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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Blätter und Blüthen.

Oberbayrisches Mädchen. (Mit Abbildung S. 157.) Die Berge! Wer wüßte von ihrer Schönheit nicht zu erzählen? Viele Tausende nützen die Sommerzeit, um in den Alpen umherzuschweifen und in der Hochlandspoesie zu schwelgen. Man streift über Höhen und durch Wälder, verweilt entzückt beim Anblick der wilden Pracht, welche die Natur hier entfaltet – man schließt aber auch die Augen nicht, wenn einem der Zufall ein so „sauberes Deandl“ in den Weg führt, wie es unser Künstler als Studienkopf gezeichnet hat. So ein natürliches, liebliches Mädchengesicht läßt auch Einen, der mit dem Stift nicht umzugehen weiß, darin studiren. Es ist keine stolze klassische Schönheit, dazu ist das Profil zu sehr abgerundet, und kein Zug erinnert an das, was wir bei der Salondame interessant finden, aber „sauba is das Deandl, bildsauba“, und das genügt. Dichte dunkle Flechten umrahmen das runde Gesichtchen, aus dem uns ein Paar feurige Augen entgegenblitzen; ein gesundes Roth färbt die Wangen, aus dem geöffneten, lachenden Munde blinken zwei Reihen blendendweißer Zähne – Friseur und Zahnarzt sind dem fröhlichen Mädchen vollständig unbekannte Größen; so zeigt sich auch das Menschenkind als eine unverkümmerte Naturerscheinung, die in den Rahmen der Alpenwelt ganz vorzüglich hineinpaßt. Freilich ist es dem Städter nicht recht zu rathen, mit dem lieblichen Kinde „anzubandeln“, denn einmal ist es nicht ohne Beschützer, dann fehlt ihm die Gewandtheit der Weltdame, Galanterien gnädig entgegenzunehmen oder mit Erfolg zurückzuweisen. Die ländliche Schöne spricht „Fraktur“, wenn man ihr zu nahe tritt, und ein angeborner Mutterwitz verstattet ihr, allerdings etwas derb in der Form, dem Vorwitzigen ordentlich heimzuleuchten. Der Hut der Schönen stammt offenbar aus Südtirol. Er ist vielleicht ein Geschenk des Schatzes, der in Südtirol daheim ist, vielleicht aber auch ein Erbstück von Vorfahren, die von tirolischen Thälern nach Oberbayern verzogen. Jedenfalls findet man in Oberbayern häufig überlieferte Kostümstücke aus andern Thälern, die, wenn praktisch, noch ihrem Zwecke dienen müssen. B. R.     


Paul Heyse. Das oberflächliche litterarische Urtheil liebt es, sich mit einem Dichter durch ein bestimmtes Schlagwort abzufinden. In der Regel kennzeichnet man ihn nach dem Werke, das zufällig zuerst die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hat. Es ist das so bequem: man kennt und nennt z. B. Otto Roquette als den rhein-, wein- und wanderfrohen Dichter von „Waldmeisters Brautfahrt“. Damit hat man ihm ein- für allemal seine Stellung angewiesen und braucht dann nicht weiter zu fragen, ob er etwa noch Anderes geschrieben habe. So blieb bekanntlich Geibel für das große Publikum und sogar für einen Theil der Kritik sein Leben lang der „Backfischdichter“, als ob keine Juniuslieder, keine Brunhild, keine Heroldsrufe erschienen wären! Ebenso pflegt man auch Paul Heyse fast ausschließlich als unseren ersten Novellisten zu nennen und anzuerkennen, ohne zu beachten, daß er bei aller Meisterschaft in der Novelle geradezu der vielseitigste unserer lebenden Dichter ist. In liebenswürdig humoristischer Weise huldigt dem umfassenden Genie Heyse’s der geist- und gemüthvolle Leipziger Dichter Edwin Bormann in einer poetischen Epistel, welche wir, zugleich als Gruß zum fünfundfünfzigsten Geburtstag des Gefeierten (15. März) unsern Lesern vorführen. Die Redaktion.     


     An Paul Heyse in München.
 Eine Epistel.

Viellieber Sänger und Fabulist,
Du weißt wohl, wie ’s einem zu Muthe ist,
Wenn einer einem was möchte sagen,
Was er jahrelang heimlich im Herzen getragen?

5
– Gelt, nicht wahr, du weißt es? Und kurz und gut:

Just so ist mir’s eben jetzt zu Muth’.

Doch, kläng’s auch ein bischen kopfüber kopfunter,
Heut’ soll es, heut’ muß es vom Herzen herunter.
So hör’ es denn fri[s]ch von der Leber weg,

10
Was meiner Epistel tiefinnerster Zweck –:

Ich möchte dir sagen zu dieser Frist,
Wie lieb du als Mensch und Poet mir bist! –

Da freut sich manches Dichterlein,
Nennt’s nur Ein Musenpferdchen sein;

15
Und meint gar Wunder was es sei,

Hat’s erst der Flügelrosse zwei.
Du aber, du reitest wahrhaftig spazieren
Einen ganzen Marstall von Pegasusthieren! –
Bald seh’ ich dich, wie du die Welt durchsprengst

20
Auf dem tragischen Musen-Trakehnerhengst,

Bald trabst du mit festem Schenkelschluß
Durchs Land auf dem epischen Pegasus,
Bald reitest du mit bedächtiger Schnelle
Den Modegaul, die Roman-Isabelle,

25
Bald – Götterschauspiel für Laien und Kenner! –

Besteigst du den Vollblut-Novellenrenner,
Bald wiedrum mit himmelhochjauchzendem Muthe
Erklimmst du die lyrische Schimmelstute,
Ja manchmal – qui mal y pense, soit honni

30
Läßt gar du dir satteln das Stegreif-Pony!


Soll ich sie dir nennen, die Weiblein und Mannsen,
Die Lottkas und Judiths, die Balder und Jansen,
Die neben mir her in hellen Haufen
Wie alte Bekannte durchs Leben laufen?

35
Wie oftmals bin ich in all den Jahren

Mit der Arr[a]bbiata nach Capri gefahren!
Wie oftmals hört’ ich in wohliger Ruh’
Mariuccia’s süßem Geplauder zu!
Wie hab’ ich allzeit in trüben Stunden

40
Ein Trostwort in deinen Sprüchen gefunden!

Wie rührt mir die Seele wieder und wieder
Der schlichte Zauber deiner Lieder! …

Und wohin ich auch immer mag lauschen und blicken,
Dein Wort ist mir Labung und Herzerquicken!

45
Fährt auch ’mal ein Hagelwetter dazwischen,

Und hört man der Leidenschaft Blitze z[i]schen –
Ein Priester bist du von jener Kunst,
Die hoch uns erhebt aus der Straßen Dunst;
Denn alle dein Denken, dein Thun und Sein

50
Ist wahre Kunst, ist Sonnenschein. – –


So, Freund, da wär’ es denn heraus.
Nun runzle die Stirne nicht zorneskraus,
Daß Schwarz auf Weiß ich es hergeschrieben,
Was mir das Herz in die Feder getrieben

55
Und was man im lieben deutschen Land

Gemeiniglich dann erst thut bekannt,
Wenn der, den’s geht am nächsten an,
Es weder mehr lesen noch hören kann. –
Du weißt ja, wenn einer erst ’mal todt,

60
Dann kommt die Nachruf-Schwerenoth,

Dann wird mit prunkenden Nekrologen
Ins litterarische Feld gezogen –
Dann kriegt man es „zeitgemäß“ zu lesen,
Was uns der theure Ent[s]chlaf’ne gewesen.

65
Ich aber, ich frage mich immerdar,

Ob’s zeitgemäßer nicht fürwahr,
Solang’ ihm noch freudig das Herzblut quillt,
Zu sagen, was uns der Lebendige gilt? –

Leb’ wohl, du Mann vom goldenen Wort!

70
Leb’ wohl! Gott schütze dich fort und fort!

Leipzig, den 10. November 1884.   Edwin Bormann.


Deutsche in Australien. In Anbetracht des unnützen Lärms, welchen die englischen Kolonien in Australien in Folge der neuen deutschen Erwerbungen in der Südsee erheben, dürfte ein Hinweis darauf zeitgemäß sein, was Australien und die dort wohnenden Engländer dem deutschen Fleiß zu verdanken haben.

In einer der neuesten Nummern des „Export“ wird diese Frage in einem interessanten Originalbericht aus Adelaide erörtert.

Die Kolonie Süd-Australien wurde vor 48 Jahren von einer englischen Kompagnie gegründet. Unter günstigsten Bedingungen wurden von dieser unermeßliche Länderstriche erworben, aber obgleich der Boden sehr fruchtbar war und gegen 22 000 Engländer, Schotten und Iren denselben besiedelten, wollte der Ackerbau nicht aufblühen und der Wohlstand seinen Einzug nicht halten. Da kam einer der Unternehmer, G. J. Anquas, auf den Gedanken, Deutsche, namentlich Schlesier, zur Auswanderung nach Australien zu veranlassen. Sein Plan gelang ihm, und seit jener Zeit trieb er kein anderes Geschäft, sondern verpachtete lediglich sein Land an deutsche Ansiedler. Der Mann brauchte seine Handlung nicht zu bereuen, denn er starb als Millionär. Die deutschen Pächter aber, die eine Reihe blühender Kolonien, wie Klemzig, Hahndorf, Lobethal, Bethanien und Grünberg, gegründet hatten, begnügten sich mit mäßigem Wohlstand, obgleich sie allein den Ackerbau Süd-Australiens geschaffen und auf die jetzige Höhe gehoben hatten. – Die Engländer verfügen über Tausende von Quadratmeilen unbewohnten Landes in Australien und besitzen „scheffelweise“ Inseln in der Südsee, und trotzdem protestiren sie heute in arroganter Weise gegen die neuesten Kolonialunternehmungen des Deutschen Reiches. Aber es wird diesmal bei dem leeren Protest bleiben, denn die Zeiten sind längst vorüber, wo wir nur dazu gut waren, den Kulturdünger für englische Weltherrschaft abzugeben. Siegfried.     


Kleiner Briefkasten.

Dr. D. in Laibach. Besten Dank für Ihre Zuschrift. Wir werden Ihren Rath befolgen.

Ch. B. in N. Ihr Gedicht kann die „Gartenlaube“ nicht abdrucken, da es weit mehr Raum in Anspruch nehmen würde, als wir für Gedichte zu verwenden haben.

(r † y)² Wenn Sie im letzten Jahrgang genau nachschlagen wollen, werden Sie sehen, daß wir Ihren Wünschen bereits Rechnung getragen haben.

A. Sch. in Nauen. Die von Ihnen ausgedachte seltsame Operation würde nichts nützen.

Ungenannt in Naumburg. Haben Sie die Güte, die betreffende Nähmaschine an die Verlagshandlung von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig abzusenden.

Frl. E. in Halle a. S. 17. Wir haben das Manuskript bereits am 3. Januar an Sie zurückgesandt.

E. B. in N. Geben Sie uns gefälligst Ihre Adresse an.



Inhalt: Die Frau mit den Karfunkelsteinen. Roman von E. Marlitt (Fortsetzung). S. 157. – Lieö und seine Umgebung. Von F. K. S. 163. Mit Illustrationen S. 160 und 161, 163, 164 und 165. – Im Wartesaal. Skizze von C. Michael. S. 166. – Unter der Ehrenpforte. Von Sophie Junghans. S. 168. Mit Illustrationen S. 168 und 169. – Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit. Von G. van Muyden. S. 171. – Blätter und Blüthen: Oberbayrisches Mädchen. S. 172. Mit Abbildung S. 157. – Paul Heyse. Gedicht von Edwin Bormann. – Deutsche in Australien. Von Siegfried. – Kleiner Briefkasten. S. 172.


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_172.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2024)