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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

erschrecken, aber in ihrer ganzen Haltung lag sofort etwas wie Protest gegen seine Annäherung.

Voll Verlangen hatte der junge Mann mit den Blicken ihr Antlitz gesucht. Dasselbe wurde ihm ruhig zugewendet und schien ihm heute, in diesem Halblichte, mit diesem Ausdrucke, ganz anders als zuvor und zwar so, daß er ein leises Entzücken sich ins Herz schleichen fühlte.

Hilde blickte in ein Paar unruhig flackernde Augen, in ein erregtes Gesicht. „Mädchen“ – stieß Georg hervor – „Du weißt, daß ich Dich tagelang gesucht habe. Was dünkst Du Dich zu sein, daß Du Dich so spröde mir entziehst?“

Er bereute die Worte, sobald sie gesprochen waren. Wie verkehrt, wie wenig am Platze waren dieselben gewesen! Hilde schüttelte leicht seine Hand von ihrem Arme und sagte: „Ich wohne dort in dem Hause, Herr, mit meinem Vater. Zwar weiß ich nicht, was Ihr von mir wollen mögt, wer mich aber sucht, kann mich daheim allezeit finden.“

„Vergönnt Ihr mir, daß ich zu Euch ins Haus komme?“ fragte Georg, wie in freudigem Schreck.

Sie aber sagte: „Weßhalb? Was wollt Ihr bei uns?“ so kühl und gleichsam wie von ferne, daß ihm das Blut ins Gesicht schoß. Er nagte an dem blonden Bärtchen und schwieg einige Sekunden, ehe er in einem ganz anderen Tone wieder begann.

„Verzeiht mir,“ sagte er mit Herzlichkeit. „Die Befürchtung, Euch nicht mehr zu erreichen, ehe Ihr ins Haus ginget, ließ mich so hastig reden, daß meine Worte Euch unsinnig vorgekommen sein müssen. Ich wollte Euch danken für Eure Hilfe neulich.“

„Nun gut, Herr, so thut es, und dann laßt mich weiter,“ sagte Hilde. Von einer Andern gesprochen, hätten die Worte vielleicht wie eine kecke Herausforderung geklungen und des Mädchens kurze abweisende Art nur wie darauf berechnet erscheinen lassen, den Patriciersohn zu reizen. Bei Hilde aber, die dazu aus so ernsten Augen schaute, kam das Alles ganz anders heraus, so, daß die Empfindung dabei für Georg eine völlig neue war. Er fuhr auch ganz anders fort, als sie oder er selber erwartet haben mochte:

„Ich will Euch nicht lange aufhalten. Eins sagt mir, wenn es Euch gefällt: Warum halfet Ihr mir?“

„Ich half Eurem Pferde, Herr, dem that das Noth,“ sagte Hilde.

„Geht“ – Georg wandte sich ärgerlich ab – „Ihr seid wie die andern alle.“ Sie schwieg und ging weiter. Er war mit einigen Schritten doch wieder neben ihr und konnte bei dem schwindenden Tageslichte gerade noch sehen, daß ihr Gesicht einen fast bekümmerten Ausdruck trug. Was mochte sie nur denken? Gleichviel, so lange er noch neben ihr bleiben konnte, denn ihre Nähe verlockte und beruhigte ihn zugleich, so, daß er nichts wünschte, als die gegenwärtigen Minuten möchten ebenso zu Stunden werden.

Und doch verkürzte er sich, was ihm so überaus wohl gefiel. Hilde zuckte mit einem Male zusammen und stand dann in ihrer stolzen geraden Haltung still: er hatte den Arm um ihre Hüfte gelegt.

Sein Arm glitt herab, während sie ihn groß ansah. „Das duld’ ich von niemand, Herr,“ sagte sie. „Und ich bitte Euch, mich jetzt meiner Wege gehen zu lassen. Was Ihr gesagt habt, will ich für Euecrn Dank nehmen; es braucht weiter keinen.“

Sie ging weiter, aber Georg holte sie noch einmal ein, als sie eben den um das Haus herumlaufenden Garten, der hier von der Wiese begrenzt wurde, betreten wollte.

„Gönnet mir noch ein Wort: Sagt mir Euren Namen“ – bat er heftig, und dabei hingen seine Augen wie verzehrend an der vor ihm stehenden Gestalt.

Sie zögerte, als ob sie überlegte. Da sich aber, was er verlangte, kaum verweigern ließ, sagte sie nach einer kurzen Pause: „Ich heiße Hilde; Hilde Vanderport. Mein Vater ist Lukas Vanderport, der Weber.“ –

Und nun neigte sie ernsthaft das Haupt gegen ihn, und er – er riß das Barett herunter und grüßte sie wie eine Edeldame, und dann stand er und sah der hohen, so frei und schlank getragenen Gestalt nach, er draußen, und sie, sich sicher und ruhig hinbewegend über den Grund und Boden, auf dem sie Hausrecht hatte, und den der sonst so Kecke nicht zu betreten wagte. War das die Dirne geringen Standes, der er mit einer dreisten Liebkosung sich hatte nahen wollen? Und er? Er kam sich selber wie ausgewechselt vor, daß er sie so leichten Kaufes hatte entkommen lassen.

Sie war kaum verschwunden, und kaum hatte die Gewißheit, daß das heutige kleine Abenteuer beendet sei, sich seiner völlig bemächtigt, als er sofort neue Pläne, wie er das Mädchen wieder sehen könne, in Gedanken hin und her zu wenden begann. Dabei wickelte er sich fester in den Mantel, rückte das Barett tiefer in die Stirn und schritt in der entgegengesetzten Richtung von der, in welcher er gekommen war, über die Wiesen im Rücken der Weberniederlassung hin, bis er am Ende derselben die Landstraße erreichte. Auf dieser wendete er sich nun der Stadt zu.

Er kam dabei an dem schindelgedeckten Häuschen vorüber, in welchem, wie er nun wußte, der Weber Vanderport mit seiner Tochter wohnte. Der Abend war vollends hereingebrochen; durch die kleinen Scheiben der Häuser links und rechts sah er den trüben Schein der Oellampe, die meist in der Nähe des Fensters, wo der Webstuhl stand, aufgehängt war.

Auch die Fenster jenes kleinen Hauses waren erhellt und man konnte von der Straße aus bequem in die Stube hinein sehen. Das eine der Fenster nahm auch hier der Webstuhl ein, und Georg erblickte in demselben einen weißen Kopf und ein klares Greisenantlitz. Das Gemach schien wohnlich. Die Blumen auf dem Simse des zweiten Fensters sollten wohl unberufene Blicke von außen ausschließen. Georg, dem neulich schon diese damals noch weniger als heutzutage gepflegte Gärtnerei wie ein gewisser Luxus aufgefallen war, verwünschte sie jetzt. Nur undeutlich konnte er in der Tiefe der Stube eine Gestalt sich hin und her bewegen sehen, und als dieselbe jetzt nach vorn kam, da wollte es das Mißgeschick, daß ihm zwischen den Levkoyenstöcken und durch die kleinen Scheiben hindurch nur gerade ihre Hände sichtbar wurden, wie sie sich am Tische zu schaffen machten und das zinnerne Eßgeräth aufstellten.

Georg hatte sich dicht an das Fenster gedrückt und starrte wie gebannt auf diese Hände. Sie waren schlank und von einem gewissen Adel der Form, aber eigentlich nicht ganz jugendlich. Das paßte, denn Hilden selber gab er drei- bis vierundzwanzig Jahre, so viel, wie er selber zählte. Und wie alles an ihr, reizte ihn auch diese volle Reife, der Ernst, den, wenn man wollte, schon diese ruhig sich bewegenden länglichen Hände ausdrückten. Dem jungen Menschen stieg das Blut zu Kopfe, etwas wie ein rasendes Verlangen nach dem Besitze des Mädchens ergriff ihn.

Er hatte vergessen, daß er auf offener Straße stand, wenn auch durch die abendliche Dunkelheit ziemlich geschützt. Da fühlte er sich nicht ganz sanft an der Schulter gefaßt und ein Mann rief ihn an:

„Was thust Du da, Gesell? Pack Dich Deiner Wege! Wir brauchen hier kein Gesindel – kein Volk, das anders, denn durch die Thür, ins Haus zu kommen denkt!“

Georg hatte sich umgedreht und mit einer herrischen Bewegung die Faust des Mannes abgeschüttelt. Dabei streifte der Lichtschein aus des Webers Stube sein Gesicht, und nun sprach eine zweite Stimme etwas gedämpft:

„Laß ihn, das ist kein Landfahrer, Dieter. Es ist des Herrn Bürgermeisters Sohn –“

Georg murmelte einen Fluch zwischen den Zähnen, als er sich erkannt sah, aber er mußte den übeln Zufall hinnehmen. „Das kann ihm der Teufel ansehen,“ brummte seinerseits der, welcher zuerst gesprochen hatte, ein Mann mit großem Hut und langem Spieß, sonst aber ziemlich friedlichen Aussehens. Es war offenbar der nächtliche Wächter der Niederlassung. „Nichts für ungut,“ fügte er jetzt etwas höflicher hinzu. „Ich habe Euch angerufen, wie meines Amtes ist …“

„Das war Euch unbenommen. Und mir scheint, daß die Leute, wo Ihr wacht, ruhig schlafen können,“ sagte Georg mit einem kurzen ärgerlichen Lachen. Es blieb ihm nichts übrig, als sich zu entfernen, und er that dies auf dem Wege, auf dem er gekommen war, um den Thorwärter am Stadtthore zu vermeiden und einer etwaigen Erzählung des Burschen da oben, der ihn erkannt hatte, keine weitere Bestätigung zu liefern.

(Fortsetzung folgt.)




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