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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

aber gerade der Mann, der die Bestrebungen des ihm verwandten Geistes der Vollendung entgegenzuführen die Fähigkeit und die Kraft hatte. Der ihm vorausgegangene Ruf bereitete ihm eine glänzende Aufnahme. Der in vierzehn Tagen mit Hill zu Stande gebrachte „Rinaldo“ überstieg aber noch die Erwartungen, sodaß alle gegen Händel gerichteten Angriffe in dem Sturm der Begeisterung verhallten. Der kurze Aufenthalt in Hannover, der diese Triumphe unterbrach, war indeß kein verlorner. Der fruchtbare Einfluß Steffani’s zeigt sich in den hier geschriebenen Kammerduetten.

Ende 1712 war Händel wieder in London auf Urlaub. Er hatte die Kühnheit, denselben diesmal so weit zu überschreiten, daß ihm die Rückkehr unmöglich gewesen sein würde. Die Strafe sollte nicht ausbleiben, da der plötzliche Tod der Königin Anna seinen von ihm beleidigten Dienstherrn auf den Thron von England berief. Händel wagte es nicht, sich vor ihm zu zeigen, sondern brachte längere Zeit bei dem Grafen von Burlington zu. Kielmannsegge führte jedoch endlich eine Versöhnung herbei. Eine Spazierfahrt des Königs auf der Themse gab die Gelegenheit. Hier sollte dieser durch eine neue Händel’sche Komposition, die später unter dem Namen der „Wassermusik“ bekannt geworden ist, überrascht werden. Die List gelang. Seine Majestät nahm den angetreten Musiker wieder in Gnaden auf und bewahrte ihm seine Gunst bis zum Tode. Bald darauf wurde Händel von dem Herzog von Chandos als Musikdirektor nach Cannons berufen, für den er eine Reihe Anthemen (Antihymne) schrieb, welche als Vorläufer seiner Oratorien gelten, von denen die ersten auch noch in Cannons entstanden. Zunächst seine „Esther“, die sich in fünf gewaltigen Tongemälden entrollt, in denen die Großheit des Tondichters durch die gewaltigen Chöre sich bereits ankündigt. Das Schäferspiel „Acis und Galatea“ bildete dazu einen lieblichen Gegensatz.

Das Jahr 1720 rief Händel wieder nach London. Schon Burney bezeichnete dieses Jahr als einen entscheidenden Wendepunkt in dem Leben des Meisters. Bis dahin war er ununterbrochen vom Glücke begünstigt gewesen, jetzt auf die Höhe desselben gehoben, sollte er alle jene Kämpfe beginnen, in denen sich sein Genie erst zur vollen Größe entfaltete. Die Bildung einer Akademie der Musik von Seiten des hohen Adels, unter dem Schutze des Königs, gab dazu die Veranlassung. Händel ward mit an die Spitze der künstlerischen Leitung berufen, die er jedoch mit den Italienern Bononcini und Attilio zu theilen hatte. Diese Rivalität war aber nicht die einzige Ursache der ausbrechenden Kämpfe.

Der Parteigeist, welcher England seit mehr als hundert Jahren gespalten, hatte sich auch auf die Bühne geworfen. Die puritanischen Gegner derselben griffen natürlich diejenigen Erscheinungen am heftigsten an, die hier die größte Anziehungskraft ausübten. Die Anhänger des Dramas dagegen waren zugleich die erbittertsten Feinde der dasselbe verdrängenden Oper, die Anhänger der nationalen Musik aber die der begünstigten Ausländer.

Es gehörte die Kraft eines Titanen dazu, durch so viele Jahre diesem Sturme zu trotzen. Die Ausdauer, die Festigkeit, mit der es von Händel geschah, gereicht ihm und dem deutschen Namen zu ewigem Ruhme. Bononcini und Attilio wurden zwar bald aus dem Felde geschlagen, aber alle einzelnen Triumphe hinderten nicht den Zusammenbruch der Akademie. Die zwischen den Anhängern der Cuzzoni und der Faustina Bordone ausbrechenden, bis dahin unerhörten Feindseligkeiten beschleunigten denselben noch. Auch der Wiederbelebungsversuch hatte nur einen verhältnißmäßig kurzen Bestand. Inzwischen hatte ein anderes Theater sich seiner für Cannons geschriebenen Oratorien zu bemächtigen versucht, was Händel veranlaßte, die Sache selbst in die Hände zu nehmen. Die Aufführung seiner „Esther“ mit Dekorationen, doch ohne schauspielerische Aktion öffentlich im Theater, wurde epochemachend. Händel glaubte den hiermit eingeschlagenen Weg weiter verfolgen zu sollen. Die Anstrengungen der Gegner bereiteten seiner „Debora“ aber eine so entschiedene Niederlage, daß er sein nächstes Oratorium gar nicht in London, sondern in Oxford aufführte, wo der Erfolg ihm die Doktorwürde eintrug.

Zum dritten Male wagte Händel, sich an der Gründung einer Oper zu betheiligen. Ein neuer, vier Jahre lang andauernder, verzweifelter Kampf, der ihn Vermögen und Gesundheit kostete. Es war aber, als ob das Unglück seinem Genius neue Schwingen verliehe. In rascher Folge entstanden „Saul“, „Das Alexanderfest“, „Israel in Aegypten“, „Allegro“, „Messias“ – das größte Chorwerk und, wie Herder gesagt: eine christliche Epopöe in Tönen – und „Samson“. Händel gründete mit diesen Oratorien, die in Wahrheit Musikdramen im größten Stile waren, eine ganz neue Gattung.

Neuer Wohlstand erblühte, der von ihm in edelmüthiger Weise verwendet wurde. Doch blieb es ein mächtiges Ringen mit dem auf und nieder wogenden Glück. Der letzte furchtbare Schlag, der ihn traf, war das Erlöschen des Augenlichts. Auch dieser warf ihn nicht nieder. Wie Milton sein großes Gedicht, diktirte auch er in diesem traurigen Zustande seinen „Jephtha“. Nachdem er am 6. April 1759 noch selbst ein Koncert dirigirt, gab er am 13. April den rastlosen Geist auf. Händel war groß bis ans Ende und Größe ist der Charakterzug seiner Werke. Er konnte in ihnen – wie Köstlin sagt – manchmal leer, niemals klein, manchmal breit, niemals arm erscheinen. Er hat der deutschen Musik zuerst den reichen, vielgestaltigen, gewaltigen Ausdruck, den großen Stil gegeben und den Weltruf der deutschen Tonkunst begründet.Robert Prölß.     




Rom im Rausch.

Von Woldemar Kaden.0 Mit Originalzeichnungen von Salvatore de Gregorio.


Neugieriger Reisender: „Ist das nicht Maskeraden-Spott?
Neugieriger Reisender: Soll ich den Augen trauen?“
Neugieriger Reisender: „Ist das Goethe, „Walpurgisnacht“.

Paul Heyse schrieb im Jahre 1879 eine Novelle „Romulusenkel“. Veranlassung dazu hatte ihm das moderne Rom in Frack und Cylinderhut gegeben, das mit dem der Väter, wie es der Dichter vor fünfundzwanzig Jahren kennen gelernt, und dem der „Großväter“ vom Ende des vorigen Jahrhunderts, wie Goethe es geschaut und geschildert, nur wenig Aehnlichkeit noch hat und aus diesem Grunde unserem Dichter und uns nicht mehr recht behagen will.

Diese frisirten Enkel leben fast ausschließlich von der Tradition der Väter, Großväter und Urahnen, aber die echte römische Weise ist dahin, dahingegangen mit dem weltlichen Besitz des Papstes, mit dem letzten ritterlichen Räuber der pontinischen Sümpfe. Die Königsstadt Rom, die Kapitale Italiens ist eine Stadt geworden (Hut ab!), eine vornehme Stadt, mit einem großstädtischen Gesicht, geradlinig, geregelt, mit französischer Schminke geschminkt, und ihre Freuden und Leiden gleichen wie ihre Straßen und Verkaufsläden denen von Wien, Berlin, Frankfurt und Köln fast auf ein Haar. Selbst die Ruinen sehen gar nicht mehr so ursprünglich römisch aus. Die originellen römischen Figurenbilder sodann, die noch immer auf unseren Ausstellungen erscheinen, sind meist zu „konventionellen Lügen“ geworden, wie die Begeisterungshymnen der Dichter, die nach Originalen im Volke suchen, deren es vor dreißig, vierzig Jahren, wo Wilhelm Waiblinger, Wilhelm Müller u. A. in Rom sich begeisterten, noch die Fülle gab, die aber jetzt schon mit der Laterne müssen gesucht und in Wahrheit nur von schwärmenden Damen gefunden werden.

Nur zweimal im Jahre spukt so etwas wie der alte Geist durch die Menge: in den Oktoberfesten und zum Karneval. Aber – der römische Karneval, den wir seit Goethe’s Vorgang in unzähligen Schilderungen kennen gelernt haben, ist im Laufe der Jahre, und besonders seit 1870 ein so anderer geworden, daß wir, wenn wir mit den aus jenen Schilderungen gewonnenen Voraussetzungen ihn zu genießen kommen, denselben kaum wieder erkennen werden. Ein Glöckchen, ein bunter Lappen nach dem andern ist von seinem Narrengewande abgefallen, er fängt an im Sande der politischen und socialen Prosa zu verlaufen; wenige Jahre noch, und die Geschichte des römischen Karnevals wird uns anmuthen wie ein „Märchen aus alten Zeiten“, das da anfängt wie alle Märchen: „Es war einmal …“

Es war einmal ein Prinz, der hieß Karneval. Er war aus ältestem Blute und stand bei dem Volke in großem Ansehen. Niemand aber wußte, wo er das Jahr über wohnte, man erzählte nur, daß er von Zeit zu Zeit unter dem Volke sich zeigte, wenn dieses zu Guitarrenspiel, zu Tanz und Morra in den baumumschatteten Osterien am Monte Testaccio oder vor der Porta del Popolo sich zusammenfand. Da erschien er und übte den lustigen Zechern und tanzlustigen Mädchen und Weibern neue Weisen und Witze ein und weckte die Seele zu toller Lustigkeit. Acht Tage aber vor den großen Festen (wo man dem weltlustigen Fleische, der carne, Valet sagen mußte) erschien er auf einmal, von keinem Komité berufen, triumphirend inmitten der Stadt mit dem bunten Gepränge eines Narrengefolges, in grellfarbigem Anzuge, die Schellenkappe auf dem schwarzlockigen Haupte, den Thyrsus der Lust und die übermüthige Pritsche statt des Scepters in der Hand, und das Volk jubelte ihm wie einem alten angestammten Herrscher zu, und die Obrigkeit beugte sich vor ihm und fügte sich seinen Gesetzen, welche die Freiheit, die absolute Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (die lieblichen Schwestern nicht zu vergessen) proklamirten.

Eine fieberhafte Thätigkeit entwickelt sich nun in allen Sälen, Kellern, Werkstätten und Bottegen; die Schneider und Schuster, die Putzmacherinnen, die Bäcker, Konditoren und Gastwirthe haben alle Hände voll zu thun; die armen stillen Gärten mit ihren Rosen, Reseden und Kamelien, die Wiesen, Felder und Wälder der Campagna, wo unter dem süßen Athem des Lenzes die Anemonen und Veilchen soeben sich erschlossen, werden von hundert Händen geplündert, ganze Wagenladungen von Blumen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_114.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)