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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 4.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Frau mit den Karfunkelsteinen.

Roman von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
5.

Herr Lamprecht kümmerte sich nicht weiter darum, ob ihm die Kleine auch folge. Er war längst unten, und sie hatte ihn in die Wohnstube eintreten hören, als sie noch oben an der Treppe stand. Die Hände auf das Geländer stützend, glitt sie langsam Stufe um Stufe hinab. Die Thür der Wohnstube war offen geblieben; Herrn Lamprecht’s starke, volltönende Stimme klang heraus, und Margarete hörte beim Herabkommen, wie er zu Tante Sophie von lautem Schreien, Laufen im Korridor des Seitenflügels, von eingebildeten Erscheinungen am hellen Tage und seinem Verweilen im rothen Salon sprach; er blieb dabei, daß das Kind sich die Erscheinung im dunklen Gange eingebildet habe, daß daran die „Fraubasen-Geschichten“ der Gesindestube schuld seien, und daß Margarete sofort in ein Institut übersiedeln müsse, um alle diese Eindrücke abzuschütteln und im Uebrigen auch manierlicher und mädchenhafter zu werden.

Leisen Schrittes ging die Kleine an der Thür vorüber. Sie warf einen scheuen Blick in das Zimmer – der kleine Bruder hatte seinen Thurmbau im Stich gelassen und hörte mit offenen Munde zu, und Tante Sophiens liebes, lustiges Gesicht war ganz blaß und fahl, sie preßte die verschlungenen Hände auf die Brust, aber sie sprach nicht; „weil das ja doch nichts half“, dachte das kleine Mädchen im Vorüberhuschen; denn wenn der Papa einmal mit der Großmama zusammen etwas beschloß, da half kein Bitten und Betteln mehr, die Großmama setzte es durch … Nur Einer hatte noch Gewalt, wenn er dazwischen fuhr und kräftig polterte und wetterte, und das war der Großpapa in Dambach. Der half, das wußte sie! Er ließ sein Gretel nicht fortschleppen, am allerwenigsten aber in „den großen Vogelbauer, wo sie alle in einem Tone pfeifen mußten“, wie er stets sagte, wenn die Großmama auf ein Mädcheninstitut hinwies … Ja, er half! Was wollten sie denn machen, wenn er – wie er immer that, sobald ihm der Widerspruch zu toll wurde – mit den starken Fingerknöcheln auf den Tisch klopfte und mit seiner rauhen Stimme ernsthaft sagte. „Ruhe bitte ich mir aus, Franziska! Ich will es so, und hier bin ich der Herr!“? Da ging ja die Großmama stets hinaus, und die Sache war abgemacht. Ja, war man nur erst in Dambach, dann hatte es keine Gefahr mehr! –

Sie lief hinaus in den Hof, um die Ziegenböcke aus dem Stalle zu holen, aber der Hausknecht hatte die Thüre zugeschlossen, und eigentlich gab es doch wohl auch zu viel Lärm, wenn der Wagen rasselte; dann kam irgendeiner und machte ihr das Thor vor der Nase zu, und sie mußte dableiben … Da hieß es denn, sich tapfer auf seine zwei Füße stellen und hinauslaufen. Im Vorübergehen hatte sie ihren Hut genommen, der noch auf dem Gartentisch lag, sie knüpfte die Bänder unter dem Kinn und machte sich auf den Weg.

Niemand hatte das Kind gesehen, als es durch den Thorweg

Die kleine Wäscherin.0 Nach dem Gemälde von C. Froeschl.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_057.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)