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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

aufgingen, wie sich der bärtige Männerkopf noch einmal verstohlen herausbog, jedenfalls um zu sehen, ob der Eindringling den Ausweg gefunden habe – lustig! Der steifnackige Herr Landrath und die übermüthige Grete im Komplott! Das hätte er sich wohl zehn Minuten zuvor auch nicht träumen lassen! …

Ein Aufschrei empfing sie, als sie wieder in die dämmerdunkle Wohnstube trat. Die nach der Küche führende Thür wurde aufgerissen, und Bärbe rannte hinaus, daß ihr die Röcke flogen.

„Sei gescheit, Bärbe!“ rief Margarete lachend und ging ihr nach bis auf die Schwelle der hellerleuchteten Küche. „Ich sehe ihr ja gar nicht ähnlich, der im rothen Salon, und so durchsichtig wie die spinnwebige Frau Judith bin ich doch wahrhaftig auch nicht! … Komm her und gieb mir eine Hand, alte, treue Seele – hab’ mich gar manchmal nach Dir gesehnt! Da“ – sie streckte ihre schöne, schmale Hand hin – „sie ist warm und von Fleisch und Blut! Du kannst sie getrost anfassen!“

Und „die alte, treue Seele“ war plötzlich wie närrisch vor Freude. Sie faßte nicht nur die Hand, sie schüttelte sie auch, daß dem jungen Mädchen Hören und Sehen verging, und die Thränen stürzten ihr aus den Augen … Ja, da waren nun fünf Jahre nur so verflogen, der Mensch wußte nicht wie! Und aus dem Gretel war eine Dame geworden, fix und fertig, wie ein Döckchen! Aus dem Ausbund! – „Wie eine kleine, wilde Katze ist sie mir gar manches Mal von hinterrücks auf meinen breiten Buckel ’naufgesprungen, wenn ich kein Arg hatte und in meinen Aufwasch vertieft war,“ sagte sie zu der Küchenmagd und wischte sich lachend die Augen; „ja, zum Umstürzen war der Schreck allemal! – Aber,“ ihre laute, grelle Stimme sank zum Flüstern herab, „das sollten Sie doch nicht, Fräulein – ich mein’, mit Solchen wie die oben im Gange, soll sich der Mensch nicht vergleichen! ’s ist ein ‚Aber‘ dabei, und Sie sind ohnehin so blaß, gar so blaß!“

Margarete verbiß mit Mühe das Lachen. „Also auch da Alles beim Alten! Nun ja,“ – ihre Mundwinkel zuckten in leiser Ironie – „‚an uns ist kein Tadel, gut konservativ sind wir!‘ sagte Tante immer, wenn Reinhold die abgerissenen Arme und Beine meiner Puppen sorgfältig sammelte und als alten Besitz respektirte … Hast Recht, Bärbe, blaß bin ich, aber doch frisch genug, um mich meines Leibes und Lebens gegen Deine Gespenster zu wehren. Und Du sollst sehen, in unserer starken Thüringer Luft werden meine Backen bald rund und roth wie Borsdorfer Aepfel sein … Aber horch!“ – durch das offene Küchenfenster klang wieder die Knabenstimme herein – „jetzt sage mir, wer singt denn drüben im Packhause?“

„’S ist der kleine Max, ein Enkelchen von den alten Lenzens. Seine Eltern sollen gestorben sein, und da haben ihn die Großeltern zu sich genommen. Er geht hier auf die Schule und muß wohl das Kind von einem Sohn sein – er heißt auch Lenz. Sonst kann ich nichts sagen. Sie wissen’s ja, es sind so stille Leute; ob sie Freud oder Leid erleben, ein anderer Christenmensch erfährt’s nicht. Und unser Herr Kommerzienrath und die Frau Amtsräthin können’s partout nicht leiden, wenn Unsereiner auch nur thut, als wohnten Leute im Packhause. ’S ist von wegen der Klatscherei, wissen Sie, Fräulein; und richtig ist’s ja, so gemein darf sich ein Haus, wie unseres, nicht machen … Der Kleine freilich fragt viel darnach, was bei uns Brauch ist – ’s ist ein schönes Kind, Fräulein Gretchen, ein Staatsjunge! Aber der ist vom ersten Tag an mir nichts dir nichts in den Hof ’runtergestiegen, und da spielt er wie von Rechtswegen, accurat wie Sie und der junge Herr Reinhold klein da ’rumgetollt haben.“

„Brav, mein Junge! Ein tapferer kleiner Kerl! Da ist Kraft und Selbstbewußtsein drin!“ nickte Margarete vor sich hin. „Was sagt denn aber die Großmama?“

„Ja, die Frau Amtsräthin, die ist freilich toll und böse, und der junge Herr erst – ach, ach!“ – sie fuhr mit der Hand durch die Luft – „da giebt’s viel böses Blut! Aber es hilft Alles nichts, und wenn’s noch so deutlich durch die Blume gegeben wird, der Herr Kommerzienrath hat keine Ohren … Ich glaube, im Anfang hat er’s gar nicht gesehen, daß das fremde Kind da ’rumgelaufen ist, wo’s nicht hingehört – er ist ja immer so in tiefen Gedanken – das kommt vom schwarzen Geblüt, Fräulein, nur davon! Nun ja, und solche Leute sehen manchmal nicht rechts und nicht links, und andere Menschen sind für sie nicht auf der Welt. Wo’s ihm aber doch endlich beigebracht worden ist, da hat er gesagt, sie sollten das Kind nur spielen lassen, wo es wollte, der Hof wär’ groß genug – und dabei ist’s geblieben und der Aerger muß ’nuntergewürgt werden.“

Sie nahm eine Stecknadel aus ihrem Halstuch und steckte eine halbgelöste Schleife am Kleid der jungen Dame fest, dann zupfte sie die Spitze am Halsausschnitt zurecht und strich mit beiden Händen glättend über den etwas zerknitterten Seidenrock. „So, nun kann’s losgehen!“ sagte sie zurücktretend. „Die werden gucken da oben! So unverhofft und so mitten hinein in die große Gesellschaft –“

Margarete schüttelte den Kopf, daß die Locken flogen.

Das war nun freilich nicht nach dem Sinn der alten Köchin. Es sei heute „extra schön“ oben, meinte sie, und beim Champagner würde es wohl richtig gemacht worden sein zwischen der vom Hofe und dem Herrn Landrath … „Ein Paar schöne Menschen, Fräulein und eine große Ehre für die Familie!“ schloß sie ihre Mittheilungen. „Gesehen hab’ ich freilich von der ganzen Herrlichkeit noch nichts, ich, in meiner Küche hier unten; aber die Leute sagen’s, und die Neidhammel in der Stadt sagen auch, die Frau Amtsräthin würde ja wohl noch zerplatzen vor lauter Hochmuth … Ja, die losen Mäuler! Der Mensch kann sich nicht genug in Acht nehmen!“ …

Mit diesen Worten nahm sie eine Tischlampe vom Sims, um sie für Margarete anzubrennen; aber die junge Dame verbat sich alle Beleuchtung. Sie wollte im Dunklen warten, bis droben Alles vorüber sei, und stieg wieder auf den Fenstertritt in der Wohnstube.

(Fortsetzung folgt.)

Ferienstudien am Seestrande.

Weiber und Männlein.
(Schluß.)


Bei keinem Thiere ist, soviel ich weiß, das Mißverhältniß zwischen beiden Geschlechtern so weit ausgebildet, wie bei der Bonellie, bei keinem zeigen sich so durchgreifende Unterschiede im äußeren und inneren Bau. Man findet zwar, wie schon erwähnt, bei an Fischen und anderen Wasserbewohnern schmarotzenden Krustenthieren häufig solche Zwergmännchen, aber das Mißverhältniß in der Größe ist nicht so bedeutend, und diese immer auf der Außenfläche des Weibchens angehefteten Männchen lassen stets im Bau ihrer Füße und Glieder ihre Natur als Krustenthiere auf den ersten Blick erkennen. Mehr nähert sich das Verhältniß der winzigen Männchen der Räderthiere zu ihren Weibchen dem der Bonellien, auch diesen fehlt meist der Darmkanal oder ist nur in seinen Rudimenten zu erkennen, aber diese Räderthiermännchen haben doch das charakteristische Räderorgan, das Nervensystem, sowie eigenthümliche innere Organe in Uebereinstimmung mit ihren Weibchen, und jeder Beobachter, dem sie aufstoßen, muß sie auf den ersten Blick in das Mikroskop als Räderthierchen erkennen, während es bei den Bonellienmännchen eines eingehenden Studiums bedurfte, wie Spengel es durchgeführt hat, um die Uebereinstimmung im Bauplane festzustellen. Noch auffallender aber ist der Umstand, daß die Bonellien in dieser Hinsicht durchaus isolirt dastehen in der Gruppe der Sternwürmer. Bei allen übrigen Gephyreen, soweit sie bis jetzt bekannt sind, unterscheiden sich die Männchen in keiner Hinsicht von den Weibchen; erst durch die mikroskopische Untersuchung der inneren Organe kann man die Geschlechter unterscheiden. Nirgends findet sich bei den übrigen Gattungen der Gruppe auch nur eine leise Andeutung, die zu dem bei den Bonellien obwaltenden Mißverhältnisse hinleiten könnte.

Wir müssen auch offen bekennen, daß wir in den Existenzbedingungen, welchen sich diese Thiere angepaßt haben, keine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_094.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)