Seite:Die Gartenlaube (1885) 015.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Fundament geben, eine auf eigenem Grund und Boden arbeitende Bauernschaft. Sein milder Sinn suchte auch die Härte der soldatischen Sklaverei zu lindern. Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wurde die Abkürzung der Dienstzeit und die Vermenschlichung der Mannszucht verbunden. Die Versteinerung der russischen Kirche sollte gebrochen werden durch die Abschaffung der Erblichkeit des geistlichen Standes. Die Rechtspflege wurde den Anforderungen des Jahrhunderts gemäß umgestaltet, die Knute beiseite gethan, die Wahrsprüchegebung an Geschworene überwiesen. Der Zar schrak auch nicht davor zurück, seine Russen es mit den Anfängen des Selfgovernments versuchen zu lassen: die Einführung von Kreis- und Provinzialstände-Versammlungen bewies das. Endlich verzichtete Alexander von Anfang darauf, die chinesisch-nikolaische Mauer der Absperrung Russlands von Europa fernerweit aufrecht zu erhalten, womit eine Menge theils lächerlicher theils schmerzlicher Plackereien aufhörte und es den Russen, namentlich den gebildeten Russen eigentlich erst ermöglicht wurde, sich als Europäer zu fühlen.

Wie kam es nun aber, daß Alexander der Zweite mit allen seinen wohlgemeinten Maßnahmen das russische Reich nur in einen nahezu chaotischen Zustand gestürzt hat, daß unter seiner Regierung Rechtsunsicherheit, Mißtrauen, Verarmung, Verstimmung und Verbitterung ungeheure Dimensionen annahmen? Daß der radikale Umsturzwunsch aus den engen Kreisen weniger Fanatiker allmälig in weite Kreise der Bevölkerung sich verbreitete? Daß auch die amtliche Welt, der Tschin, das Heer, die Flotte, ja sogar der Hof, mehr oder minder vom Revolutionsfieber ergriffen wurden?

Das kam so, weil das russische Volk nicht aus seiner Haut fahren und der Zarismus nicht über sich selbst hinauskommen konnte.

Die Kraft der alexandrischen Reform erlag der Bürde jenes unlösbaren Widerspruchs, welcher ihr von Anfang innewohnte und dessen schon gedacht worden. Daraus erklärt es sich, daß sie auch da, wo sie entschieden nach vorwärts ausschreiten wollte, zumeist nur Mißerfolge hatte. Beweise traurigster Art liefern der Verlauf der Kreis- und Provinzial-Versammlungen, sowie die Verdikte der Schwurgerichte. Wo man die landständischen Versammlungen gewähren ließ, gingen sie weit lieber rückwärts als vorwärts. Sie verbohrten sich in die jämmerlichsten Kirchthurmsinteressen, sahen nicht weiter, als der Horizont von Krähwinkel oder Kuhschnappel reichte, und haben die reformistischen Absichten der Regierung weit mehr gehindert als gefördert. Die plötzliche Einführung der Jury in den Strafproceß sodann war ein grober Fehlgriff. Auch im westlichen Europa hat sich bekanntlich die weiland heiße Schwärmerei für die Schwurgerichte bedeutend verkühlt; aber in Russland war die Einrichtung derselben schlankweg ein Sprung ins Dunkle, eine Satire auf die Rechtspflege, eine Aufmunterung für das Verbrechen. Was, Leute, welche durch die jahrhundertelange Verknechtung um Selbstbewußtheit, moralischen Muth, Rechtssinn und Pflichtgefühl gebracht worden waren, sollten von heute auf morgen dazu berufen sein, das Recht zu finden und Schuldfragen zu bejahen oder zu verneinen? Unsinn das! Und wie die Geschworenen, so auch gar nicht selten die Richter, Staatsanwälte und Advokaten. Man darf daher wohl aufstellen, daß viele der Scenen, welche während der Regierung Alexanders des Zweiten in russischen Gerichtssäälen abgespielt wurden, zu den tollsten, erschreckendsten, unglaublichsten Narretheien gehören, welche im 19. Jahrhundert geschehen sind.

(Fortsetzung folgt in nächster Nummer.)




Elfenbein und Palmöl.

Von Siegfried. Mit Orginalzeichnungen von A. v. Roeßler, nach Angaben von E. R. Flegel.

Betender Karavanenführer.

An der langen Westküste von Afrika würde man vergeblich nach Ackerbau-Kolonien suchen, die in anderen Welttheilen den Grund zu der Macht der Weißen gelegt haben. Wohl sind hier und da, am Senegal und in Gabun, Versuche mit Plantagen gemacht worden, aber sie gleichen nur schwachen Pflänzchen, die um ihr kümmerliches Dasein hart ringen müssen, und die Zeit schwebt noch in weiter Ferne, in welcher westafrikanischer Kaffee den Weltmarkt überschwemmen oder von afrikanischen Baumwollenkönigen die Rede sein wird. Nur dem Händler gehört augenblicklich der westafrikanische Boden. Nur ihm blüht das Glück, und getrost segelt er mit europäischen Waaren an die fremde Küste, um mit schwerer Ladung afrikanischer Produkte in den heimischen Hafen zurückzukehren, denn Afrika ist noch reich an natürlichen Schätzen und bietet dem Kaufmann vor Allem zwei wichtige Handelsartikel: Elfenbein und Palmöl.

Daß das erstere eine werthvolle Waare bildet, wem wäre es nicht bekannt? Das Elfenbein findet stets seinen Käufer, denn es wird mit Vorliebe zu vielen Zwecken verwendet. Von dem elfenbeinernen Zahnring, den der Säugling in sein Mäulchen steckt, bis zu dem elfenbeinernen Griff des Stockes, auf den sich der Greis stützt, überall ist es zu finden, es schimmert als Schmuck auf dem Busen der Frauen, es hält als Knöpfe die Manschetten der Herren zusammen, es ziert die Griffe der Messer und Gabeln und rollt in Kugelgestalt auf der grünen Fläche des Billardtisches. Das Elfenbein wird so sehr begehrt, daß man selbst Stoffe aller Art, wie z. B. das Celluloid, erfunden hat, um seinen Mangel zu ersetzen. Die civilisirte Welt verbraucht nach annähernder Schätzung jährlich gegen 16 000 Centner Elfenbein und 51 000 Elefanten müssen jährlich ihr Leben lassen, um diesen Bedarf mit ihren Zähnen zu decken. Und Afrika ist der Hauptlieferant des Elfenbeins. Ostindien, das einst die Welt mit demselben versorgte, macht heute selbst in Sansibar starke Einkäufe an dieser werthvollen Waare, deren Preis je nach der Größe des Zahns schwankt, sodaß man Zähne von etwa 20 Kilogramm Gewicht mit 400 Mark und einen dreimal so schweren Zahn mit der zehnfachen Summe bezahlt.

Diese Ziffern dürften genügen, um die Bedeutung jener Waare verständlich zu machen, und diese Bedeutung erscheint um so wichtiger, als es feststeht, daß der Elfenbeinhandel noch viele Jahre mit großem Erfolg im Innern Afrikas betrieben werden kann. Denn dort, von den Grenzen der Sahara bis zum südlichen Kapland, sind noch die ganzen unermeßlichen Länderstrecken reich an Elefantenheerden, welche das Blei der weißen Jäger noch nicht gelichtet und die den Nachstellungen der Eingeborenen einen ziemlichen Widerstand entgegensetzen. Nur von den Küsten hat sich der kluge Dickhäuter zurückgezogen, aber im Innern des Welttheils fanden alle Reisenden überall, wo günstigere Bedingungen vorhanden waren, noch starke Bestände dieses afrikanischen Hochwilds. Namentlich das Hinterland jener Küste, von der jetzt die deutsche Flagge weht, das Hinterland von Kamerun, sowie von Batanga steht in dem Rufe eines besonderen Reichthums an Elfenbein. Nicht minder die Länder am Niger und Benuë, jenen wichtigen Flüssen, in deren Lauf sich in nächster Zeit der Strom des europäischen Handels ergießen wird. Hat doch Robert Flegel von dort eine große Anzahl von Elefantenzähnen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_015.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)