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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Rahm und jedenfalls Milchzucker zugesetzt erhalten. Zu gleichem Zwecke wird die Milch auch mit einer dünnen Auflösung von arabischem Gummi, oder mit einer dünnen Schleimsuppe (von Graupen oder präparirtem Mehl) vermischt, Zusätze, die vor dem vierten Monate überhaupt nicht, später nicht immer gut verdaut und vertragen werden. Es bleibt also von höchster Wichtigkeit, Kindern und Kranken die Milch ganz frisch oder in künstlich frisch erhaltenem Zustande zu reichen.

Zweitens kann die Milch in ungesunder Beschaffenheit abgesondert werden. Auf die Zusammensetzung der Milch hat die Rasse, das Alter, die Milchperiode, die Haltung und Fütterung, so wie der Gesundheitszustand der Kuh großen Einfluß: soll also die Milch einer oder weniger Kühe (aus kleinen Wirthchaften) für Kinder und Kranke benutzt werden, so muß man sich über alle diese Dinge genau unterrichten. Bei größeren Herden ist dies weniger wichtig, weil die weniger gute Milch einzelner Kühe in der Masse verschwindet, und weil man durchweg annehmen darf, daß größere Viehbestände verständig und sorgfältig behandelt werden. Hier ist besonders der Uebergang von der Stallfütterung zum Weidegang zu beachten, wobei die Milch solche Veränderungen erleidet, daß sie Säuglingen gefährlich werden kann. Kindermilch muß deßhalb entweder ausschließlich durch Trockenfütterung (im Stall) erzielt werden, oder es muß wenigstens der Uebergang zu anderm Futter allmählich oder staffelweise eintreten. Besonders nachtheilig erweist sich die ausschließliche oder überwiegende Fütterung mit Kohl- und Rübenblättern, Rüben- und Kartoffelschnitzeln, so wie mit den Resten (Bärme, Schlempe) der Branntweinbrennereien. Reinlichkeit der Ställe und der Kühe ist eben so wie gutes Futter unentbehrlich für die Gesundheit der Kühe und ihrer Milch. In schmutzigen, schlechtgelüfteten Ställen, so wie bei ungeeignetem Futter werden viele Kühe krank, besonders schwindsüchtig, und können durch die Milch ihre Krankheit auf Menschen übertragen.

So ist seit alten Zeiten bekannt, daß der Genuß roher Milch von Kühen die an Maul- und Klauenseuche leiden, eine ähnliche mit Fieber und Bläschenbildung im Munde und selbst an den Fingern auftretende Krankheit erzeugt, ferner kann Milzbrand durch Milch übertragen werden und ist die Milch von perlsüchtigen Kühen jedenfalls schädlich, wenn auch noch nicht ganz sichergestellt ist, ob geradezu Schwindsucht dadurch erzeugt wird. Da die Perlsucht oder Schwindsucht bei unrein gehaltenen und schlecht gefütterten Kühen besonders häufig ist, so darf daher kommende Milch wenigstens für Kinder nicht gebraucht werden. Auch in dieser Beziehung geben größere Milchwirthschaften, so wie gut eingerichtete und überwachte Molkereigenossenschaften größere Gewähr, als kleine Wirthschaften. Letzteres gilt auch in Bezug auf giftige Kräuter, die besonders von Ziegen oft ohne allen Schaden gefressen werden, aber ihre Milch giftig machen, und ferner in Bezug auf die den Thieren gereichten Arzneimittel, von denen nach innerem, wie nach äußerem Gebrauche mehrere, namentlich Quecksilber, Blei, Arsenik, Nikotin (nachdem Kühe zum Schutz gegen Insekten mit Tabakaufguß gewaschen waren), in der Milch oder an den Folgen des Milchgenusses als schädlich erkannt worden sind.

Drittens kann jede an sich gute Milch nach dem Melken schädliche Veränderungen eingehen, und zwar beruhen hierauf weitaus die häufigsten und größten Gefahren des Milchgenusses.

Frische Milch ist weder sauer, noch alkalisch, sie färbt blaues Lackmuspapier schwach roth, rothes schwach blau, nach einigem Stehen der Milch aber wird die erstgenannte Färbung stärker, die letztere bleibt aus, beim Kochen läuft die Milch zusammen und ihr Geschmack wird sauer, endlich gerinnt die ganze Masse zu einem mehr oder weniger festen Kuchen, aus dem sich durch festere Gerinnung des Käsestoffs Molken abscheiden. Ein Theil des in ihr enthaltenen Milchzuckers hat sich in Milchsäure verwandelt, diese verbindet sich mit dem Alkali, welches den Käsestoff aufgelöst oder aufgeschwemmt enthält, und letzterer scheidet sich aus. Diese Umwandlung wird durch eine besondere Art äußerst kleiner Stäbchenpilze (Bacillen) hervorgebracht, die von außen in die Milch gelangen und sich rasch vermehren.

Wird die Milch in der Zeit der Säurebildung genossen, so verursacht sie bei gesunden Erwachsenen meistens, bei Kindern immer Leibschneiden und Durchfälle, die oft sehr heftig werden und sogar das Leben bedrohen. Da reife Sauermilch oder Dickmilch aber von den meisten Menschen, selbst von vielen mit schwacher Verdauung, gut vertragen wird, so darf man annehmen, daß nicht die Milchsäure, sondern die Bacilleu jene schädlichen Wirkungen ausüben, namentlich wenn sie in der ersten Zeit ihrer massenhaften Vermehrung genossen werden. Manchmal, in der Regel etwas später als die Milchsäurebacillen, finden sich noch andere kleine Pilze, welche Buttersäure erzeugen, noch andere machen die Milch schleimig und fadenziehend, wodurch sie unschmackhaft und schädlich wirkt. Oder es bilden sich beim Stehen und Gerinnen der Milch auf der Oberfläche des ungleich ausgeschiedenen Rahmes blasige Stellen und Wucherungen von Faden- oder Schimmelpilzen, deren eine Art, bei gehöriger Vergrößerung besehen, aus verästelten, Sporen oder Samen tragenden Fäden besteht (Weißer Milchschimmel, Oidium lactis); eine andere Art, ebenfalls aus verästelten Fäden bestehend, erzeugt auf den Enden aufrechtstehende Aeste, Quirle oder Pinsel, von denen jeder Faden eine lange Kette kugeliger Sporen enthält, die anfangs weiß, später grünlich sind (Graugrüner Pinselpilz, Penicillum glaucum). Der Milchschimmel erzeugt im Munde der Säuglinge die bekannten Schwämmchen oder den Soor, die anfangs aus oberflächlich sitzendem und leicht abwischbarem Schimmelrasen bestehen, aber bald in die Haut hineinwachsen, auch sich durch das ganze Verdauungsrohr bis über den After hinaus ausbreiten und dadurch schwere Störungen hervorbringen können.

Zuweilen bilden sich nach zwölf bis zwanzig Stunden auf der Oberfläche der Milch kleine indigoblaue Punkte, die sich rasch vergrößern und zusammenfließen, so daß schließlich die ganze Oberfläche blau und nach einigen Tagen grün oder röthlich wird. Auch diese blaue Milch ist das Werk von sehr kleinen stäbchenförmigen Spalzpilzen, die willkürlich auf andere Milch, auf gekochte Kartoffeln, Reisbrei u. dergl. m. übertragen werden können, selbst farblos sind, aber durch Zersetzung der Milch die obenerwähnte anilinartige Farbe erzeugen. Die aus blauer Milch bereitete Butter ist schmutzig weiß, schmierig und bitter. Daß die blaue Milch, abgesehen von der immer gleichzeitig vorhandenen Säure und den Milchsäure-Bacillen, giftig sei, wird von Landwirthen, so wie auf Grund neuerer Untersuchungen bestritten, übrigens ist die auffallende Farbe sicher hinreichend, um vor der Benutzung zu warnen.

Wie die Milch ein ausgezeichneter Entwickelungsboden für die genannten und noch manche andere niedere Organismen ist, so vermag sie auch die theilweise noch unbekannten, wahrscheinlich aber alle zu den kleinsten Spaltpilzen gehörenden Keime gewisser Krankheiten von Menschen auf andere zu übertragen. Von Scharlach, Typhus und Cholera ist solches sicher beobachtet, und zwar geschieht diese Verunreinigung entweder direkt durch Kranke, welche mit der Milch zu thun gehabt haben, durch das Aufbewahren derselben in Krankenzimmern, oder indirekt durch mit den Krankheitskeimen verunreinigtes Wasser, welches zur Verdünnung der Milch, oder auch nur zum Spülen der Gefäße benutzt war, wobei es nicht unwahrscheinlich ist, daß auch diese krankmachenden Pilze in der Milch einen günstigen Boden für ihre Vermehrung finden.

Daß die Luft der Räume, in welchen Milch steht, und die Gefäße, in denen sie aufbewahrt wird, großen Einfluß auf die Beschaffenheit der Milch haben, ist ja längst bekannt gewesen, ehe wir die mikroskopischen Organismen kennen gelernt haben, welche sie verursachen, und zwar allein verursachen, weil keine dieser Veränderungen eintritt, wenn nicht der besondere Pilz in die Milch gelangt ist. So machen sich schmutzige Ställe und Milchkammern oft durch schlechten Geruch und Geschmack der Milch bemerklich, so tritt in Holzgefäßen besonders leicht Säuerung und Verderbniß ein, weil dieselben wegen der Unebenheit und Porosität ihrer Wandungen sehr schwer völlig zu reinigen sind; so sind ferner die engen Gummiröhren, die seit einigen Jahren viel zu Saugflaschen der Kinder benutzt werden, höchst ergiebige und gefährliche Quellen der Milchverderbniß. Seltener, aber doch auch zuweilen beobachtet ist der Uebergang schädlicher Metalle, namentlich von Kupfer, Zink und Blei, aus Milchgefäßen in die Milch, welche in solchen Gefäßen sauer geworden ist. In dieser Beziehung muß vor Kupfer-, Messing- und Zinkgefäßen, auch Zinkröhren und Zinkkapseln (die oft auch Blei enthalten), so wie vor schlecht glasirten Eisen- und Thongefäßen nachdrücklich gewarnt werden, um so mehr, als die schädlichen Wirkungen dieser Metalle, von denen in jeder Milchportion nur sehr kleine Mengen enthalten zu sein pflegen, sehr allmählich und unter dunkeln, oft höchst räthselhaften Erscheinungen eintreten. Jedenfalls ist Vorsicht in Bezug auf Milchgefäße nicht weniger nothwendig, als in Betreff der aus schädlichen Stoffen bestehenden oder mit giftigen Farben bemalten Spielsachen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_111.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2020)