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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

anderen Streber unter sich hat und nichts mehr über sich weiß, als den Allerhöchsten im Staate.“

„Tadelst Du das?“

„Ei bewahre, gewiß nicht, sofern er wirklich das Zeug dazu hat. Aber wie Viele werfen jetzt ihre wahren Ueberzeugungen von sich, heucheln und schmeicheln und hängen sich der Macht an den Rockschoß, um aus bedientenhaften Speichelleckern mit mittelmäßigen Köpfen einflußreiche Männer zu werden!“

„Du brandmarkst ja förmlich die treueste Hingebung und Selbstverleugnung!“ zürnte die alte Dame. „Aber ich frage Dich, würdest denn Du den Frevelmuth, die Dreistigkeit haben, einer höheren Orts gegebenen Richtung entgegenzutreten? – Ich weiß doch recht gut, daß Niemand lieber einer Einladung in die ersten Kreise folgt, als Du, und kann mich nicht erinnern, je einen Widerspruch gegen dort herrschende Meinungen aus Deinem Munde gehört zu haben.“

Auf diese scharfe und jedenfalls wohlbegründete Bemerkung schwieg Herr Lamprecht. Er sah angelegentlich in die gemalte Landschaft hinein, vor welcher er eben stand, und fragte nach einer kurzen Pause: „Und welchen Vorwurf machen Sie Herbert?“

„Den einer entwürdigenden Liebelei!“ platzte die alte Dame erbittert heraus. „Wäre es nicht allzu deutsch und vulgär ausgedrückt, so würde ich sagen, ich wünsche diese Blanka Lenz ins Pfefferland. … Steht der Mensch doch aller Augenblicke oben an den Flurfenstern und starrt nach dem Packhause hinüber! Und gestern weht mir der Zugwind im Treppenhause ein Rosapapier vor die Füße, das dem verliebten Jungen wohl aus einem Schreibhefte gefallen sein mag – selbstverständlich enthielt es ein glühendes Sonett an ‚Blanka‘! – Ich bin außer mir!“

Herr Lamprecht stand noch an seinem Platze, mit dem Rücken nach seiner Schwiegermama; aber es war eine seltsame Bewegung über ihn gekommen – er schwang, genau wie vorhin im Hofe, die geballte Faust auf und ab, als fuchtele er mit der Reitpeitsche durch die Luft.

„Bah, dieses Milchgesicht!“ sagte er, als sie wie erschöpft schwieg, und ließ die Hand sinken. Er reckte seine herrliche Gestalt hoch empor, und mit einer militärisch strammen und doch eleganten Schwenkung drehte er sich auf dem Absatze und stand so gerade dem deckenhohen Spiegel der Fensterwand gegenüber, der ihm ein tiefgeröthetes, verächtlich lächelndes Gesicht zeigte.

„Dieses Milchgesicht ist der Sohn eines vornehmen Hauses – das vergiß nicht!“ entgegnete seine Schwiegermutter und hob den Finger.

Herr Lamprecht lachte hart auf. „Verzeihen Sie, Mama, aber ich kann mit dem besten Willen den Herrn Amtsrathssohn ohne Bart, trotz des Glorienscheines seiner Geburt, nicht für gefährlich und verführerisch halten!“

„Darüber magst Du die Frauen entscheiden lassen!“ sagte die Frau Amtsräthin hörbar empfindlich. „Ich habe alle Ursache, zu glauben, daß Herbert bei seinen nächtlichen Promenaden unter der Holzgalerie, dem Balkon dieser Julia –“

„Wie – er wagt es?“ brauste Herr Lamprecht auf – in diesem Augenblicke war sein Gesicht nicht wieder zu erkennen, so furchtbar entstellte der Jähzorn die schönen Züge.

„Du sprichst von ‚wagen‘ dieser Malertochter gegenüber? Bist Du von Sinnen, Balduin?“ rief die alte Dame tief empört und stellte sich plötzlich mit fast jugendlicher Elastizität auf die kleinen Füße, Aber der Schwiegersohn hielt dem erbitterten Redestrom, der unausbleiblich erfolgen mußte, nicht Stand; er entwich in die Fensterecke – dort trommelte er mit den Fingern so heftig auf die Scheiben, daß sie dröhnten.

„Sag’ mir nur ums Himmelswillen, was ficht Dich an, Balduin?“ rief die Frau Amtsräthin in etwas herabgewildertem, aber immer noch entsetzten Tone und folgte ihm in die Fensternische.

Der Blick hinaus schien ihn wieder zu sich selbst gebracht zu haben. Er hörte auf zu trommeln und sah seitwärts auf die kleine Frau nieder. „Das ist Ihnen ein Räthsel, Mama?“ fragte er höhnisch zurück. „Soll ich nicht empört sein, wenn auf meinem Gebiet – ich will sagen in meinem Hause – solche Stelldicheins provozirt werden von dem – Bankrutscher, der er noch ist? Unverschämt! Da wäre wirklich eine eklatante Züchtigung mit der Haselgerte noch ganz am Platze!“ Wieder schlugen die Flammen des Zornes gesteigert empor; aber er zwang sie nieder. „Bah, alteriren wir uns nicht, Mama!“ sagte er ruhiger und zuckte verächtlich die Achseln. „Die Geschichte ist zu jungenhaft dumm! Mit dem unreifen Bürschchen, das gerade jetzt ausschließlich, womöglich bis über beide Ohren in Griechisch und Latein stecken müßte, wird man doch wohl noch fertig werden – meinen Sie nicht?“

„Nun sieh, da stehen wir ja auf ganz gleichem Boden, wenn Du auch allzu hart in Deinen Ausdrücken bist!“ rief sie sichtlich erleichtert. „Das ist’s gerade, weshalb ich Dich um eine Besprechung bat … Denke aber ja nicht, daß ich bei dieser Liebelei etwa gar eine Befürchtung für Herbert’s Zukunft hege – so weit würde er sich nie vergessen –“

„Eine Porzellanmalerstochter zu heirathen? – Guter Gott! Seine Excellenz, unser zukünftiger Staatsminister!“ lachte Herr Lamprecht auf.

„Herbert’s Karrière reizt Dich ja heute ganz besonders zum Spott – immerhin! Was geschehen soll, geschieht trotz alledem,“ sagte sie spitz. „Aber das ganz bei Seite! Ich habe jetzt nur sein bevorstehendes Examen im Auge. Es ist unsere heilige Pflicht, Alles zu beseitigen, was ihn irgendwie abzieht, und das wäre denn in erster Linie diese unglückliche Flamme drüben im Packhause.“

Er war, während sie sprach, von ihr weggetreten und ging wieder auf und ab. Und jetzt langte er nach einem der auf einem Bücherbrett stehenden Miniaturbändchen, schlug es auf und schien den Inhalt zu mustern.

Die alte Dame zitterte vor Aerger. Eben noch ohne einen eigentlichen Grund bis zur Tollheit aufbrausend, zeigte er jetzt ein unverhehltes Gelangweiltsein, eine geradezu impertinente Passivität! Aber sie kannte ihn ja – er konnte zuweilen auch recht launenhaft und bizarr sein ... Nun, diesmal mußte er still halten, bis ihr Zweck erreicht war.

„Ich verstehe übrigens nicht, was das Mädchen so lange in Thüringen zu suchen hat,“ fuhr sie fort. „Es hieß anfänglich, sie gehe nach England zurück und sei nur auf vier Wochen zu ihrer Erholung bei den Eltern. Nun sind bereits sechs Wochen in’s Land gegangen, und so sehr ich mich auch bemühe und aufpasse, ich sehe nicht, daß irgendwie zur Abreise gerüstet wird … Solche Eltern sind – fast hätte ich gesagt ‚Prügel werth!‘ Das Mädchen liegt buchstäblich auf der faulen Bärenhaut. Sie singt und liest, tänzelt hin und her und steckt sich Blumen in die rothen Haare, und die Mutter sieht ihr verzückt zu und plättet auf dem Gange im Schweiß ihres Angesichts Tag für Tag die hellen Sommerfähnchen, damit das Prinzeßchen ja immer recht kokett und verführerisch aussieht. … Und um dieses Irrlicht flattern alle Gedanken meines armen Jungen! Das Mädchen muß fort, Balduin!“

Die Blätter des Buches raschelten unter seinen immer hastiger umwendenden Fingern. „Soll sie in’s Kloster?“

„Ich bitte Dich inständigst, nur jetzt keinen Scherz! Die Sache ist bitterernst. Das ‚Wohin‘ ist mir sehr gleichgültig; ich sage nur das Eine: Sie muß fort aus unserm Hause!“

„Aus wessen Hause, Mama? Meines Wissens, sind wir hier im Hause Lamprecht, und nicht auf dem Gute meines Schwiegervaters. Zudem wohnt der Maler Lenz weit drüben über dem Hofe –“

„Ja, das ist eben das Unbegreifliche!“ fiel sie ein, klug über seine scharfe Zurechtweisung hinwegschlüpfend. „Ich kann mich nicht erinnern, daß das Packhaus je bewohnt gewesen wäre.“

„Nun ist es aber bewohnt, liebe Mama,“ sagte er mit fingirtem Phlegma und warf das Buch lässig auf ein Tischchen.

Sie zuckte die Achseln. „Leider – und ist noch dazu neu tapeziert worden für die Leute. Du fängst an, Deine Arbeiter zu verwöhnen –“

„Der Mann ist kein gewöhnlicher Arbeiter.“

„Mein Gott, er bemalt Tassen und Pfeifenköpfe! Deshalb wirst Du ihn doch wahrhaftig nicht so auszeichnen, daß er im Hause des Prinzipals wohnen darf? – In Dambach ist doch wirklich Platz genug!“

„Als ich Lenz vor einem Jahre engagirte, da stellte er die Bedingung, in der Stadt wohnen zu dürfen, weil seine Frau an einem körperlichen Uebel leidet, das oft plötzlich die rascheste äeztliche Hilfe nöthig macht.“

„Ach so!“ – Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie kurz entschlossen: „Nun gut, dagegen läßt sich ja nichts einweuden,

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