöttisches Zucken Deiner Mundwinkel, und das spricht deutlicher als Worte. Du moquirst Dich innerlich über die Häuslichkeit, wie ich sie haben will, und meinst, mein Wille könne an so Manchem scheitern. Ja, siehst Du, ich lese in Deinen Zügen wie in einem Buche – Du brauchst deßhalb nicht gleich so roth zu werden wie ein Pfingströschen – ich weiß mehr von Deinen Seelenvorgängen, als Du denkst.“

Jetzt sah sie verletzt und unwillig auf. „Schickst Du Deine Gendarmen wirklich auch auf die Hetzjagd nach Gedanken, Onkel?“

„Ja, meine liebe Nichte, das thue ich mit Deiner gütigen Erlaubniß, und das mußt Du Dir schon gefallen lassen,“ antwortete er leise lachend. „Mich interessiren alle oppositionellen Gedanken und mehr noch solche, denen der Kopf selbst nur widerwillig Raum giebt, gegen die er ankämpft wie das junge Roß gegen seinen oktroyirten Herrn, und die schließlich glänzend siegen, weil ein mächtiger Impuls hinter ihnen steht.“

Er führte seine Tasse zum Munde und sah dabei aufmerksam zu, wie die zierlichen Mädchenfinger flink das gewünschte Butterbrot zurecht machten.

„Ein Einblick in die Wohnstube hier muß in diesem Augenblick außerordentlich behaglich und anmuthend sein,“ hob er mit einem Blick auf die unverhüllten Fenster nach einem momentanen Schweigen wieder an. „Da drüben“ er neigte den Kopf nach der jenseitigen Häuserfront des Marktes – „könnte man uns füglich für ein junges Ehepaar halten –“

Margarete wurde flammendroth. „O nein, Onkel, die ganze Stadt weiß –“

„Daß wir Onkel und Nichte sind - ganz richtig, meine liebe Nichte,“ fiel er sarkastisch gelassen ein und griff abermals nach seiner Tasse.

Margarete widersprach nicht; aber eigentlich hatte sie sagen wollen „die ganze Stadt weiß, daß Du verlobt bist“ … Nun, mochte er denken, was er wollte! Er neckte sie in fast übermüthiger Weise, und Humor, den sie bis jetzt nicht an ihm gekannt, prickelte in jedem seiner Worte. Er war offenbar froh gelaunt und brachte jedenfalls stillbeglückende Aussichten aus der Residenz mit. Aber sie selbst war nicht in der Stimmung, sich mit ihm zu freuen, sie war unsäglich deprimirt und wußte nicht weßhalb, und wie man oft im inneren Zwiespalt unbewußt gerade nach Widerwärtigem greift, nur um eine Wendung herbeizuführen, so sagte sie, indem sie ihm das fertige Brötchen hinreichte: „Heute Morgen hatte die Großmama Besuch – die Damen vom Prinzenhofe waren da!“

Er richtete sich lebhaft auf, und eine unverkennbare Spannung malte sich in seinen Zügen. „Hast Du sie gesprochen?“

„Nein,“ erwiderte sie kalt. „Ich hatte nur eine flüchtige Begegnung mit der jungen Dame im Treppenhause. Du weißt am besten, daß sie mich einer Anrede nicht würdigen kann, weil ich im Prinzenhofe noch nicht vorgestellt bin.“

„Ach ja, ich vergaß! – Nun, Du wirst das ja wohl nunmehr in den allernächsten Tagen abmachen.“

Sie schwieg.

„Ich hoffe, Du thust das schon um meinetwillen, Margarete.“

Jetzt sah sie ihn an; es war ein finsterer Grollblick, der ihn traf. „Wenn ich das Opfer bringe, mich in tiefer Trauer und in meiner Seelenstimmung zu der Komödie hinausschleppen zu lassen, so geschieht es einzig und allein um dem Drängen und den Quälereien der Großmama ein Ende zu machen,“ versetzte sie herb. Sie hatte sich auf den nächsten Stuhl gesetzt und kreuzte die Hände auf dem Tische.

Ein kaum bemerkbares Lächeln schlüpfte um seinen Mund. „Du fällst aus Deiner Rolle als Hausmütterchen,“ rügte er gelassen und zeigte auf ihre feiernden Hände. „Die Gastlichkeit verlangt, daß Du mir Gesellschaft leistest und auch eine Tasse Thee nimmst –“

„Ich muß auf Tante Sophie warten.“

„Nun, wie Du willst! Der Thee ist vortrefflich und soll mir trotzalledem schmecken … Aber ich möchte Dich doch einmal fragen, was hat Dir denn die junge Dame im Prinzenhof gethan, daß Du stets so – so bitter wirst, wenn von ihr die Rede ist?“

Eine glühende Röthe schoß ihr in die Wangen. „Sie – mir?“ rief sie wie erschrocken, wie ertappt auf einem bösen Gedanken. „Nicht das Mindeste hat sie mir angethan! Wie könnte sie auch, da ich bis jetzt kaum in ihre stolze Nähe gekommen bin?“ Sie zuckte die Schultern. „Ich fühle aber instinktmäßig, daß das der Kaufmannstochter noch bevorsteht –“

„Du irrst. Sie ist gutmüthig –“

„Vielleicht aus Phlegma – möglich, daß sie sich ungern echauffirt. Ihr schönes Gesicht –“

„Ja, schön ist sie, von einer unvergleichlichen Schönheit sogar,“ fiel er ein. „Und ich möchte gern wissen, ob heute Morgen nicht etwas wie ein heimliches Glück in ihren Zügen zu lesen gewesen ist – sie hat gestern Hocherfreuliches erfahren.“

Ach, also darum war er heute Abend so übermüthig, so voll übersprudelnder Laune; das „Hocherfreuliche“ betraf ihn und sie zusammen. „Das fragst Du mich?“ rief sie mit einem bitteren Lächeln. „Du solltest doch am besten wissen, daß die Damen vom Hofe viel zu gut geschult sind, um ihre Gemüthsaffekte jedem

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