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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Wir machten Halt vor dem Höhlenbezirk, den der Tribus unseres Capitano bewohnt. Die Damen unserer Gesellschaft, eine Schwedin und eine Finnländerin, fanden die wirthschaftlichen Zustände dieser unterirdischen Zigeunerstadt wenig appetitlich. Sie waren entschieden enttäuscht. Sie hatten Romantik, Poesie, fremdartigen Reiz erwartet, ein Stückchen Preciosa vielleicht, und fanden nun Schmutz, Elend, widrige Verkommenheit ohne jeden sentimentalen Zug. Diese Menschen mit den funkelnden Augen fühlten sich offenbar nicht einmal unglücklich in ihren Erdlöchern.

Zigeunertanz.
Originalzeichnung von Prof. Alex. Wagner.

Doch wir waren einmal unter den Zigeunern und wollten uns ihre Künste daher nicht erst unten in der Stadt, sondern gleich an Ort und Stelle vormachen lassen. Der Hauptmann wußte für Alles Rath. Ein abgeplatteter Felsvorsprung ward zum Tanzboden. Angesichts der entzückenden Abendlandschaft, des maurischen Königsschlosses, der schon völlig im Schatten liegenden Stadt im Thale, lagerten wir uns auf die Steinblöcke umher. Braune Bursche machten mit einem Becken, einer Mandoline, einem Brummeisen Musik. Die Castagnetten klapperten den Tact dazu. Leider blieb diese Musik nicht ohne Gesangbegleitung. Ein eintöniges Summen, das wie langausgehaltenes Gestöhne, wie Klageton klang, wurde von den zottigen, aus Steinen umhersitzenden Weibern begonnen. Die Tänzerin trat vor. Sie hatte einige Blumen in’s Haar gesteckt, sich mit einem verwaschenen, arg beschmutzten und zerschlissenen Rocke, mit einem kurzen Busentuche geputzt und war nicht ohne jene derbsinnliche Schönheit, die man bei den jugendlichen Geschöpfen ihres Volkes wohl antrifft, die aber weit verschieden ist von andalusischem Liebreiz, von der anmuthigen Geschmeidigkeit südspanischer Frauengestalten in erster Jugendfrische. Das Tanzen selbst ist eine Art Ballet. Mit den klappernden Castagnetten in jeder Hand, schreitet das Weib vorwärts und zurück, wiegt den Körper hin und her, wird feurig, leidenschaftlich , die Arme heben und senken sich in lebhafter Bewegung. Diese Schwingungen der nackten Arme sind eigentlich das Schönste an den Zigeunertänzen, die sich von denen der Südspanier kaum unterscheiden. Der ganze Körper sinkt hinab, schnellt wieder in die Höhe, beugt sich weit über, vorwärts und zurück, und immer sind es die in schönen Bogenlinien erhobenen Arme, die diesen Bewegungen erst Ausdruck und Anmuth verleihen. Ein junger Zigeuner tritt hinzu, aus dem Tanze wird eine Art Kampf, ein Haschen und Entweichen. Dazu beginnen die plärrenden Weiber tactmäßig in die Hände zu klatschen. Das Ganze gab ein fremdartig reizvolles Bild.

Drüben an den Randbergen des Genilthales sank der Sonnenball hinab. Die großen Linien der Landschaft hoben sich in tiefem Violett gegen den rosenrothen Himmel ab. Die Schneefelder der Sierra glühten. Die Steinwüste des Sacro Monte mit dem Getrümmer der alten arabischen Stadtmauer breitete sich in tiefer Oede und völliger Einsamkeit um uns aus. Die Gruppe abenteuerlicher und brauner Geschöpfe mit den wirren schwarzen Haaren, den struppigen Kindern, den offnen Höhlenwohnungen war das einzig Lebendige in der weiten Landschaft. Wir rüsteten uns zum Aufbruche. Zuvor aber klopfte das Mädchen mit ihrer Castagnette den Gästen auf die Schulter, ein anderes hielt die Schürze auf, das war eine Bitte um kleine Münze. Der Zigeunerhauptmann hatte seine Gebühr bereits empfangen, diese Spende ist nur ein Trinkgeld, für das die braunen Weiber sich Schnaps und Zuckerwerk kaufen. Zum letzten Male schnellten noch die gerundeten Arme in die Luft, die Gestalten wirbelten in wilder Erregung um sich selbst, das Klatschen der Hände, das Klappern der Castagnetten steigerte sich zu immer schnelleren Schlägen, die baskische Trommel klirrte unter den Händen der Spielleute, dann schienen Alle in tiefe Erschöpfung zu verfallen, – das Schauspiel war zu Ende.

Wir stiegen von den Abhängen des Sacro Monte hinab, bald deckten Abendschatten die Eingänge der Höhlen, die phantastisch geformten Cactusstauden entzogen das unterirdische Zigeunerdorf den Blicken, wir kamen in die engen Straßen von Granada zurück, zu unserem Gasthofe. Dort stellen sich täglich nach der Abendtafel auf vorherige Verabredung Zigeunergruppen, Tänzer, Spielleute, Sänger ein, um eine Vorstellung zu geben. Wer aber das Leben dieses halbwilden Völkchens in seiner Eigenart kennen lernen will, der muß es aufsuchen in seinen Höhlen am Abhange des Sacro Monte. Dort haust es seit der Zeit der Maurenherrschaft, dorthin kehrt es immer wieder zurück trotz aller Verfolgungen. Wie der Brombeere und den Disteln ist es ihm am wohlsten in culturlosem, mit Trümmern bedecktem Boden. Und den findet es an dem arabischen Albaycin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 825. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_825.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2022)