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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Unter der Ehrenpforte.

Von Sophie Junghans.
(Fortsetzung.)


Georg kam zu dem alten Weber, um mit demselben im Auftrage seines Vaters etwas zu erörtern. Es handelte sich um die indessen thatsächlich beschlossene landgräfliche Vermählung mit der Gräfin von Hennegau. Die Stadt bereitete Geschenke für die Braut, die ihr am Tage des Einzuges, zum Willkommen, gereicht werden sollten. Auch die neuen Einwohner sollten aufgefordert werden, in ihrem eigenen Interesse sich an diesen Gaben, und zwar mit einem Erzeugnisse ihres Kunstfleißes, zu betheiligen. Der Bürgermeister hatte den Lukas Vanderport zu sich rufen lassen wollen, da erbot sich Georg, diese Besorgung zu übernehmen und zugleich vorläufig mit dem alten Manne sich zu besprechen. Er machte kein Hehl daraus, daß er besondern Antheil an der Weberniederlassung nehme. Der alte Tiedemars erblickte hierin einen Beweis für die Fähigkeit seines Sohnes, ein Gemeinwesen zu verwalten und in einem größeren Kreise zu wirken, und war im Stillen recht damit zufrieden.

„Steht auf, Georg, was thut Ihr?“ (S. 214.)

Nicht lange und die drei, Meister Lukas, Hilde und Georg, saßen um den dunkelbraunen Eichentisch, über welchem Hilde die Lampe aufgehängt hatte, in ernstlichem Gespräche. Man merkte, daß das Mädchen gewohnt war, auch in wichtigen Dingen um ihre Meinung gefragt zu werden, denn ohne sich mit derselben vorzudrängen, griff sie im richtigen Augenblicke ein und zwar so, daß, was sie sagte, die Aufmerksamkeit sofort fesselte. In diesem Falle schien ihr Rath noch besonders erwünscht: handelte es sich doch um Dinge, die einer Frau gefallen sollten.

Hilde schlug dem Vater als Geschenk für die landgräfliche Braut die prächtige Decke eines fürstlichen Lagers vor. Ein Muster, beinahe ein Wunder vom feinsten Gewebe mußte das werden, und reich verziert mit den Borden, welche die Frauen der Niederlassung so kunstreich anzufertigen verstanden. Sie gerieth förmlich in Eifer, während sie das Meisterwerk beschrieb, wie sie es sich dachte. Der alte Mann wiegte beifällig, aber noch etwas zweifelhaft den Kopf. Georg seinerseits schien sehr genau zuzuhören, denn er hing an ihrem belebten Gesicht. Als sie aber fragte. „Wie dünkt Euch, Herr – eine Borde etwa zwei Hände breit, um den äußeren Saum ... am Kopfende aber muß sie herüberfallen, das sieht reicher aus – oder meint Ihr nicht?“ da fuhr er wie verlegen auf, und seine Antwort ließ erkennen, daß er doch so recht nicht bei der Sache gewesen sein mußte. Die Wahrheit zu sagen, hatte er allerdings an ihren Lippen gehangen, aber nur um auf die Wiederkehr eines reizenden, kindlichen Zuges zu warten, der, während sie sprach, ein paar Mal um dieselben erschien. Es war schwer, Lippen, die so aussehen konnten, ungeküßt zu lassen, und er hatte in Gedanken eben wer weiß wie viele Male die seinen darauf gedrückt. Als ihn nun aber Hilde so ehrlich ansah und sich gleich darauf an dem vielleicht zu beredten Ausdruck seiner Augen verwirrte, da geschah ihm das Gleiche. Dem Einen entging die Empfindung des Anderen nicht, und es war nach diesem Augenblick fast, als hätten sie ein Geheimniß mit einander vor dem Vater, der so arglos zwischen ihnen saß.

Georg hatte selten ein angenehmeres Gefühl gekannt. Hilde aber war für die nun noch folgende Dauer seines Besuchs scheuer; freilich nicht so, daß es der alte Weber gemerkt hätte. Dem jungen Manne jedoch entging die leise Veränderung nicht, und er hatte große Lust, sich innerlich dagegen aufzulehnen. War es denn möglich, daß man so mit diesem Mädchen auf der Hut sein mußte? Zum Teufel auch, wie sollte er ihr da jemals näher kommen? Und dazu fühlte er sich jetzt mehr als je gefesselt, ja wie von einem Zauber umfangen, dessen Macht die ganze Atmosphäre dieses friedlichen altväterischen, aber durchaus nicht ärmlichen Gemaches zu verstärken schien.

Georg stand endlich auf, da die vorläufige Erörterung der Angelegenheit nicht wohl länger ausgesponnen werden konnte. Hilde hatte sich zugleich erhoben und die Hängelampe losgehakt, um ihm zu leuchten. Sie würde mit hinauskommen, jetzt mußte sich endlich ein Augenblick finden für eine Berührung ihrer Hände, nach der er fieberte, für ein leises, süßes Wort!

Aber Meister Lukas begnügte sich nicht damit, dem vornehmen Gast bis an die Stsubenthür das Geleit zu geben; er schlürfte vielmehr mit bis an die Hausthür, die zu dieser Abendstunde hinter dem Besucher sorgfältig verschlossen werden mußte. Hilde dagegen blieb etwas zurück; der Vater hatte sogar zu mahnen: „Leuchte doch besser, Kind!“ und Georg mußte sich mit dem ungestillten Verlangen nach einen verstohlenen traulichen Gruße entfernen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_213.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2024)