Seite:Die Gartenlaube (1885) 169.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

neugierig zwischen den ärmlichen, aber augenscheinlich noch nicht lange erbauten Wohnstätten zu beiden Seiten um. „Hier sitzt also das Webervölklein, dem der Landgraf des Glaubens wegen eine Freistatt gegönnt hat,“ meinte er dann. „Seht, Georg, es sind, seit Ihr nicht hier waret, wohl noch ein Dutzend Giebel hinzugekommen.“

Georg nickte und hielt zugleich einige Schritte von einem einstöckigen Bau, der sich, wenn man aufmerksam hinsah, vor den übrigen Häusern um ein weniges auszeichnete. Die Holzschindeln, die, wie bei den meisten der Nachbarhäuser, den Oberstock auf drei Seiten grauglänzend wie Atlas umkleideten, zeigten eine gefälligere Form, und die Stütz-Balken des vorspringenden oberen Geschosses eine nicht ganz kunstlose Schnitzerei. Die kleinen bleigefaßten Scheiben der Fenster glänzten ungewöhnlich sauber, und einige der Fensterlein boten Raum für jenen anmuthigen ersten Luxus der Armuth, die wenigstens über den bittersten Kampf mit der Noth hinaus ist: eine reichliche Blumenpflege.

Georg Tiedemars hatte auf dies Alles schwerlich Acht. Er betrachtete vielmehr das Häuschen unzufrieden, indem er sagte: „Sie haben Weg und Steg verbaut … ich wußte hier zwischen den Hecken und durch die sumpfigen Wiesen hindurch Bescheid, daß mir heller Tag und Mitternacht gleich war, und jetzt kann ich mich nicht mehr zurecht finden. Gerade hier auf dem Fleck, wo das Haus steht, muß der Pfad nach dem Bache hinunter geführt haben; kommen wir hier seitwärts nicht durch, so müssen wir umwenden und auf der Landstraße bleiben.“

„Und vom Umwenden waret Ihr nie ein Freund,“ brummte Hans, während Georg an dem niedrigen Lattenzaun, der den Krautgarten neben dem Hause umfaßte, entlang ritt und dann vom Pferde herab die erste Thür in dem Zaun, an die er kam, zu öffnen versuchte. Es gelang ihm; er winkte dem Hans Veit halb lächelnd mit dem Kopf über die Schulter, und sie ritten auf einem grasbewachsenen Pfade zwischen den Kohläckern des Besitzers hin, ein Vergehen, welches der Bürgermeisterssohn verantworten mochte, da es der Bologneser Jurist schwerlich gekonnt hätte.

Eine Hand griff nach dem Zügel. (S. 170.)

Im Garten war übrigens Niemand, um die unbefugten Eindringlinge zu berufen. Derselbe grenzte auf der anderen Seite an die Wiesen, deren sich Georg vorhin erinnert hatte, und hier befand sich kein Zaun; ein schilfiger Graben bildete den Abschluß. In dem Augenblicke, als die beiden Reiter über den Graben setzten, mochte die ungewöhnliche Erscheinung zuerst bemerkt werden; eine Weiberstimme stieß einen hellen Schrei aus und eine andere rief: „Gott schütze uns, Hilde, sieh da – sie sind in Euren Garten gebrochen!“

Der erste Blick auf die Wiese hatte den Reitern gezeigt, daß sie hier im Revier der Weiber waren. Lange Stücke Leinen waren an Pflöcken zum Bleichen straff über das Gras gespannt, und links zur Seite, gegen das durchströmende Flüßchen hin stand eine Gruppe Mädchen, die eben vom Schöpfen gekommen sein mochten.

Heimlich belustigt vom Schrecken der Dirnen redete Georg sie an, indem er den Gaul im Zügel hielt und höflich das Barett lüftete. Sein Ton, der, wenn er mit Männern redete, nicht leicht die etwas hochfahrende Gleichgültigkeit des Patriziers verleugnete, ward sofort, und ohne seinen Willen, ein anderer, sobald er Frauen vor sich hatte, mochten sie selbst der geringsten Klasse angehören. Er schien dem Geschlechte eine Rücksicht, eine Achtung zu zollen, die ihm gerade da, wo sie am wenigsten erwartet, vielleicht auch am wenigsten verdient war, schon viele Herzen gewonnen hatte.

Er entschuldigte, wenn etwa die Bewohnerin des Hauses neben dem Garten zugegen wäre, die Freiheit, die er und sein Begleiter genommen. „Ich war hier herum bekannt, ehe die letzten Häuser erbaut waren,“ sagte er lächelnd, „und suchte den Weg, den ich als Knabe oft gemacht hatte, um durch ein Hinterpförtchen in meines Vaters Garten zu gelangen.“

Einem der Mädchen, welches hinter den anderen stand, mochte in ihrer gedeckten Stellung der Muth gewachsen sein; mit halber Stimme, aber doch deutlich von allen vernehmbar, fuhr sie jetzt heraus: „Ist der wieder da! Das ist ja der Jürgen Tiedemars, der übermüthige Bürgermeisterssohn!“

Georg lächelte wieder, was ihm sehr gut stand: „Der die hübsche Jungfer wohl mehr als einmal auf dem Tanzplatz geschwenkt hat,“ sagte er, unter dem Kichern der übrigen Mädchen.

Diejenige, welche vorhin von einer anderen als „Hilde“ angeredet worden war, hatte indeß vorn an, den Reitern gerade

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_169.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2019)