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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Nun setzte sie sich wieder in den Sorgenstuhl an das Fenster; aus dem Hintergrunde schimmerte das große Himmelbette ungeheuerlich herüber.

‚Schau Dich nur um,‘ sagte sie lächelnd, ‚hier bist Du geboren. – Es war Weihnacht grade, und Du machtest mir das garnicht zu Paß.‘

‚’s ist einmal mein Loos,‘ gab ich zurück.

Sie sah empor, und das Lachen erstarb auf ihrem Antlitz.

‚Ich wollte reden mit Dir,‘ fuhr ich fort, und heute noch erinnere ich mich, welche Mühe mir das Sprechen machte, und wie heiser meine Stimme über die Lippen kam – ‚von der Minna –.‘

‚Ja, Hans, das ist gut,‘ unterbrach sie mich, ‚sie ist ein braves Mädchen und verdient glücklich zu sein.‘

‚Du meinst also, ich soll sie heirathen?‘ fragte ich. – Aber sie merkte nicht den leisen Hohn in meiner Frage.

‚Ja, Hans, das ist der größte Wunsch von mir. Sieh, Schönheit vergeht, aber ein braves Herz nimmer. Sie ist eine Geschäftsfrau, wie keine weiter, und sie bringt Dir ein schönes Capital mit ins Haus. Du bist dreiundzwanzig Jahre, alt, Hans, und wenn Du eine Frau bekommst, die so recht ihre Sache versteht, so wird’s auch keine Noth haben mit uns. – Daß die Minna Dir herzlich gut ist, das hat sie gesagt, als ich sie darum befragte; sie wartet nur auf Dein Wort. Sie hat ein wenig Scheu vor Deinem stillen Wesen,‘ setzte meine Mutter nach einer kurzen Pause hinzu, ‚mit dem Friedrich wär’s leichter gegangen, meint sie. – Thue es bald, Hans, dieweil ich recht stümperig werde. – Sonst hast Du doch keine Neigung, nicht wahr? Ach, die Engel im Himmel sollten mich hier auf Erden beneiden, könnte ich noch den Erben sehen von ‚Wilhelm Rüdiger Söhne‘!‘

Und sie war aufgestanden und zu mir getreten; und sie reckte sich in die Höhe und strich mir über die Wangen: ‚Mein Einziger!‘ – Was doch für Macht in den zwei alten treuen Augen lag; eine Macht, gegen die ich vergeblich kämpfte.

‚Gute Nacht, Mutter,‘ sagte ich, ‚ich will’s überlegen.‘

Und wie ich droben in meinem Kämmerchen stand, da meinte ich, ich müßt’ ersticken. Und an der plaudernden Magd vorüber schritt ich aus der Hausthür und ging in den dunklen Schloßgarten; berauschend dufteten Flieder und Jasmin, wie heute lag der Mondesglanz über den schlummernden Wipfeln der Bäume und durch die verschlungenen Wege irrte mein Fuß immer tiefer hinein in die Frühlingsnacht, entlang an dem Flüßchen, auf dessen raschen Wellen die Silberstrahlen spielten, und hinüber über die aus Baumstämmen gefügte Brücke, wo die alte Schloßruine sich erhebt. Dann stand ich plötzlich vor einem kunstlosen Gefüge aus Stein, in halber Manneshöhe erhob es sich mitten auf dem von blühendem Gesträuch überschatteten Platze, und im grellen Mondschein erblickte ich goldene Schrift auf einer schwarzen Tafel. Ich trat hinzu:

‚Leben ist ewiger Kampf, 

Frieden erst bringet der Tod!

Dem Gedächtniß des Fräulein Rosa von Rettberg, ihrer unvergeßlichen Gefährtin in trüben Tagen.

Anna Katharina, Fürstin zu A……‘“

Er brach plötzlich ab.

„Die Verse, Herr Baumeister, verließen mich nicht mehr“ – fuhr er nach einer langen Pause fort – „ich sah sie beständig vor mir in den goldflimmernden Buchstaben, ich sah das holde Antlitz, zu dessen Gedächtniß sie geschrieben, und ich ertappte mich einmal dabei, daß ich ein Pistol in der Hand hielt und das Schloß spielen ließ; erschrocken vor mir selber legte ich es hin und nahm es dennoch öfter wieder zur Hand. Gleichwohl schleppte ich mich noch vierzehn Tage so hin – vierzehn Tage, die zu den schrecklichsten meines Lebens gehören.

Und es ward wieder ’mal Abend; müde und schwer in den Gliedern wie ein alter Mann saß ich am Fenster der Ladenstube und schaute über den Marktplatz, auf dessen Pflaster der Frühlingsregen plätscherte. Im Rathhauskeller war ein Volk Hallenser Studenten eingeregnet, und ihr Singen und Lärmen scholl deutlich herüber in unser dämmeriges Gemach:

‚Vom hoh’n Olymp herab ward uns die Freude – –‘

so hatt’ auch ich einmal gesungen.

Die Mutter nickte im Sopha, und dann that sich die Thür auf und die Minna kam herein.

‚Grüß’ Gott!‘ sagte sie, ‚ist das ein Wetter!‘

Die Mutter aber rieb sich freudig die Augen, und den Schlüsselbund vom Haken nehmend, trat sie zu mir und flüsterte: ‚Hans, mach’s richtig heut’ Abend; ich lasse Euch allein.‘

Ich hielt sie plötzlich an der Schürze so fest, daß das Band riß; aber wie ich wieder in ihre bittenden Augen sah, ließ ich sie los; ich kam nicht auf gegen diesen Blick. Und sie verließ uns, und die Minna setzte sich gegenüber auf den andern Stuhl; vor den Fenstern plätscherte einförmig der Regen, und schwerfällig ging die Schwarzwälder Uhr an der Wand ihren einförmigen Schritt.

‚Bin durch den Park gegangen,‘ hub das Mädchen endlich an, und ihre raschen Athemzüge waren mählich ruhiger geworden, ‚an Fräulein von Rettberg’s Denkmal liegt Alles voller Kränze - ihr Geburtstag ist heute. Sie haben sie ja auch gekannt, Hans?‘

‚Ja!‘ erwiderte ich gepreßt und setzte hinzu, nur um etwas zu sagen: ‚Die furchtbare Cholera!‘

‚Cholera?‘ fragte sie rasch, ‚wer hat Ihnen das aufgebunden, Hans? Gift hat sie genommen! Eins, zwei, drei – vorüber war’s! Fragen Sie jedes Kind – so ist’s.‘

Ich sprang empor.

‚Nun ja, was weiter? Sie sollte Einen heirathen, den sie nicht wollte –; umsonst war sie nicht so blaß, immer und ewig; der Magister weiß es auch.‘

Ich trat zu ihr. ‚Nun, und wie denken Sie denn über solchen Fall, Fräulein Minna?‘ kam es schneidend über meine Lippen.

‚Ich?‘ Sie sah mich an, dann schlug sie erröthend die Augen nieder. ‚Ja, ich meine, mit ein bischen gutem Willen kann man Alles – warum nicht auch einem Mann gut werden? Der Tod ist bitter.‘

‚Mit ein bischen gutem Willen?‘ Ich wandte ihr kurz den Rücken und schaute wieder durch das Fenster. So standen wir noch, als die Mutter herein kam.

Sie sah von Einem zum Andern, und als sie das eisige Schweigen zwischen uns ein Weilchen beobachtet hatte, setzte sie sich stumm in die Sopha-Ecke. Es ward dämmerig im Zimmer und todtenstill, ich hörte nur ein leises Schluchzen.

‚Warum weinst Du, Mutter?‘ fragte das Mädchen endlich gepreßt.

‚Daß ich so gar kein Glück habe, so gar kein Glück mit meinen Kindern!‘ stieß sie hervor. ‚Hätt’ ich doch gar nie welche gehabt! Ach, wie ist man stolz und eingebildet auf so ein Kind, was thut man Alles und hat doch nimmer Dank davon! Auf den Knieen möchte man vor ihnen liegen, aber der hochmüthige Nacken beugt sich nicht um ein Haar. – Ehe der Hans geboren wurde, bin ich die Treppe hinuntergestürzt; wäre ich doch liegen geblieben und elendiglich verstorben, als daß ich so eine Marterzeit erleben muß! Was hab’ ich für Geduld mit ihm gehabt – und Alles vergebens!‘

Ich ging plötzlich mit dröhnenden Schritten durch das Gemach und die Treppe hinan. Ich wollte da Etwas aus einem Kasten nehmen, ich that es auch, und kam dann wieder herunter. Hinter der Stubenthür hörte ich das Jammern der Mutter; mir that es nicht mehr weh. Ich erinnere mich noch so deutlich, was ich in jenen Augenblicken sah und empfand. Feuchter Dunst wob sich um die Giebel der Häuser; die Rathhausuhr schlug Acht. Mit eigenthümlicher Langsamkeit schritt ich über den Marktplatz die Straße hinunter: es war kein Mensch zu sehen, der Regen hielt Alles in den Stuben; nur vor dem Rathskeller stand das Schenkmädchen und neckte sich mit einem Studenten, ihr helles Lachen schallte hinter mir drein wie ein letzter Gruß von Leben und Glück, seltsam contrastirend mit den Gedanken, die mein Herz trug. Wie Hohn empfand ich es.

‚Frieden! Frieden um jeden Preis!‘ schrie meine Seele, ‚hinaus aus dieser Erbärmlichkeit!‘

‚Im Schloßgarten!‘ sprach ich dann halblaut, indem mein Schritt rasch und rascher wurde. Ich ging durch verschiedene Wege, ich athmete tief und empfand die duftende kühle Luft wie eine letzte Wohlthat; eine wunderbare Ruhe kam plötzlich über mich, ein Gefühl von baldigem Geborgensein. Und tief und tiefer drang ich hinein in den dämmernden Garten. Irgendwo blieb ich dann

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