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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Ich sagte kurz ‚Adieu‘! und ging. Aber in unserem Hause, in dem Mansardenstübchen saß ich dann und wühlte in meinen Bücherlisten, die noch unangerührt standen, wie sie von Jena gekommen; mein Cerevis-Käppchen hatte ich auf den Kopf gesetzt und in den Händen hielt ich die Tristien Ovid’s; und ich las und las, wie ein bald Verdurstender zu trinken pflegt. So saß ich noch, als die Dämmerung hereingebrochen war.

Als ich blaß und erfroren zum Abendessen in die Ladenstube kam, sah mich die Mutter über den Tisch herüber mit forschenden Augen an. Aber sie sagte nichts und legte mir nur sorglich vor; nachdem wir schweigend gegessen und der Tisch abgeräumt worden, nahm sie das klappernde Schlüsselbund und ging hinaus. Nach einer Weile kehrte sie zurück, eine verstaubte Flasche in der Hand und des Vaters Mundglas; sie stellte Beides vor mich hin. ‚Hans‘, sagte sie, ‚trinke, – der Vater hielt es immer so; wenn ein guter Tag im Geschäft gewesen, dann goß er sich das Glas voll Franzenwein und sprach: ‚Heut war Segen drin, Alte, da können wir uns das erlauben!‘ – Nun, Hans, Du kannst es auch haben, Du bist ja hier an des Vaters Statt!‘

Sie strich mir dabei leise über das Haar, ich aber sah das alte geschliffene Glas nur noch durch funkelnde Thränen; – daß sie heut, wo ich ihr im Herzen abtrünnig geworden, sie allein gelassen in dem Drang der Arbeit, kein tadelndes Wort für mich fand, das schlug mich fast zu Boden. Hastig schob ich das nun gefüllte Glas zurück und strebte nach der Thüre.

‚Hans‘! rief es hinter mir, ‚Hans, bleib hier!‘ Aber ich konnte es nicht, ich wußte selbst nicht, warum. Heftig schlug ich die Thüre hinter mir zu und warf mich in der Kammer auf mein Bette. – Wüst und wirr erhob ich mich am andern Morgen, und wüst und wirr war all mein Thun.

Das Haus des Magisters vermied ich gänzlich, – ich war noch längst kein Philosoph! – Bei Wind und Wetter ging ich nach Schluß des Ladens in Feld und Wald umher, nur um mein fieberndes Blut zu fühlen, denn meistens stand ich schlaflos wieder auf vom Lager; immer hatte ich nur den einen Gedanken: ‚Und das soll so fortgehen, lebenslang, ewig?‘

So hatte sich mittlerweile denn auch eine Meinung über mich im Städtchen gebildet, nämlich, daß ich ein hochfahrender unfreundlicher Geselle sei, der die Leute nicht zu behandeln verstehe. Es passirte sogar, daß ein paar Honoratiorenfrauen, die mich allein im Laden fanden, nach meiner Mutter fragten und, als ich sagen mußte, sie sei abwesend, meinten, dann kämen sie ein andermal wieder. Mir war es recht: aber die Mutter, der es der Lehrling berichtete, ward mächtig dadurch aufgeregt und klagte: ‚Mit gutem Willen könne man viel – und sie hätte nicht gedacht, daß es soweit kommen würde! Sie werde wohl nie die wohlverdiente Ruhe finden, um droben in der Stube mit dem Strickzeug und der Tasse Kaffee behaglich am Fenster zu sitzen, die Leute auf der Straße zu schauen und sich zu freuen, wie es drunten so fein ordentlich und regelrecht einhergehe.‘ Und das war immer ihr Ideal, ihres Lebens Traum gewesen.

Und hier macht mein Lebensweg wieder einmal eine Biegung, um aus ödem freudlosen Pfad in einen noch schlimmeren voll Nesseln und Dornen zu münden. Es war im Lenzesanfang, da das passirte, was ich eben berichtet. In dem Schaufenster hatte der Lehrling hellfarbige Frühlingsstoffe ausgelegt; die Thür des Gewölbes stand offen und ließ schmeichlerisch warmes Wehen herein. Allenthalben schimmerten die Sträucher in smaragdenem Grün und über den Schönauer Bergen lachte ein lichtblauer wonniger Himmel. Nun, das weiß ein Jeder, daß der Frühling da draußen auch sacht an das arme Menschenherz pocht und ihm zuflüstern will von einem neuen Leben, von einem Besserwerden, daß es sich dehnt und schwillt und klopft vor unsagbarer Sehnsucht. So ging es auch mir.

Ich stand am Pult und starrte auf die Zahlen. Da fiel auf einmal ein Schatten auf mein Buch und eine Frauenstimme rief ein schallend: ‚Grüß Gott, Hans!‘ Dabei legte eine keineswegs zarte Hand im Filethandschuh ein paar Maiblümchen auf das Papier, und als ich aufblickte, sah ich die Minna. Sie hatte das Trauerkleid abgelegt und trug ein kornblumenfarbenes Gewand und einen Strohhut mit gelben Bändern. Ihre Erscheinung kam mir so grotesk vor, daß ich sie einen Augenblick wie erstarrt betrachtete; sie nickte aber vergnügt und flüsterte näher tretend:

‚Ja, sehen Sie, Hans, ewig kann ich doch nicht so schwarz herumlaufen, – heute Morgen kam’s so über mich bei dem Sonnenschein; da nahm ich das Kleid aus dem Schrank. Das Trauern äußerlich thut’s ja nicht, den Friedrich vergesse ich doch nimmer, und ich dachte,‘ sie ward plötzlich roth, ‚es wäre Ihnen auch lieber so; Sie sagten neulich einmal, es müßte eigentlich gar nicht erlaubt sein, daß die Menschen schwarze Kleider anziehen.‘

Ich hörte sie verständnißlos an. Was hatte meine im Allgemeinen aufgestellte Behauptung mit ihr zu thun? – Ich war froh, daß die Mutter mich einer Antwort überhob. Sie kam eben in den Laden und stieß einen Ruf froher Ueberraschung aus, als sie das junge Mädchen sah.

‚So ist’s gut, Minnachen, so ist’s gut! Die Jugend will ihr Recht!‘ Und als nach langem fröhlichen Schwätzen das Mädchen endlich ging, trat die Mutter in die Ladenthür und schaute ihr nach. Und dann wandte sie sich zu mir:

‚Gelt, Hans, ein schneidiges Frauenzimmer? Und wie sie dahier Bescheid weiß!‘

Ich nickte zerstreut, und sie sagte nichts mehr und ging hinaus. Nach einer Weile kehrte sie zurück mit Hut und Tuch, eine kleine Gießkanne am Arm und ein Körbchen mit Gartengeräth und Pflanzen.

‚Ich gehe auf den Kirchhof, Hans, will die Gräber ein bischen zurecht machen. Und wenn das bestellte Brautkleid verlangt wird – der weiße Atlas liegt in dem Seidenkasten zu oberst.‘

Sie schritt quer über den sonnigen Marktplatz; wer sie sah, zog den Hut, und die Frauen winkten ihr zu.

(Schluß folgt.)

Zwei Weihnachtsabende.

Skizze von H. H.0 Mit Illustrationen von Prof. P. Mohn.
1.

Auf der festgefrorenen Chaussee, die nach dem Landstädtchen B. führt, rollte schwerfällig der Postwagen dahin. Die Insassen waren eine elegant gekleidete, sehr bleich und leidend aussehende Dame und ein kleines, etwa drei Jahre altes, reizendes Mädchen, dessen dunkellockiges Köpfchen aus einer weißen Pelzmütze guckte. „Sind wir noch nicht bald da, Mama?“ frug das Kind mit weinerlicher Stimme. Die Angeredete nahm die Kleine auf den Schoß, sie zärtlich an sich drückend. „Bald, mein Liebling, siehst du da unten die Lichter schimmern? Das ist B.“ sagte sie.

Während im Walde Dunkelheit geherrscht hatte, leuchtete im Städtchen eine wahre Lichtverschwendung.

Es war heiliger Abend. Aus all den großen und kleinen Häusern, an welchen die schwerfällige Postchaise vorbeihumpelte, strahlte der Lichterbaum und scholl fröhlicher Kinderjubel heraus. Die kleine Marie im Postwagen hatte sich an’s Fenster gestellt und tippte mit den rosigen Fingerspitzen an die gefrorenen Scheiben; wenn dann das Eis geschmolzen war, guckte sie hindurch und jauchzte auf, wenn sie einen geschmückten Tannenbaum erblickt hatte.

Die junge, bleiche Frau drückte zuweilen ihr Taschentuch an die Augen, die in Thränen schimmerten.

Endlich hielt der Wagen mit plötzlichem Ruck vor einem stattlichen Hause still, das friedlich aus den beschneiten Bäumen, die es umgaben, herausschaute. Der alte Postillon öffnete den Schlag, und die Beiden stiegen aus.

Die Dame nahm die Kleine an der Hand und zog die Klingel. Bald öffnete eine freundliche Magd, welche die Fremden auf ihren Wunsch in des Herrn Pfarrers Zimmer führte. Die Thür zum Wohnzimmer stand offen, und da stand ja auch der schöne Weihnachtsbaum, um den eine muntere Schaar tanzte. Mariechen entwand sich rasch der Hand ihrer Mama und trat furchtlos auf die Schwelle. Die Jungen und Mädchen hielten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_842.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2022)