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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Unter der Ehrenpforte.

Von Sophie Junghans.
(Fortsetzung.)

Im Elternhause Rosinens wurde nunmehr zu Ehren des heimgekehrten jungen Bürgermeistersohnes ein stattlicher Schmaus veranstaltet, zu dem die ganze Freundschaft der beiden Familien geladen war. Es würde wohl keinen der Gäste gewundert haben, wenn das Verlöbniß Georg’s mit der Tochter vom Hause schon an diesem Tage vor sich gegangen wäre. Das Mahl verlief indessen, ohne daß etwas verlautete. Doch zweifelte kein einziger der Anwesenden daran, in Georg und Rosinen ein für einander bestimmtes Paar zu sehen, und am wenigsten vielleicht diese beiden Hauptbetheiligten selber. Daher es denn auch an Anspielungen, feinen und gröberen, an scherzhaften Ellbogenstößen von Seiten der Weiber und an derben Späßen und lärmendem Gelächter der Männer bei solchen Anspielungen nicht fehlte.

Herr Peter Külwetter war ein dürrer kleiner Mann, dem man im Vermessen der brabanter Tuche, die er in seinem Gewölbe am Schloßplatz verkaufte, eine besondere Fertigkeit nachrühmte. Keiner seiner Gadendiener maß so flink und so knapp wie er; und schien er im Allgemeinen mit sehr mäßigen Geistesgaben bedacht, so mußte er doch gut rechnen können, denn er war bei seinem Tuchmessen mit der Zeit ein noch einmal so reicher Mann geworden, als sein Vater gewesen war, von dem er den Handel überkommen hatte. Er saß im Rathe der Stadt und war, wenn gerade kein Triebrad, so doch eine Art von regulirendem Pendelgewicht an dieser Maschine, da er gegen all und jede Ausgabe, welche dem Stadtsäckel zugemuthet werden konnte, zu stimmen pflegte.

Er sprach sonst bei Gastereien weder viel noch laut, denn er hielt bei solchen Gelegenheiten nicht mit Unrecht das Essen und Trinken für die Hauptsache. Heute, da ihn das Essen sein eigenes Geld kostete, war er vielleicht nicht ganz so angelegentlich beschäftigt wie sonst, doch hatte er dem guten alten Wein, den sein Keller hergegeben, um so weniger widerstanden, als ihm seine einfache Logik sagte: getrunken wird er doch, und ich habe am meisten von dem, was durch meine eigene Gurgel läuft. Daher man seine dünne und, wenn er lebhaft wurde, etwas quiekende Stimme heut . vielfach vor den anderen hörte, zum stillen Aerger seiner Frau, die diese ungewöhnliche Redseligkeit nicht leiden konnte.

„Sag einmal, Georg,“ schrie Herr Külwetter einmal den ihm gegenüber sitzenden künftigen Schwiegersohn an, „was ist denn das bei Deiner Heimkehr noch zu guter letzt für ein Abenteuer gewesen? he? Schöne Geschichten … hast Du das dem Herrn Vater auch gebeichtet? Ja, Frau Gevatterin,“ hier war die Bürgermeisterin gemeint, „das laßt Euch doch einmal erzählen! Siehst Du, wärest Du mein Junge, für so etwas wollt’ ich Dir den Brotkorb höher hängen, daß Dir der Uebermuth verginge.“

Er hatte die übrige Gesellschaft so lange überschrieen, bis jetzt alles schwieg. Niemand wußte so recht, ob das noch Scherz sein sollte, und aller Augen waren in etwas unbehaglicher Spannung auf den dergestalt Angefallenen gerichtet. Frau Külwetter wechselte einen erschrockenen Blick mit Rosinen; sie wußten offenbar beide nicht, wo der Alte hinaus wollte.

Georg hatte sich indessen völlig gefaßt. „Was meint der Herr Vetter eigentlich?“ fragte er. „Unseren Streit mit der bösen Wirthin in Gudensberg, die unseren Pferden den Hafer so kärglich vorschütten ließ, daß wir ihrem Schalksknecht dafür ein paar zumaßen, da wir uns an ihr selber doch nicht wohl vergreifen konnten? Ist die Kunde von der Art, wie wir da gemessen haben – nicht ganz so knapp, wie man es Euch nachrühmt, Herr Vetter – schon zu Euch gedrungen? Das Weib schwur, sie wolle uns hier vor die hohe Obrigkeit bringen, und wir sagten ihr, daß wir ebendahin unterwegs wären. Oder des Hans Veit Wettlauf mit dem lahmen Manne, auf dem Jahrmarkt in Gundelfingen, eine Tagereise jenseit der Grenze? Da seid Ihr schnell, aber nicht richtig berichtet worden. – Das war mein guter Geselle, Hans Veit, und der Lahme gewann, gewann ihm zwei Stüber ab.“

„Was redet der Junge da alles?“ rief Herr Külwetter, der mit offenem Munde zugehört hatte. „Was Wettlaufen und was Wirthin? Und wer spricht von Gudensberg und Gundelfingen? Sag uns doch einmal, wie Du jüngst in die Stadt gekommen bist? Wer hatte die Wache unten am Thor, he?“ Er drohte mit dem dürren Zeigefinger. „Ein solcher Tollkopf! Wär ich Dein Vater, ich wollte Dir bald vom Gaule helfen!“

Nun blieb dem jungen Manne keine Wahl. Er mußte vor der ganzen Tischgesellschaft den Ritt über den Steg erzählen und fühlte wohl, daß er nun auch nicht mehr die Freiheit habe, irgend einen Hauptumstand wegzulassen, denn wer konnte wissen, wie genau der spürnasige alte Külwetter unterrichtet war!

Natürlich zog er die Sache ins Lächerliche und – mit heimlicher Scham und Reue schon während er sprach – stattete auch die Gestalt Hildens, wie sie sich herabgeworfen und gegen das Pferd gestemmt hatte, mit einigen komischen Strichen aus. Sich selber schonte er freilich auch nicht: als er geendet hatte, lachte alles auf seine Kosten, bis auf die Bürgermeisterin, welche die Spaßhaftigkeit eines Unternehmens, bei dem Einer so leicht den Hals, oder wenigstens seinem Pferde die Beine brechen konnte, nicht einzusehen vermochte. Aber von der naheliegenden Frage: warum in aller Welt er ihnen den Vorfall nicht längst erzählt habe, war auch sie glücklich abgelenkt worden.

Uebrigens hatte noch Jemand nicht gelacht, und das war Rosine. Die Blicke Georg’s fielen, als er zu Ende erzählt hatte, auf ihr Gesicht, und er erstaunte über den finstern Ausdruck desselben. Die vollen Wangen waren ungleich geröthet und eine böse Falte saß zwischen den Brauen. Mit einem vertraulichen Worte beugte er sich zu ihr, die neben ihm saß, und wollte den Arm um sie legen, aber sie wehrte ihn mit einer heftigen Bewegung ab. Georg war erstaunt, doch ließ er sich nicht abschrecken. „Vermerkt Ihr einen tollen Streich so übel, Bäschen?“ fragte er. „Vergönnt mir, Euch zu sagen, daß das nicht ganz klug gethan ist, denn da verliert man die Lust, Euch zu beichten, und doch seid Ihr ja die Stelle, an welcher ich von Rechts wegen mir Absolution für diesen und so manchen anderen Streich holen müßte.“ –

Rosine war klug genug, um zu merken, daß sie einlenken müsse. Sie wendete ihm langsam ihre runde, reizend gefärbte Wange wieder zu, doch hielt sie noch immer das Kinn auf den Busen gesenkt, eine Art, die sie hatte, wenn sie schmollte oder die Spröde spielte, und hatte den hübschen Mund so fest geschlossen, als ob sie nie wieder reden wollte.

Er betrachtete sie unverwandt. Wer ihr so nahe saß, konnte nicht umhin, sich an dem köstlichen Jugendschmelz des Antlitzes zu weiden, und sah, selbst wenn sie böse wurde, vielleicht nur einen Reiz mehr in dem Zusammenpressen des schwellenden Mundes und den Fältchen der sonst so hellen, glatten Stirn. Georg hatte, einen Ellbogen auf den Tisch gestützt, die andere Hand auf der Lehne ihres Stuhles, sich ganz zu ihr gewendet. Lächelnd sagte er jetzt: „So würdet Ihr, schöne Rosine, wenn Ihr neulich zur Hand gewesen wäret, mir nicht so eilig zur Hilfe herbeigesprungen sein?“

Da hob sie endlich den Kopf und begann zu lachen, und immer mehr, je fragender er sie dabei ansah. „Darf man nicht wissen, was Euch so vergnügt?“ fragte er zuletzt. Sie konnte vor Lachen kaum herausbringen, daß es die „Lange“ sei. „Wie die da so herabgeflogen ist – ich hätte sie sehen mögen! Kein Wunder, daß sie Eures Pferdes mächtig geworden ist – mit solchen Fäusten! Man sagt ja von den Weberdirnen da draußen, sie kämen nicht umsonst aus dem brabanter Lande, sie sähen selber wie brabanter Gäule aus.“ –

Das klang nicht fein, offenbar aber hatte die hübsche Rosine nicht das mindeste Arg daraus, daß sie eben etwas Anderes, als sehr witzig gewesen sei. Sie fuhr fort, ihre wunderschönen, nur etwas großen Zähne zu zeigen, und gerieth zuletzt in ein so unmäßiges Lachen, daß sie sich die Seiten halten mußte, und die Nachbarinnen Georg ermahnten, ihr den Rücken zu klopfen, es könne ihr sonst etwas zustoßen.

Georg hatte mit einiger Ungeduld das Ende dieses Anfalls lärmender Heiterkeit bei seiner Zukünftigen abgewartet, da einige Worte eines Gesprächs an sein Ohr gedrungen waren, welches sein Vater, der Bürgermeister, mit einem ihm zunächst sitzenden

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