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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Unter der Ehrenpforte.

Von Sophie Junghans.

Zwei Reiter hielten auf einer Höhe, von welcher aus die Landstraße das weite, von hier einer Ebene gleiche Thal beherrschte, ehe sie sich senkte und den vollen Umblick nicht mehr gestattete. Man sah eine Anzahl Dörfer in der ausgedehnten, unregelmäßigen Fläche; so ziemlich in der Mitte des Gesichtskreises aber die stattlicheren Thürme und die dunklere Häusermasse der Stadt. Dieselbe hatte damals, vor dreihundert Jahren, kaum ein Viertheil ihres jetzigen Umfangs, aber der Thurm ihrer Sankt Martinskirche und unfern davon ein vereinzelter, kreisrunder Wartthurm von beträchtlicher Höhe ragten damals wie heute, und mit dem braunen Gestein der festen, in gutem Zustande befindlichen Umfassungsmauern hob sie sich kompakter und tüchtiger aus der grünen Umgebung hervor, als heutzutage, da sie sich, wie alle ihres Gleichen, mit weit hinaus liegeuden einzelnen Häusern und Häuschen unmerklich in die Landschaft verliert.

„Da liegt nun das Nest!“ sagte der Eine der Beiden mit einem halben Seufzer, bei dem er sich im Sattel dehnte und die bestiefelten und bespornten Füße in den Bügeln weit von sich streckte. „Da liegt es – drei Jahre lang bin ich fort gewesen, und wenn ich nun sagen sollte, daß mich der Anblick freut, so müßt’ ich lügen. Mich dünkt, ich schmecke schon wieder den Ofenrauch“ – er rümpfte die wohlgebildete Nase … „ich höre um mich her all das Weibergeträtsch und Gesumme, und bei Gott – die dumpfe Kellerluft in der engen Gasse … mir ist, als wehte sie mich schon hier an.“

Der Andere lachte nur zu den Worten. „Ich meine,“ sagte er nach einer kurzen Pause gleichmüthig, „Euch, als dem Bürgermeistersohn, müßte die Stadt ein ganz anderes Gesicht machen, als unser Einem. Wo ich die erste Violine spielen kann, da gefällt mir die Musik. Enge Gassen – sind sie in Padua und Bologna etwa breiter? Wo war’s, wo wir die blutigen Händel kriegten, als wir, unser vier Deutsche, Arm in Arm dergestalt den Borgo Ognissanti gesperrt hatten? Und der Winkel hinter dem Mercato Nuovo, allwo Euer letzter Schatz, Madonna Angelika, ihr Losament hatte –“

Auf eine Bewegung der Ungeduld seines Gefährten fuhr er gelassen fort: „Aber ich weiß wohl, es ist das freie, lose Leben, dessen Verlust Euch drückt, das Umherschlüpfen in diesen heimlichen, dunkeln, überbauten Ecken und Winkeln, in denen wir dahin fuhren, unserer Lust nach, und von dem, was wir begehrten, die Hülle und Fülle haben konnten, nicht anders, als die Mäuslein und Ratten auf dem Kornboden …“

Georg Philipp Tiedemars, der junge Bürgermeistersohn, lächelte ein wenig. „Du magst Recht haben, Bruder. Aber ich glaube, es war hohe Zeit, daß die Mäuse jenen Kornboden räumten, wollten sie anders das Leben oder doch eine gesunde Haut davon tragen.“

„Der Meinung war ich längst und hab’ es Euch auch, meines Wissens, nicht verhehlt,“ sagte sein Begleiter. „Und was Euch jetzt dort unten erwartet“ – er deutete mit ausgestrecktem Arm hinüber nach den Thürmen der Stadt, während sie die Gäule wieder in Bewegung setzten – „ist, dächt’ ich, so schlimm nicht. Hattet Ihr dorten, ehe Ihr auf Schulen zoget, als der erste unter den Bürgersöhnen den Vortritt bei Tanz und Spiel, so bringt Ihr jetzt mit, was Euch auch unter Männern Ansehen geben würde, selbst wenn Ihr nicht des Bürgermeisters einziger Sohn wäret. Drei Jahre habt Ihr zu Padua und zu Bologna das Jus studirt, und ich will Euch das Zeugniß geben: ganz umsonst habt Ihr Eures Vaters schwere Gulden alldort nicht verzehrt, wenn ihrer auch mehr als billig den hübschen Frauen in den Schoß gerollt sind. Bei den gelehrten Kutten und Talaren dort hattet Ihr den besten Leumund von uns allen, als ein Deutscher praeclari ingenii, morum elegantiorum – von hohem Geiste und edleren Sitten –“ er lachte – „mögt Ihr des Lobes, welches Ihr verbrieft und stattlich untersiegelt mit nach Hause bringt, so wohl und lange genießen, wie Ihr es der Wahrheit nach verdient, Georg! Aber wie gesagt, Ihr kommt keineswegs leer an juristischer Weisheit zurück, und es gebricht Euch nicht, wie manchem der Allergelehrtesten, an Witz, um dieselbe zu Ehren zu bringen. Die Jungfer Braut, oder die es doch bald sein wird, wird stolz auf Euch sein – Ihr seid von ihr und ihrer Sippe des liebreichsten Empfangs gewiß.“

Der etwas ältere Genosse sah ihn hierbei von der Seite an, als ob er von dieser Erwähnung der für den Freund geplanten Heirath vielleicht die Erklärung erwarte, weßhalb Georg mit anscheinend so geringer Freude nach dieser langen Abwesenheit die Vaterstadt wiedersah. Aber das hübsche Gesicht des jungen Tiedemars zeigte den vielleicht von dem klugen Gefährten erwarteten Ausdruck nicht, sondern blieb aufrichtig gleichgültig wie zuvor. Daher der Andere fortfuhr:

„Auch hier hat das Glück schier besser, als Ihr verdient, für Euch gesorgt. Die Rosine Külwetter ist von ehrbarem Gemüth und hat sich von jeher so gehalten, daß man sie nur loben konnte – so, wie es einer der besten Bürgerstöchter ziemet. Hübsch ist sie auch, und des ansehnlichen Heirathsguts halber, in welches ihre Person gleichsam wie ein Bild in einen vortrefflichen goldenen Rahmen gefaßt ist, werdet Ihr das anmuthige Bildniß selbst, eben ihre Person, nicht geringer achten.“

„Gegen die Rosine habe ich nichts – und Du brauchst sie mir nicht zu loben wie eine verlegene Waare: das hat sie nicht nöthig!“ – war alles, was Georg hierauf erwiderte. Sie hatten indeß das Flurgebiet der Stadt erreicht, ritten unter dem aufgezogenen Schlagbaum durch und bogen jetzt von der Landstraße ab in eine Art unregelmäßiger Gasse, von niedrigen ärmlichen Häusern gebildet. Die kleine Niederlassung lag außerhalb der Stadtmauer und zog sich bis hart an eines der Thore. Georg Tiedemars war stillschweigend vorangeritten und bog sich jetzt im Sattel um. „Dies ist der Weg, der uns über den Ahnebach hinter dem Pfarracker her an den Bürgermeistergarten führt. Die Pforte in der Mauer weiß ich zu öffnen; es war einer von unsern Jungenstreichen, auf diesem Wege aus der Stadt und wieder hineinzukommen, wenn die Thore nach dem Abendläuten geschlossen waren. Seid Ihr’s zufrieden, Hans, so ersparen wir uns den Anruf am Thore und das Begaffen und Befragen, und kommen durch den Garten beinahe ungesehen bei meinem Elternhause an.“

„Mir kann es gleich sein, wenn es den Gäulen nur eben so recht ist,“ sagte Hans Veit, sein Begleiter. Er sah sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_168.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2024)