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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Freilich will es Einen oft bedünken, als ob der Verfasser seine Reise-Erfahrungen zum großen Theil aus Reisebüchern oder Konversationslexicis und zwar älterer Ausgabe gesammelt habe, namentlich wenn man Gelegenheit hat, in Bezug auf die Plätze, welche man aus eigener Anschauung sehr genau kennt, den Verfasser besser zu kontrolliren. Wenn er z. B. vorgiebt, mit dem Glockenschlage zwölf (er giebt die Zeit genau an) in Frankfurt den zoologischen Garten besucht und beim guten Mittagsmahle und der nachher angezündeten Cigarre sich an der Gartenmusik ergötzt zu haben, so muß nothwendiger Weise, soll dies erlebt sein, die Kapelle in liebenswürdiger Weise dem hohen Gaste zu Ehren ein Extrakoncert aufgeführt haben, denn sonst beginnen die Koncerte ausnahmslos erst um vier Uhr Nachmittags. Bis dahin konnte aber Herr Amic seinen Aufenthalt im Garten nicht ausgedehnt haben, denn um jene Zeit war er schon beim Wettrennen im Walde, nachdem er noch vorher dem „Römer“ einen Besuch abgestattet hatte. Es wird auch wohl ein altes Konversationslexikon gewesen sein, in welchem der Verfasser die „noch bestehende“ „Frankfurter Oberpostamts-Zeitung“ gefunden, in einem Café wird er sie vergebens gesucht haben, da sie schon seit 1866 eingegangen ist.

Herr Amic durchstreift Deutschland nicht mit sehr freundschaftlichen Gefühlen, nur der Gedanke, daß es bald wieder zu dem herrlichen Kriege kommen werde, in welchem sich Frankreich die in den Jahren 1870 bis 1871 verlorenen Provinzen wieder zurücknehmen wird, kann ihn über so manchen verdrießlichen Anblick trösten. Namentlich ist es der luxuriöse Bahnhof Berlins, der so „ohne Zweifel mit dem Gelde erbaut ist“, das die Deutschen den Franzosen abgenommen haben. Der Aerger wäre vielleicht ein intensiverer gewesen, wenn nicht der „zweifelhafte Geschmack“, von welchem dieses mit Luxus ausgestattete Gebäude zeugt, so recht die Inferiorität der Deutschen gegen die Franzosen verkündete.

Es sind aber noch manche andere Dinge, die den edlen Zorn des Herrn Amic erwecken. Da ist es die Ruine des Heidelberger Schlosses. Wie! der Schmerz über die Handlung französischen Vandalismus? – Das wäre doch eine seltene Art richtiger Selbsterkenntniß und Offenherzigkeit, die man sonst bei den französischen Berichterstattern über Deutschland nicht gewohnt ist! Ja, wenn hier der Schmerz säße! Herr Amic bedauert den Vandalismus erstens, weil er einen Präcedenzfall gegen die Franzosen geschaffen hat, und zweitens, weil durch die Zertrümmerung das Schloß erst eine Sehenswürdigkeit geworden, denn „ich behaupte, das alte Heidelberger Schloß konnte niemals anmuthsvoller und phantastischer erscheinen, als seitdem es als Ruine dasteht“. Edler, feinfühlender Gallier!

Dagegen empfindet aber auch der Prachtreisende besondere Freuden, die ihm so leicht kein Anderer nachfühlen kann.

Im Berliner Bahnhof ist er, wie er sagt – und da muß es doch wohl wahr sein! – von einem Dienstmann um sechs bis sieben Mark bestohlen worden. Das entzückt ihn, das beglückt ihn, bisher war er überall ehrlich behandelt worden, er war betroffen darüber, und nun von einem Prussien bestohlen! Kann es eine größere Glückseligkeit geben?

Auch ein großer Kunstkritiker ist Herr Amic, so bezeichnet er z. B. Rauch’s Statue Friedrich’s II. als ein „œuvre assez banale“ und das neue Opernhaus in Frankfurt am Main als eine „mauvaise copie“ der neuen Opera in Paris.

Es wäre jedoch ungerecht, wenn wir nicht hier auch erwähnen wollten, daß der Verfasser für manches Praktische und Angenehme in Deutschland das richtige Verständniß hat und ihm die Anerkennung nicht verweigert, freilich überrascht er uns dabei durch manches Neue, von dem wir bis jetzt noch nichts wußten.

So findet er die Farben, welche die Studenten tragen, sehr praktisch: können ja an den vielfarbigen Kappen der Studenten die Eingeweihten die Art und den Grad der Studien ihrer Träger erkennen!! Neu ist das allerdings; wir hätten aber diesen drolligen Einfall ungern in dem Buche vermißt. Hätte er diese Entdeckung gemacht, nachdem er die Flasche „Laubenheimer Johannisberg“ getrunken, so hätten wir dieselbe der Einwirkung jenes potenzirten Weines zugeschrieben, aber die hat er ja erst, wie er mittheilt, in Bodenbach zu sich genommen, oder sollte sie schon im Voraus ihre Schatten geworfen haben? Uebrigens ist die Entdeckung des „Laubenheimer Johannisberg“ auch nicht schlecht.

Der Verfasser betitelt sein Buch „Au pays de Gretchen“; man könnte glauben, es läge darin eine zarte Huldigung, die er dem Verfasser des „Faust“ gebracht, der die poesieumflossene Gestalt Gretchens geschaffen, und auf ihn übe dieser Name den bezaubernden Einfluß, dessen wir Deutschen uns nicht erwehren können, wenn wir ihn hören oder aussprechen. Weit gefehlt! Jene poesievolle Gestalt würde ihn anmuthen, wenn sie als Marguerite ihm entgegenträte. „Marguérite, c’est charmant; Gretchen, c’est affreux.“ Ja, dieser einfältige Name genügte schon, „die blonde Geliebte Faustens in seinen Augen des poetischen Reizes zu entkleiden.“ Armer Goethe!

Nein, es ist ein Würzburger Gretchen, eine ziemlich aufdringliche Kellnerin, die ihm durch Liebeständeleien einige Stunden verkürzt, und die er dann schnell verlassen, als sie zu zudringlich geworden – wenn es nämlich wahr ist – deren Namen er zur näheren Bezeichnung Deutschlands braucht. Die Absicht liegt klar zu Tage, lassen wir ihm sein Vergnügen. Als wir das Buch mit seinen Entstellungen, Flüchtigkeiten und den vielfachen Ausbrüchen des Aergers durchgelesen hatten, da war uns so wohl zu Muthe, und wir waren von Herzen erfreut. Es fiel uns nämlich eine kleine Anekdote ein, die man dem verstorbenen Amschel von Rothschild nacherzählt. Von einem Bittsteller, der sich nicht gut genug berücksichtigt glaubte, erhielt der alte Herr einmal einen Brief voller Schmähungen und Verwünschungen. Ruhig las er das Schriftstück zu Ende, lachte und sprach: „Was muß der Mann sich geärgert haben!“

A. Sulzbach.     




Hasenzucht im Zimmer.

Von Dr. Karl Ruß.

Das Bestreben, die Natur, welche vor der menschlichen Kultur immer weiter zurückweicht, wenigstens hier und da wiederzugewinnen und festzuhalten, hat in den letzten Jahrzehnten eine Thätigkeit hervorgerufen, welche dem oberflächlichen Beschauer wohl gar wunderlich dünkt. Darauf begründet sich die Ausschmückung unserer Wohn- und Gesellschaftsräume nicht allein wie früher mit schönem und mannigfaltigem Pflanzenwuchse, Blumen und Blattgewächsen, sondern auch mit Behältern, welche zahlreiche lebende Thiere beherbergen. So sehen wir Käfige und Vogelstuben, Aquarien und Terrarien, Frosch- und Schlangenhäuser und all dergleichen in großer Mannigfaltigkeit vor uns, so züchten wir nicht allein wie bisher allerlei Vögel in der Häuslichkeit, sondern auch im denkbar kleinsten Raume Zierfische, ja wohl gar Molche u. dergl. Dies sind ja aber, wenigstens im Wesentlichen, bekannte Dinge, und sowohl mancherlei Handbücher als auch immerfort zahlreiche Mittheilungen in meinem Blatte „Isis“, Zeitschrift für alle naturwissenschaftlichen Liebhabereien, bringen darüber nähere Auskunft. Hier will ich indessen von einer Thierzucht berichten, welche sich vor allen anderen dadurch auszeichnet, daß sie selbst das Wort des alten Ben Akiba zu nichte macht, denn sie ist entschieden noch nicht dagewesen.

Die Hand- und Lehrbücher der Jagd nebst den Naturgeschichten, so viele ich ihrer auch kenne, sagen über die Fortpflanzung des Hasen in der Gefangenschaft überaus wenig, selbst Brehm’s „Thierleben“ weiß darüber nichts weiter anzugeben, als was seit altersher berichtet worden. Spaßhaft ist es, nebenbei bemerkt, daß man hier und da noch immer die Mär von der ergiebigen, höchst nutzbaren Bastardzucht zwischen Hasen und Kaninchen findet, welche nach meiner Ueberzeugung wohl kaum irgendwo stattgefunden hat. Kurz und gut, die Hasenzucht gehört, auch trotz der sogenannten Hasengärten, in denen man sie neuerdings im Großen betreiben wollte, immerhin zu den fragwürdigen Unternehmungen, eine Aktiengesellschaft läßt sich schlechterdings nicht darauf gründen.

Um so mehr darf ich zweifellos auf ein reges Interesse rechnen, wenn ich von der Züchtung des Hasen, nicht allein in der Gefangenschaft überhaupt, sondern sogar in der Stube erzählen kann.

Ein Vogelliebhaber berichtete mir jüngst, seine Frau habe den dringenden Wunsch ausgesprochen, daß er die Vogelstube, welche er seit langen Jahren gehalten, eingehen lassen solle, weil dieselbe doch recht lästig in der Häuslichkeit sei, nach längerem Sträuben habe er dann endlich eingewilligt, aber nur unter einer Bedingung, der nämlich – eine Affenstube anzulegen. Nicht wenige Leser wird bei dem Gedanken, eine größere Anzahl von Affen innerhalb der Häuslichkeit zu halten und freilaufend in einem Zimmer zu züchten, sicherlich ebensolch Grauen ergreifen, wie jene Hausfrau, welche nun doch lieber mit Freuden darein willigte, daß die Vogelstube bestehen bliebe. Auf den ersten Blick aber erscheint zweifellos das Halten und die Züchtung von Hasen in der Häuslichkeit kaum minder bedenklich, als das unserer lieben nächsten „Vettern“ aus der Thierwelt. Dennoch weiß ich von einem solchen Falle zu berichten.

Als ich in der Kanarienzüchterei des Herrn Dekorationsmaler E. Hinze in Berlin die Vögel ausreichend gesehen und gehört, sagte der Genannte. „Nun, Herr Doktor, muß ich Ihnen aber noch eine andere Zucht zeigen, welche Sie als Herausgeber der ‚Isis‘ nicht minder interessiren dürfte.“ Wir betraten ein Zimmer, in welchem sich außer zwei großen Kanarienhecken besonders die Futtervorräthe befanden, und unterhalb der letzteren in einem Verschlage die betreffende andere Hecke, aus welcher der Züchter einen jungen Hasen im Alter von etwa acht Tagen hervorholte. Man dürfte annehmen, daß ein solcher Züchtungserfolg auf einem einmaligen glücklichen Zufall beruhe, und auch dann würde er ja immerhin verwunderlich und bemerkenswerth genug erscheinen, um so mehr ist dies aber der Fall, wenn wir erfahren, daß die Hasenzucht auch zum zweiten Mal in einem Wurf von zwei Jungen geglückt ist.

Herr Hinze berichtet nun über dieselbe im Wesentlichen Folgendes: „Die beiden alten Hasen wurden uns, der Hase im März vor drei Jahren und die Häsin im Juli 1883, noch ganz jung, wahrscheinlich erst einige Tage alt, überbracht, und wir mußten sie, den erstern drei und die letztere sechs Wochen hindurch, mühsam mit der Flasche aufpäppeln; erst in der zweiten Hälfte dieser Aufzuchtszeit fingen sie an, ein wenig Klee und Luzerne zu fressen. Mit dem letztern Futter werden sie seitdem während der Sommermonate fast ausschließlich ernährt, während sie im Winter Mohrrüben, trocknen Hafer und Semmel in Milch erhalten; als ein Lieblingsfutter für sie darf gerösteter Zwieback gelten. Der Raum, den das Hasenpaar bewohnt, ist mit Draht eingegittert, zwei Meter lang, ein Meter hoch und ein Meter tief. Er hat am Boden zwei starke Zinkblechuntersätze, welche täglich gereinigt und mit trocknem Sand fingerdick bestreut werden. Bei Tage freilich dürfen die drolligen Kerlchen in allen unseren Zimmern frei umherlaufen, wobei sie sich fast immer durchaus reinlich aufführen, namentlich der Hase hat noch niemals außerhalb seines Verschlags Schmutzerei verursacht. Alle drei bisher gezüchteten Jungen wurden etwa vier Wochen hindurch von der Häsin gesäugt und, wenn auch überaus ängstlich, so doch immerhin muthvoll beschützt; dann aber, fast plötzlich, begann sie die Jungen zu mißhandeln, die Mutterliebe hatte sich geradezu in Bösartigkeit verwandelt. Bei den beiden letzten Jungen genügten wenige Nachtstunden, sie so zu bearbeiten, daß auf ihrem Körper

fast kein Haar mehr zu finden war, und wir mußten ernstlich befürchten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_070.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)