Seite:Die Gartenlaube (1885) 210.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Deutschlands Kolonialbestrebungen.

Skizzen aus meiner letzten Forschungsreise in Ostafrika.
Von Dr. G. A. Fischer. Mit Illustrationen von G. Mützel.

Kuafi-Neger aus dem Innern des Massai-Landes.

Die weißen Stellen, welche die Karten von Afrika früher in beträchtlichem Umfange zeigten sind in den letzten Jahren bedeutend zusammengeschrumpft. Trotzdem befinden sich im Westen sowohl wie im Osten noch immer zusammenhängende Länderstrecken von der doppelten Größe Deutschlands, die noch kein Fuß eines Europäers betreten hat und über die wir nur nach Erkundigungen dürftige Nachrichten besitzen.

Der Westen Afrikas ist, was koloniale Unternehmungen anbetrifft, einstweilen der bevorzugte Theil. Einmal ist er bequemer und rascher zu erreichen, und zum andern bieten sich hier gewaltige Ströme dar, die das Eindringen in das Innere sehr erleichtern. Der Osten hat aber andere Vortheile, unter denen das besonders in den nördlicheren Theilen gefundene Küstenklima der bedeutendste ist. Auch sind die ackerbautreibenden Negerstämme des Ostens besser für die Arbeiten der Kultur zu gebrauchen, als die Stämme der Westküste. Letztere hat allerdings außerdem den Umstand für sich, daß sich dort noch sogenanntes herrenloses Küstenland befindet; herrenlos insofern, als die Häuptlinge oder, wie sie vielfach genannt werden, Könige von keiner europäischen Macht anerkannt sind und es nicht schwer fällt, für ein Fäßchen Rum ein ganzes Königreich zu erhandeln. Im Osten theilen sich in den Besitz des Küstengebietes der Sultan von Sansibar und die Portugiesen. Was den Ersteren betrifft, so ist es allerdings nur eine Frage der Zeit, daß sein Gebiet in den Besitz einer europäischen Macht übergeht. An eine Ausbreitung der Kultur und Civilisation ist unter mohammedanischer Herrschaft nicht zu denken.

Gerade der Theil des äquatorialen Ostens, welcher sich seiner Bodenbeschaffenheit und seines Klimas wegen am meisten zu Kolonisationsprojekten eignet, wird von Volksstämmen bewohnt, die allem Fremden feindlich sich entgegenstellen. Es sind das die sich zwischen Abessinien, dem Viktoria Nyanza und dem Kap Guardafui erstreckenden Gebiete. Von Abessinien sowohl wie auch von der Küste des rothen Meeres und von Sansibar aus sind wiederholt vergebliche Versuche gemacht worden, in diese unbekannten Länder einzudringen, aber alle scheiterten an dem Widerstande der Eingeborenen. Endlich ist es dem Verfasser dieser Zeilen und bald darauf dem englischen Reisenden Thomson gelungen, wenigstens einen Theil dieser terra incognita zu durchforschen und das Leben eines wilden und in vieler Beziehung merkwürdigen Stammes kennen zu lernen, nämlich des Massai-Volkes.

Das Gebiet, mit dem ich den Leser näher bekannt machen will, charakterisirt sich besonders durch mehr oder weniger unvermittelt aus der Ebene emporsteigende isolirte Berge, die zum Theil mit ewigem Schnee bedeckt sind. Die Ebenen, welche sich zwischen denselben ausbreiten, liegen schon 3- bis 6000 Fuß über dem Meeresspiegel. Bis zu 4000 Fuß sind sie meist dürr und mit mehr oder weniger dicht stehenden Akazien und Mimosen bewachsen, in höherer Lage aber bilden sie die saftigsten und üppigsten Weideflächen, wo ein milderes Klima und der Duft von verschiedenartigen aromatischen Kräutern, die an die unserer Alpen erinnern, vergessen macht, daß man sich in Afrika unter dem Aequator befindet. Stellenweise tritt hier prächtiger Hochwald auf, den besonders Wachholderbäume, die den Umfang und die Höhe unserer Pappeln erreichen, charakterisiren. Zahlreiche kleinere und größere Seen sind in dem Hochlande eingebettet, die alle von Flußpferden und großen Schwärmen von Pelikanen, Enten und Gänsen bewohnt werden. Größere Flüsse existiren in diesem Gebiete nicht, nur Bäche, welche sich in die Seen ergießen.

Die Gesteine sind fast durchweg vulkanischer Natur. In früheren Zeiten sind hier viele umfangreiche Vulkane thätig gewesen; jetzt ist, soviel bekannt, nur noch einer in Thätigkeit; er wird von den Eingeborenen „Dönjö Ngai“, das ist Gottesberg, genannt. Im Jahre 1880 hat der letzte größere Ausbruch hier stattgefunden. Die Eingeborenen vergleichen das donnerartige Geräusch, welches zuweilen aus dem Berge ertönt, mit dem Brüllen ihrer Rinder; die Mohammedaner glauben, der leibhaftige Teufel sei dort verborgen und feuere von Zeit zu Zeit Kanonenschüsse ab, um die Menschen zu erschrecken. An verschiedenen Orten des Landes finden sich heiße Quellen, welche zum Theil einen großen Gehalt an kohlensaurem Natron besitzen.

Der imposanteste und bekannteste unter den oben erwähnten Schneebergen, der sogenannte Kilima-Ndjaro, ist ebenfalls ein erloschener Vulkan. Aus weiter Entfernung sieht man sein mit dickem Schnee bedecktes Haupt aus der Ebene sich erheben. Seine Höhe über dem Meeresspiegel beträgt mindestens 18000 Fuß, bei 16000 Fuß beginnt die ewige Schneegrenze, während sie in unseren Breiten schon zwischen 8- bis 9000 Fuß liegt. Als der deutsche Missionar Krapf zuerst die Nachricht von dem Vorhandensein eines Schneeberges unter dem Aequator brachte, hielt man es in der Gelehrtenwelt für eine Unmöglichkeit, daß ewiger Schnee bei den Strahlen der Tropensonne existiren könne. Zwischen der kühlen und heißen Jahreszeit ist nur wenig Unterschied in der Ausbreitung des Schnees zu bemerken. Kilima-Ndjaro nennen ihn die mohammedanischen Küstenbewohner, das heißt Geisterberg (Kilima Berg, Ndjaro ein böser Geist), und es knüpft sich viel Aberglaube an die den Eingeborenen so räthselhaften weißen Massen. Da jene sich einestheils vor der großen Kälte, andererseits auch vor bösen Mächten fürchten, so hat sich noch Niemand überzeugt, welcher Art jene Massen seien. Die Leute, welche ich fragte, was das Weiße auf dem Berge bedeute, antworteten meistens: „Steine,“ zuweilen auch: „Das wissen wir nicht.“ Von den Mohammedanern hört man wohl die Meinung aussprechen, daß es Silber sei, und es geht die Sage, auf der Spitze des Berges lägen große Schätze, die aber von einer Mauer umschlossen seien; wer es wage, die Mauer zu ersteigen, falle auf der andern Seite todt herab. Einige schlaue Neger, die in der Weltstadt Sansibar, dem Paris Ostafrikas, schon Eis kennen gelernt hatten, wußten allerdings die richtige Erklärung. Da aber ihre Sprache keine Ausdrücke für Schnee und Eis besitzt, so halfen sie sich in der Weise, daß sie sagten: „Das Wasser ist durch die Kälte geronnen.“ Ergötzlich war auch zu beobachten, wie die Sansibar-Neger sich über den bei der Athmung in der kühleren Luft sichtbar werdenden Wasserdampf belustigten, eine Erscheinung, die in dem Küstenklima, wo die Temperatur nicht unter 15° R. sinkt, natürlich nie vorkommt. Als ich, mit meiner Karawane am Fuße des Schneeberges lagernd, an einem kalten regnerischen Morgen aus dem Zelte trat und von meinem Reitesel wie gewöhnlich mit einem Willkommschrei begrüßt wurde, brachen die Sansibar-Neger in ein lautes Lachen aus und riefen: „punda analia moschi,“ das heißt: der Esel schreit Dampf.

Das Volk, welches die Abhänge des Schneeberges bewohnt, aber nur bis zu einer Höhe von 5000 Fuß, wo noch Bananen gedeihen, ist ein friedlicher ackerbautreibender Stamm, die sogenannten Watschaga, die zugleich auch als tüchtige Schmiede berühmt sind und die besten Schwerter und Speere liefern. Hier wäre ein richtiger Ort, eine Kulturmission zu errichten, die Eingeborenen in den verschiedenen Handwerken auszubilden und Versuche mit der Anpflanzung werthvoller Handelsprodukte zu machen. Zahlreiche, nie versiegende Quellen kommen von dem Berge herab, Nahrung ist das ganze Jahr im Ueberfluß zu erhalten, die Wälder liefern verschiedenartige Nutzhölzer, unter welchen besonders ein leichtes zu Drechslerarbeiten sehr geeignetes Holz sich findet, aus welchem die Eingeborenen Gefäße schneiden. Elefanten sind an den Abhängen des Berges noch in großer Menge vorhanden.

So friedfertig im Allgemeinen der ackerbautreibende Neger Ostafrikas ist, so bösartig und unverträglich sind die Hirten- und Nomadenvölker. Das ganze oben charakterisirte Gebiet Ostafrikas wird von solchen Nomadenstämmen bewohnt. Den nordöstlichsten Theil desselben haben die Somali inne, die als fanatische Mohammedaner von allen am meisten gefürchtet sind. Manches an dem so verhängnißvollen Kap Guardafui gestrandete Schiff fiel ihnen zur Beute; schonungslos wurden alle an Bord befindlichen Personen niedergemacht, bis vor Kurzem England einen Vertrag mit den Häuptlingen zu Stande gebracht hat, welcher die ganze Ladung des Schiffes den Eingebornen zuerkennt, wohingegen diese sich verpflichten, das Leben der Schiffbrüchigen zu schonen. Die Häuptlinge

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_210.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2024)