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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


„Ich will Dein wahres Wohl,“ fing er an seine Strenge vor ihr zu rechtfertigen, „dieser vornehme Baumeister würde nie daran denken, des Kastellan Mateos Tochter zu heirathen. Und Dich zum Narren zu halten, Dir den Geschmack an einem Anderen zu verderben – nein, das soll ihm nicht gelingen, solange Mateos die Augen noch über seiner Guadalupe aufhält.“

Der verdienstliche Krieger hatte nie höher in seiner eigenen Achtung gestanden, als nach dieser gefühlvollen Anrede, nur trug sie leider wenig dazu bei, das Herz seines Kindes zu erleichtern.

Mateos stand am andern Morgen etwas zeitiger als gewöhnlich auf, um mit Lu nun von der Sache selbst zu reden. Wie er vor ihre Thür trat, überfiel ihn ein eigenthümliches, ihm ganz ungewohntes Bangen. Es war besser, sich erst Muth zu trinken, und das that er natürlich. Er hatte sich gestern in Aussicht der goldenen Ernte aus der Havana vom Nachbar ein paar Flaschen Wein geholt. Eine davon trank er jetzt. Der Durst war trotzdem immer noch nicht ganz gelöscht und der Muth auch noch nicht so gehoben, als er wünschte. Niemand konnte es ihm deßhalb verdenken, daß er zur Sicherheit die zweite Flasche mitnahm. Canelo’s Brief hielt er offen in der Hand; es sollte den Anschein haben, als ob er ihn eben erhalten, und nicht, als ob er ein paar Stunden angstvoll darüber zugebracht, auf welche Weise er ihr den Inhalt versüßen könne.

Lu, wenn auch aus anderen Gründen, als der Vater, hatte ebenfalls nicht viel geschlafen. Aber sie hielt nichts davon, ihre Pflicht über ihren Kummer zu vernachlässigen. Die Frühstücks-Schokolate stand schon auf dem Tisch, der sanber wie immer gedeckt war.

„Guten Morgen, Lu, heut laß mich fürs Frühstück sorgen!“ rief Mateos, als er eintrat, und versuchte durch eine angenommene Lustigkeit des letzten Restes von Befangenheit, die ihn der ernsten Tochter gegenüber wieder befallen wollte, Herr zu werden. „Freue Dich, Herz, und gieb mir zu trinken ... da ist Wein und eine gnte Nachricht, Du sollst auch einen Schluck haben – folgsame kleine Lu soll ihres alten Vaters Freude theilen!“

Concha und Lu.

Sie sah es dem Vater gleich an, daß er der Freude zu Ehren schon ein paar Gläser geleert habe; ihm in einem solchen Zustande etwas abzuschlagen, hätte sie nicht gewagt. Sie nahm deßhalb zwei Gläser aus dem Schranke, von denen sie das eine voll goß und in das andere ein paar Tropfen schenkte.

Er winkte sie neben sich, hob das volle Glas auf, blinzelte es begehrlich an und leerte es dann auf einen Zug.

„Du bist siebzehn Jahre alt, Maria de la Guadalupe,“ fing er an; bei der feierlichen Gelegenheit hielt er es für geboten, sie mit ihrem vollen Namen anzureden, „und es sind noch Andere, die sich daran erinnern, wenn ich es vergessen sollte. Weißt Du, was das bedeutet?“

Sie erglühte. Sollte Felipe bereits mit dem Vater gesprochen haben? Ach, das Glück wäre gar zu groß, aber sie glaubte daran noch nicht und schwieg.

„Das bedeutet, daß Du fünf Jahre jünger bist, als Lopez Canelo, und hier ist ein Brief, in welchem sein Vater schreibt, daß er jetzt zweiundzwanzig Jahre zähle, verstehst Du mich?“

Die Sache, insofern man sie nur als einfache Subtraktion auffaßte, war allerdings nicht so schwer verständlich. Er hatte ihr zudem, um jeden Zweifel zu heben, auch noch den Brief in die Hand gedrückt, den sie mechanisch in die Tasche schob.

Lu aber war bei dem fremden Namen bleich geworden; sie konnte wieder nur mit dem Kopfe schütteln.

„... Das ist so aufzufassen,“ fuhr der Alte fort, der sein Glas abermals bis auf einen kleinen Rest geleert hatte. „Als Du noch nicht höher warst, wie so,“ seine Hand beschrieb ein etwas schwankendes Maß in der Luft, „ging Peppe Canelo, mein bester Freund, mein guter treuer Canelo fort nach der Havana mit hundert Pesos meiner Habe, die ich ehrlich gewonnen hatte ... verstehst Du?“

„Ja, so war es, Vater,“ sagte Lu, welche von der „edlen“ That oft genug gehört, wenn auch in einer für Canelo weniger schmeichelhaften Auffassung. Mateos mußte sich wieder durch ein neues Glas stärken, ehe er fortfuhr:

„Und es war Alles zu Papier gebracht von Domingo Escribano, der Herr habe ihn selig dafür, nämlich, daß Canelo in zehn Jahren mit mir theilen solle allen Gewinn, den er mit den hundert Pesos machen würde ... Eine edle Handlung und eine gute Anlage, he, Guadalupe?“

Das arme Kind sah nur stumm, aber mit angstvoller Erwartung zu ihm auf.

„Noch ein Glas, da, trinke einmal! Kleine folgsame Lu wird glücklich werden. Ach, was wirst Du glücklich werden!“

„Nein!“ rief sie jetzt, „das ist noch gar nicht so bestimmt – erst muß ich wissen ...“

„Laß mich doch ausreden ...“ fiel er mit schon etwas schwerer Zunge ein, „Du unterbrichst mich immer – man muß die Leute ausreden lassen, also ... wo war ich doch?“

„Bei dem, was Domingo aufschrieb,“ half sie schnell ein, denn es drängte sie, endlich das furchtbare Ende zu erfahren.

„Richtig! Domingo Escribano also schrieb nieder, daß, weil der Mensch das doch am sichersten hält, was zu seinem eigenen Vortheil ist, und weil Kinder ein Stück von einem selbst sind ... und weil Canelo gerade einen Sohn hatte, fünf Jahre älter

als Du – und ich hatte Dich ... also beschworen wir’s, daß,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_064.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2019)