Seite:Die Gartenlaube (1885) 138.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Dann ließ er sein Gebot erschallen
Dem Thürmer und den Knechten allen:
Merkt auf und sagt’s von Mund zu Munde!
Vor Sonnenaufgang eine Stunde
Soll alles wach sein und bereit.
Drum sorget, daß zur rechten Zeit
Ein jeder flink das seine thue! –
Drauf legten alle sich zur Ruhe.
Die junge Braut nur lag in Thränen
Und wacht’ in hoffnungslosem Sehnen;
Sie weinte still und seufzte tief,
Indessen ringsum alles schlief.

Der Wächter selbst beschwert vom Wein
Nickt auf dem Thurm ermattet ein.
Da schreckt ihn auf um Mitternacht
Des nahen Mondes helle Pracht,
Die ostwärts überm Wald erglommen.
Er meint, schon will der Morgen kommen.
Zeit ist’s, denkt er in jähem Schrecken,
Die große Ritterschaft zu wecken.



Laut stößt ins Horn der trunkne Mann:
Steht auf, ihr Herrn! Der Tag bricht an! –
Das Dröhnen des Allarmhorns traf
Die Zecher all im ersten Schlaf;
Sie starrten gähnend in die Helle.
Die Knechte schlichen in die Ställe,
Und unter Lärmen und Geschrei
Zog Roß und Zelter man herbei,
Bis endlich die gesammte Schaar
Der alten Herrn im Sattel war.
Dem ältsten ward die bleiche Braut
Zu Dienst und Obhut anvertraut.
Der Armen führte man am Thor
Des Freundes bunten Zelter vor;
Da deckt sie mit dem Schleier sich
Und schluchzt und weinet bitterlich.

Die Alten brummen in den Bart:
So war von je der Weiber Art.
Wenn sie des Vaters Haus verlassen,
Weiß keine sich vor Schmerz zu fassen. –

So brach man auf noch lang vor Tag.
Ihr Ziel, ein altes Kirchlein, lag
Fern an des großen Waldes Saum.
Der Weg bot nur zwei Rossen Raum,
Drum ordnet sachte sich die Schaar.
In langem Zuge Paar um Paar
Rottirten sich die vielen Reiter,
Zuletzt die Braut und ihr Begleiter.
Der alte Herr, der wenig sprach,
Ließ sie voraus und folgte nach,
Daß in des finstern Weges Enge
Sein Roß nicht an das ihre dränge.
So ging es durch die Wälder fort,
Man hörte kaum ein lautes Wort,
Das Rascheln nur im dürren Laub,
Der Thiere Stampfen und Geschnaub.
Die meisten nickten schlummertrunken,
Vorn auf des Pferdes Hals gesunken,
Und wer im Sattel aufrecht saß,
Der sann für sich auf dies und das,
Im Kopf umnebelt und verwacht,
Und niemand nahm des Fräuleins Acht.
Ihr Ritter war ein gutes Stück
Des Weges hinter ihr zurück,
Da oft sein Rößlein stehen blieb,
Bis er’s im Schlafe weiter trieb.
Sie selbst blickt achtlos vor sich hin,
Nur Lieb und Liebesleid im Sinn.

So ritt sie durch die Einsamkeit
Allein, nur Gott war ihr Geleit,
Bis tief sich in ein schattig Thal
Die Straße senkte, wo kein Strahl
Des Mondes durch das Dickicht drang.
Sie ließ dem Zelter freien Gang,
Und unvermerkt bog dort mit ihr
In jenen Pfad das treue Thier,
Den es in hoffnungsreichen Tagen
So manchmal seinen Herrn getragen.
Sie schwand im Wald. Der Troß der Reiter
Ritt auf der großen Straße weiter.

Doch endlich sah das Fräulein um:
Rings nächtge Wildniß öd und stumm;
Sie war verlassen und verirrt,
Sie bebt vor Schreck und Graus verwirrt,
Schon will sie rufen angstbeklommen,
Doch wehe, nein! was soll’s ihr frommen?
Viel besser wahrlich, hier zu sterben,
Und in der Wüste zu verderben!
Sie ließ dem klugen Roß die Zügel;
Das trug sie weit durch Thal und Hügel
Mit sanftem Schritt ohn’ Aufenthalt,
Und langsam lichtet sich der Wald.

Da kreuzt ein Gießbach ihren Weg,
Dumpfbrausend, tief und ohne Steg;
Das Roß ging ruhig längs dem Rand,
Bis es die Furt, die seichte, fand.
Und sicher klomm es aus der Schluft.
Ein Horn klang durch die Dämmerluft.
Sie kam ins freie Feld hinaus
Und sah vor sich ein festes Haus.
Dort auf der Zinne blies ein Mann
Den Tag mit hellen Weisen an.
Der treue Zelter ritt in Ruh
Dem wohlbekannten Thore zu,
Und auf der Brücke scharrt sein Huf.
Der Wächter stockt im Morgenruf
Und spähte lauschend hin und wieder.
Von seiner Warte stieg er nieder
Und rief durch’s Fensterlein am Thor:
Wer ritt hier auf die Brücke vor? –
Sie spricht, und ihre Thränen wallen:
Die Unglückseligste von Allen,
Die je geschaut des Lebens Licht!
Wohin ich soll, ich weiß es nicht.

Ich bin verirrt. Erbarm dich mein!
Nur bis es Tag ist, laß mich ein! –
Das darf ich nicht, bei meinem Haupt!
Bevor es mir mein Herr erlaubt.
Der liegt vergrämt in herbem Grimm;
Denn man betrog ihn allzu schlimm. –

Ob ihrer Schönheit staunt der Mann
Und stieg zu seinem Herrn hinan;
Der lag in stetem Kummer wach.
Verzeiht, Herr, rief er ins Gemach,
Vor unsrem Thor im Morgengrau
Hält eine tiefbetrübte Frau,
Von Jahren jung und fein von Sitten.
Sie kam dort aus dem Wald geritten.
Ihr Mantel glänzt in prächtgem Scheine,
Der ist von Scharlach, wie ich meine.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_138.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2019)