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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 11.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Frau mit den Karfunkelsteinen.

Roman von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Eine geraume Zeit ging der Kommerzienrath schweigend in dem stillen Gemache auf und ab, bis er wieder vor Grete stehen blieb, und da erschrak sie – er war ganz braunroth im Gesicht, und die Augen blickten wild wie gestern, da er das Bild der schönen Dore gegen die Wand gekehrt hatte.

„‚Herabgestiegen!‘ Ja, herabgestiegen – sagtest Du nicht so?“ – Er streckte den Zeigefinger wie beweisführend gegen sie aus. „Siehst Du wohl, daß es mit Deinem Nivellirungsprincip nicht weit her ist? – Was weiß auch solch ein kleines Mädchen!“ warf er achselzuckend hin und fuhr sich ungestüm mit der Hand durch das Haar. „Also eine Baronin Billingen soll meine Grete werden!“ setzte er, sich bezwingend, nach einer Pause hinzu. „Mir wär’s schon recht! Ich könnte stolz sein! Ich könnte vor alle die alten Herren in den Sälen oben hintreten und sagen: ,Seht her, meine Tochter ist’s, die die siebenzinkige Krone in unsere Familie bringt‘“ – er brach ab und biß die Zähne zusammen, und Margarete, die anfänglich verletzt emporgefahren war, hing ihm plötzlich am Arme und sah ihm lächelnd von unten in das Gesicht.

„Nun, da nimm die Baronin Tochter, Du stolzer Papa, und führe sie! Aber hübsch langsam, nicht so im Sturmschritt, wie Du eben noch marschirt bist!“ sagte sie und fuhr ihm mit linder Hand über die dunkelgefärbte Stirn. „Du bist mir da zu roth – das gefällt mir nicht! So – eins zwei, eins zwei – immer hübsch im Schritt! Und wenn Du meinst, es sei meine Ansicht, wenn ich im Sinne des Onkels spreche, dann bist Du ein wenig im Irrthume. … Ein Mann, der schließlich am Fürstenhofe freit, ist mit seiner ersten Liebe zu einer armen Malerstochter ‚herabgestiegen‘ – so urtheilt die sogenannte Welt, und er selbst, von seinem jetzigen Standpunkte aus, sicher in erster Linie. … Ueber Dein ‚kleines Mädchen und seine Principien‘ aber darfst Du Dich nicht so moquiren, böser Papa – den Vorwurf der Inkonsequenz nehme ich sehr übel! Mir wäre Blanka Lenz nicht feil gewesen gegen die pommersche Schönheit draußen im Prinzenhofe, mag die auch noch so weiß und roth und üppig sein – mir ganz gewiß nicht! War die schöne Malerstochter doch damals das Ideal meiner enthusiastischen Kinderseele!


Die kleine Schelmin 0Nach dem Gemälde von A. Ludwig.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_173.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)