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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

sie tippte mit dem Finger gegen die Stirn. „Wer verlangt das aber auch von einem Mädchenkopf, gell, Onkel?“

Lächelnd warf sie das Vasenbruchstück auf den Tisch. „Woher aber weißt Du, daß Onkel Theobald meine kleinen Dienste vermißt?“ fragte sie plötzlich lebhaft aufblickend.

„Das kannst Du erfahren. Meine Mutter hat vorhin einen Brief von Tante Elise erhalten. Du fehlst nicht allein in Onkels Studirstube, auch im Salon der Tante, wo sich die Freunde des Hauses versammeln, wird Deine schleunige Rückkehr ersehnt ... Herr von Billingen-Wackewitz ist wohl das enfant gâté in diesem Salon?“

„Aus welchem Grunde glaubst Du das?“

Ein helles jähes Roth stieg ihr in die Wangen, während sie die Brauen leicht zusammenzog.

Er wandte den durchdringenden Blick nicht von ihrem Gesicht. „Das will ich Dir sagen. Ich möchte wetten, daß der lange, eingehende Bericht der Tante keine fünf Zeilen aufzuweisen hat, in welchen der schöne Mecklenburger nicht figurirt.“

„Er ist Tante Elisens Protégé und einer der wenigen Adeligen, die das Haus des Onkels, des ‚alten Freiheitsschwärmers‘, besuchen,“ sagte sie, sich von ihm wegwendend, erklärend zu Tante Sophie.

Der Landrath lehnte sich mit dem Rücken an Sims und Fensterkreuz. „Also eine politische Inklination, Margarete?“ warf er spöttisch hin. „Tante Elise schreibt anders darüber.“

Ihre Augen funkelten in tiefverletztem Mädchenstolze, aber sie bezwang sich. „Das sieht aus wie der Anfang eines Familienklatsches, und dazu sollte Tante Elise, die geistreiche Frau, ihre Feder hergeben?“ sprach sie mit ungläubigem Achselzucken.

Er lachte leise, aber hart auf. „Die Erfahrung lehrt, daß im Punkte des Ehestiftens die Frauen insgesammt – gleichviel ob geistreich oder beschränkt – ein und dieselbe kleine Schwäche haben.“

„O, ich bitte mir’s aus – ich nicht!“ protestirte die Tante energisch. „An solchen heiklen Dingen hab’ ich mir nie die Finger verbrannt.“

„Rühmen Sie sich nicht zu früh, Fräulein Sophie – Sie könnten gerade jetzt stark in Versuchung kommen!“ warnte er sarkastisch. „Herr von Billingen soll ein schöner Mann sein –“

„Ja, er ist groß von Gestalt und hat ein Gesicht, weiß und roth wie eine Aepfelblüthe,“ warf Margarete ein.

Er sah nicht auf von seinen Fingernägeln, die er angelegentlich zu betrachten schien.

„Vor Allem trägt er einen Namen, der hoch angesehen und sehr alt ist,“ fuhr er unbeirrt fort.

„Ja wohl, uralt!“ bestätigte Margarete abermals. „Die Heraldiker streiten bis auf den heutigen Tag, ob das seltsame Gebild in einem der Wappenfelder das Feuersteinbeil eines Höhlenbewohners, oder ein Webstuhlfragment aus der späteren Pfahlbauzeit sein soll.“

„Potztausend, was für ein Stammbaum! Davor müssen sich ja unsere dicksten Eichen verkriechen,“ meinte Tante Sophie mit schelmischem Augenblinzeln. „Was, so hoch willst Du hinaus, Gretel?“

Die Augen des jungen Mädchens sprühten förmlich in Muthwillen. „Mein Gott, warum sollte ich denn nicht?“ fragte sie zurück. „Ist das ‚Hochhinauswollen‘ nicht ein Zug unserer Zeit? Und ich, ein Mädchen! ein Mädchen, das acht Loth Gehirn weniger hat, als die Herren der Schöpfung, wie sollte ich mir darüber ein eigenes Urtheil bilden und meinen eigenen Weg gehen wollen! Nein, so vermessen bin ich nicht! Ich laufe brav mit auf der Heerstraße der Tagesmode und sehe nicht ein, weßhalb es mir nicht auch Spaß machen soll, mehr zu werden und den Staub meiner Abkunft von den Füßen zu schütteln.“

„Na, das sollten unsere alten Herren da oben hören!“ drohte die Tante und zeigte auf einige noch nicht abgenommene Oelbilder der aus ihrer Allongenperücke stolz und ernsthaft von der Wand herabschauenden Kaufherren.

Margarete zuckte lächelnd die Achseln. „Wer weiß, wie sie heutzutage mit ihrem strengen Bürgersinne fertig würden! ‚Wir sind Kinder unserer Zeit und keine Spartaner!‘ hörte ich kürzlich sagen, und so könnte es immerhin sein, daß die alten, mit Bienenfleiß in Komptoir und Lagerräumen schaffenden Lamprechts es machten wie so Viele jetzt und sich glücklich schätzten, ihren Honig als Mitgift der Töchter in den leeren Stock irgend eines ‚alten, hoch angesehenen Geschlechts‘ gießen zu dürfen. ... Das soll der Bürgerstolz heutigen Tages sein – so sagen die Leute.“

„‚So sagen die Leute,‘“ wiederholte der Landrath kopfnickend. „Selbstverständlich hast Du diesen Ausspruch scharfer Zungen auch wieder nur von Anderen –“

„Natürlicher Weise,“ bestätigte sie lachend. „Ich mache es genau wie andere junge Mädchen auch – ich plappere nach, Onkel ... Ich höre zu, wenn Andere über die heutigen Zustände diskutiren, und Manches interessirt mich wirklich. So zum Beispiel die Kletterstange voll wünschenswerther Dinge, die jetzt in der Welt aufgerichtet sein soll –“

„Und welcher die Streber in hellen Haufen zuströmen, nicht wahr, Margarete?“ unterbrach sie Herbert mit kaltem Lächeln.

Ihr Blick, der dem seinen begegnete, verdunkelte sich. „Ja wohl, Onkel! Solche, denen der ehrliche Heimathboden nicht gut genug, der gerade Weg nicht der beste ist. Manch braves Menschenkind soll bei dem Ansturme zu Boden getreten werden. Sonst soll das Klettern leicht sein, sagen die Leute; man müsse immer nur auf die äußeren Signale achten, um Gotteswillen aber nie auf irgend eine innere Stimme wie die des Herzens oder der wahren Ueberzeugung, sonst falle man herab, wie der angerufene Nachtwandler vom Dach. Auch schöne Damenhände sollen manchmal helfen –“

„Pst!“ machte Tante Sophie und hob den Zeigefinger in der Richtung des Treppenhauses. Es mochte ihr wohl gelegen kommen, daß draußen Schritte heraufpolterten und das Gespräch unterbrachen, welchem die übermüthigen Anspielungen des jungen Mädchens eine peinliche Wendung zu geben drohten. „Lauf und wirf das Kleid ab, Gretel!“ drängte sie. „Dem Schritte nach ist’s Reinhold, der heraufkommt, und der kann selten einen Spaß vertragen, er wird leicht grob!“

Margarete flog nach der Thür. Sie vermied es ängstlich, mit dem reizbaren Bruder in Kollision zu kommen, aber schon war es zu spät, Reinhold kam in Begleitung der Großmama den Flursaal entlang.




12.

Die Eintretenden prallten zurück vor der aus dem Rahmen gestiegenen „schönen Dore“, die sich wieder bis an den Tisch inmitten des Salons zurückgezogen hatte, die Stirn gesenkt, als erwarte sie widerspruchslos die Grobheiten, die auf ihr Haupt niederregnen sollten.

„Das ist wieder einmal ein verrückter Streich von Dir, Grete! Den Tod könnte man davon haben,“ sagte denn auch Herr Lamprecht junior prompt, nachdem er zu Athem gekommen war.

„Ja, Holdchen, es war eine grenzenlose Albernheit,“ gab sie sanftlächelnd zu. Dabei ging sie von Thür zu Thür, um die offenen Flügel zu schließen – für Reinhold war der Zug stets verderblich.

„Unsinn!“ murrte er und folgte jeder ihrer Bewegungen mit geärgertem Blicke. „Das rauscht und rasselt, und das Silber stäubt ab von den morschen Fäden. Der Papa sollte nur kommen und sehen, wie Du das kostbare Inventarstück über die Dielen schleifst! Da wär’s aus und vorbei mit seiner Vorliebe, die ihm geradezu über Nacht gekommen sein muß – thut er doch gerade, als hättest Du in Berlin die Weisheit mit Löffeln gegessen!“

„Rege Dich nicht auf!“ bat sie. „Ich gehe gleich. In wenig Minuten hängt das Kleid an seinem Platze und ich werde mich nie wieder daran vergreifen. Geh’, sei gut!“

Sie legte bittend ihre zarten Fingerspitzen auf seine Hand, die er auf den Tisch stützte, aber er schob sie weg. „Ach, lasse doch die Kindereien, Grete! Ich hab’s von klein auf nicht leiden können, wenn man mir zu nahe kommt – das weißt Du doch!“

Sie nickte lächelnd mit dem Kopfe, nahm vorsichtig das Kleid auf, um das Lärmen beim Hinausgehen zu verhindern, und ging zur Mittelthür. Aber an der Schwelle zögerte sie und wandte sich zurück.

„Was sind denn da für Dummheiten geschehen?“ hatte sie Reinhold fragen hören, und nun sah sie, wie er die Vasenscherben durch einander warf.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_143.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2020)