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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Die Hexenprobe.

Eine culturgeschichtliche Studie.


Die mittelalterlichen Gottesurtheile, in denen die Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten einem unmittelbar eingreifenden göttlichen Wunder anheimgegeben wurde, kamen in Deutschland schon während des 14. Jahrhunderts in Abnahme und verschwanden unter dem Einflusse des römischen Rechtes im Laufe des 15. Jahrhunderts vollständig aus dem deutschen Gerichtsverfahren. Nur eine düstere Domäne blieb ihnen, der Hexenproceß. War doch nach den Definitionen der Juristen die Hexerei ein Ausnahmeverbrechen und erheischte ein von den Normen des üblichen Rechtsganges entbundenes Ausnahmegericht. So haben denn hier alle Mächte des Aberglaubens zusammengewirkt, um mitten in der civilisirten Welt ein Ungeheuer von Rechtsverfahren zu schaffen, das an Dummheit, Rohheit und Heimtücke alle Gräuel der Wilden weit hinter sich läßt und der christlichen Cultur ein unauslöschliches Schandmal aufgedrückt hat.

Die Hauptperson in diesem Proceß war der Henker, der daher mit Recht in einigen deutschen Gegenden schlechthin „der kluge Mann“ genannt wurde; alle Zweifel löste der Scharfsinn des Folterknechts. Was der Angeklagte sagte oder that, ob er verneinte oder bejahte, ob er standhaft war oder verzagt, jeder Lebensumstand, jedes Wort, jede Miene verwickelte ihn nur um so unentrinnbarer im Kreuzspinnennetz des Inquisitors, bis er unter Martern verzweifelnd die Schuld bekannte, die für den Richter von Anfang an feststand. Die einzige Erlösung war der Tod. Ueber dem Eingang zum Hexenthurm stand wie über Dante’s Höllenthor die Inschrift: „Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung schwinden!“

Dem Verhör und der „peinlichen Frage“ pflegte das Gottesurtheil der Hexenprobe voranzugehen. Es gab verschiedene Arten, von denen in der Regel mehrere nach einander zur Anwendung kamen. Als die wichtigsten sind zu nennen: die Thränenprobe, die Nadelprobe, die Feuerprobe, die Wasserprobe und die Hexenwage.

Da nach allgemeinem Glauben die Hexen nicht weinen konnten, so legte der Richter der Angeklagten die Hand auf den Kopf und sprach: „Ich beschwöre dich um der bitteren Thränen willen die von unserem Heiland, dem Herrn Jesus Christus, am Kreuze für unser Heil vergossen worden sind, daß du, im Falle du unschuldig bist, Thränen vergießest, wenn schuldig, nicht!“ – In der Regel constatirten die Richter mit Genugthuung, daß die also Beschworene sich vergebens angestrengt habe zu weinen. Auch auf der Folter waren, so glaubte man, der wirklichen Hexe die Thränen versagt; weinte aber eine Gemarterte dennoch, so war das nach der Ansicht der untrüglichen Richter nur teuflisches Blendwerk.

Noch größeres Gewicht als dieser Thränenprobe legte man der Nadelprobe bei. Wie nämlich nach dem Propheten Ezechiel (9, 4), und der Offenbarung Johannis (7, 3) die Auserwählten Gottes das Zeichen des Heils an der Stirn tragen, so drückt der Teufel denen, die, von Gott abgefallen, sich ihm ergeben haben, ein unvertilgbares Zeichen auf, das sogenannte stigma diabolicum. Er macht dies entweder mit der einfachen Berührung seines Fingers oder er ritzt der neugewonnenen Hexe an irgend einem Körpertheil die Haut auf und saugt das rinnende Blut. Häufig bringt er dieses Merkmal an offen sichtbaren Stellen an, wie an der Hand, doch häufiger an verborgenen, z. B. unter der Zunge. Nach diesem Teufelszeichen wurde beim Hexenproceß eifrigst gesucht. Es sollte daran zu erkennen sein, daß es unempfindlich sei und kein Blut gebe. Daher stach der Henker mit einer langen Nadel in jede Narbe, jeden Leberfleck, jedes Muttermal am Leibe der Angeklagten. Der Erfolg dieser Probe lag völlig in der Willkür des Henkers; denn er war während derselben mit der Angeklagten in einer Kammer allein und konnte hernach aussagen, was er wollte. Doch wenn er auch gar nichts Verdächtiges fand, so ließ sich der Hexenrichter dadurch keineswegs irre machen. Denn, sagte er, der Teufel zeichnet nur diejenigen, deren er noch nicht ganz sicher ist; seine getreuesten Anhänger läßt er ohne Zeichen – und so wurde die Abwesenheit des Hexenmals nur ein um so schlimmerer Verdachtsgrund.

Von den in der Vorzeit üblichsten Formen des Gottesurtheils, der Feuerprobe und der Wasserprobe, war die erstere im Hexenproceß nicht beliebt. Nach dem Criminalcodex der Hexenrichter, dem berüchtigten „Hexenhammer“, sollte zwar der Richter die Angeklagte fragen, ob sie zum Beweise ihrer Unschuld das glühende Eisen tragen wolle; er sollte ihr aber diese Probe nicht gestatten. Denn, so lautet die Begründung, die meisten erklären sich dazu bereit, weil sie auf die Hülfe des Teufels hoffen; auch gebe es betrügerische Mittel, um die Hand unverletzt zu erhalten. Daher sei die Berufung auf die Feuerprobe geradezu als ein weiterer Verdachtsgrund zu betrachten. Der einzige Fall, der uns bekannt ist, stammt noch aus der Zeit kurz vor Abfassung des „Hexenhammers“ (1487). Im fürstlich Fürstenbergischen Archiv zu Donau-Eschingen ist eine Urkunde erhalten, wonach sich eine gewisse Anna Henne von Röthenbach im Schwarzwald im Jahre 1485 durch das Tragen des heißen Eisens von der Beschuldigung des Hexenwerks zu reinigen vermochte.

Das am weitesten verbreitete und am längsten ausgeübte Hexenordal, die Hexenprobe schlechthin, war die Wasserprobe, das Hexenbad. Von alten Zeiten her hatte man bei den verschiedensten Völkern die Schuld eines Angeklagten dadurch zu erforschen gesucht, daß man ihn in’s Wasser warf. Dabei galten entgegengesetzte Anschauungen. Nach der einen handelte es sich für den Angeklagten darum, sich möglichst lang unter Wasser zu halten. So wurden bei den Tagalas auf den Philippinen sämmtliche eines Diebstahls verdächtige Personen in’s Wasser geworfen: wer zuerst wieder auftauchte, war der Dieb. Die gleiche Probe bestand bei den Papuas auf Neu-Guinea und bei den Negern der afrikanischen Goldküste. Auch die jüngeren Gesetzbücher der Inder bestimmten, daß der Angeklagte, an den Beinen eines im Wasser stehenden Mannes sich festhaltend, solange untergetaucht bleiben solle, bis ein abgeschossener Pfeil von einem Dritten im Laufe zurückgeholt werde; tauche er früher auf, so sei er schuldig.

Nach der anderen, verbreiteteren und alterthümlicheren Anschauung sollte die Unschuld des Angeklagten durch Untersinken, die Schuld durch Obenschwimmen erwiesen werden. Das Untersinken im Wasser galt überhaupt für ein günstiges Zeichen. Schon im Alterthum achteten die Syrer am Libanon darauf, ob die in den See Boëth geworfenen Opfergaben zu Boden sanken; geschah dies, so war es ein gutes Omen. Dieselbe Wasserprobe mit Opferkuchen übten die Lacedämonier. Auch die Schweden des 11. Jahrhunderts prüften die Richtigkeit eines Volksbeschlusses dadurch, daß sie einen Mann in den heilige Brunnen von Upsala niederließen: sank er unter, so war der Beschluß gültig.

Diesem Brauche lag die uralte Vorstellung von der Heiligkeit des Wassers zu Grunde. Das Wasser weiht und entzaubert; das Wasser hält böse Geister ab; das Meer stößt alle seine Leichen aus und duldet kein Blut, daher sich schiffbrüchige Schwimmer den Arm blutig bissen, um vom Meer nicht verschlungen zu werden. So wehrt das reine Element auch alle moralische Befleckung von sich ab; den Verbrecher nimmt es nicht auf. Die Wasserprobe in diesem Sinne findet sich bei den Indern in ihrem ältesten Gesetzbuch, bei den Slaven und den Germanen. Die alten Gesetze der germanischen Stämme schreiben zwar das Wasserordal nicht vor; es muß aber dennoch im Gerichtsgebrauch gegolten haben, da es der Kaiser Ludwig der Fromme im Jahre 829 verbot. Wie wenig dieses Verbot gefruchtet hat, ersehen wir daraus, daß es 400 Jahre später vom Papst Innocenz III. auf dem lateranischen Concil (1215) wiederholt wurde. In England wurde bis um jene Zeit die Wasserprobe bei Mord- und Raubklagen angewendet. So wurde im Jahre 1177 einer der vornehmsten Londoner Bürger, Johannes Senex, der mit andern jungen Leuten aus adeligen Familien nächtliche Raubanfälle verübt hatte, durch die Wasserprobe überwiesen und dann gehängt. In Deutschland hatten sich diesem Gottesurtheil hauptsächlich niedere Leute und Knechte zu unterziehen. Doch soll auch ein Reichsfürst, der Graf Welf, im Jahre 1126 in einem Rechtshandel mit den Bisthümern Augsburg und Freising dadurch seine Unschuld bewiesen haben. Das um 1230 von Eike von Repkow verfaßte Rechtsbuch der Niedersachsen, der „Sachsenspiegel“, ordnet an: „wenn zwei Männer ein Gut beanspruchen und die Nachbarn darüber kein Zeugniß zu geben wissen, so solle das Wasserurtheil entscheiden.“ Dieselbe Bestimmung hat das schwäbische Landrecht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 857. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_857.jpg&oldid=- (Version vom 29.2.2024)