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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

und der von Guiteau’s Kugel niedergestreckte James A. Garfield waren Männer, die, wenn sie auch die Corruption innerhalb der Partei nicht ganz zu beseitigen vermochten, so doch mit aller Kraft für die Unterdrückung des Uebels eintraten. Auch der durch Garfield’s frühen Tod in seine Stelle aufrückende nachmalige Präsident Arthur erwies sich als ein unentwegter Feind der Corruption.

Es war nothwendig, so weit auszuholen, um die jetzige gewaltige Erhebung des Volkes verständlich zu machen. Seit jenem Zurückschlagen Grant’s bei seiner dritten Bewerbung um die Präsidentschaft erschien jedesmal in der Nationalconvention der Republikaner eine Anzahl republikanischer Männer, die sich freiwillig als eine Art politische Polizei constituirt hatten. Unter der ausgesprochenen Führung unseres Landsmannes Karl Schurz wachten sie darüber, daß zu dem höchsten Amte nur ein Mann in Vorschlag gebracht werde, dessen Ruf makellos und unantastbar ist. Bei Hayes und Garfield gelang es ihnen; in diesem Jahre aber unterlagen sie mit ihren Reformvorschlägen, und der übermüthig gewordene Theil der Republikaner proclamirte als seinen Candidaten für die Wahl James A. Blaine.

Der republikanische Candidat ist ein Mitglied des Senats; er war unter Garfield zuerst Minister des Auswärtigen. Er ist ein Mann von hinreißender Rednergabe, der seine Hörer berauscht, er übt eine bezaubernde Gewalt auf die Massen aus. Seine Begabung ist eine phänomenale; er hat sich als Schriftsteller bewährt; ehrgeizig und hochstrebender Pläne voll, hat er stets dahin gearbeitet, den Einfluß der Union auf die südliche Hälfte des amerikanischen Continents auszudehnen.

Ein felsenfester Republikaner, ließ er sich nicht um Haaresbreite vom Programm seiner Partei abdrängen. Und doch erhob sich bei den unabhängigen Republikanern und in den Reihen der Deutschen in der Union ein sofortiger tausendstimmiger Protest, denn es war in einigen früheren politischen Processen erwiesen worden, daß James A. Blaine alle diese glänzenden Eigenschaften in den Dienst des Eigennutzes gestellt zu haben schien, daß er zum Mindesten von dem Verdachte, aus amtlichen Handlungen persönlichen Vortheil gezogen zu haben, nicht frei sei.

Unmittelbar unter dem Eindruck dieser Candidatur schwenkten Tausende von Republikanern ab. Aber sie erklärten, zunächst keinen eigenen Candidaten aufstellen zu wollen, sie gaben deutlich zu verstehen, daß sie abwarten wollten, wen denn die Demokraten auf den Schild erheben würden, denn mittlerweile war in den Reihen derselben bereits der Name Grover Cleveland’s aufgetaucht.

Stephen Grover Cleveland.

Und damit sind wir bei dem Gegenstand dieser Skizze angelangt. Grover Cleveland’s Lebensgeschichte ist in wenigen Zeilen erschöpft. Er steht jetzt in seinem fünfzigsten Lebensjahre, wurde von Hause aus – einer nicht unbemittelten Familie entstammend – zum Advocaten bestimmt, schlug diese Laufbahn ein, ließ sich in Buffalo als Advocat nieder und prakticirte dort, ohne viel von sich reden zu machen. Vor sechs Jahren zuerst übertrugen ihm seine politischen Freunde das Amt des Sheriffs der Stadt Buffalo. Der Sheriff ist der Director des Gerichts-Vollziehungsamtes. Der Posten gilt in der Sprache der amerikanischen Politiker als ein „fetter“. Wer da versteht, die Rechte nicht wissen zu lassen, was die Linke thut, kann aus diesem Amte, wenn er es wenige Jahre versehen, als wohlhabender Mann herausgehen. Cleveland’s Amtsführung aber war eine musterhafte. In der Stadt erkannte man bald, daß man in ihm einen ehrenhaften Beamten besitze, und als nach Ablauf seiner Dienstzeit es sich darum handelte, einen Bürgermeister zu wählen, der Ordnung in die verfahrenen Angelegenheiten der Stadt bringen sollte, fiel die Wahl auf ihn, und er wurde mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt. Was der Sheriff versprochen, das hielt der Mayor. Unter seiner Verwaltung verbesserten sich die Finanzen der Stadt. Unnachsichtig verfolgte er jedes Unrecht, auch wenn es von Parteifreunden begangen worden. Die Straßen wurden verbessert, das Schulwesen gehoben, vielfach vorhandene Mängel abgestellt, dabei verminderten sich die Kosten der Verwaltung, kurzum Buffalo zog die Augen des ganzen Staats New-York als eine musterhaft verwaltete Stadt auf sich. Und nach wiederum zwei Jahren, im Jahre 1882, boten ihm die Delegirten der demokratischen Partei das Amt des Gouverneurs des Staats New-York an, zu dem er mit etwa 150,000 Stimmen Mehrheit gewählt wurde.

Wie in der Stadt Buffalo, so unterzog er sich dann auch in dem Staate New-York der Riesenaufgabe, den Augiasstall der Corruption zu säubern. Wo immer er seinen Fuß hinsetzte, fuhr er zwischen den alten Schlendrian wie ein reinigendes Gewitter. Rücksichtslos gegen seine Genossen, wenn sie ihm unwürdig erschienen; selbstlos und von peinlichster Gewissenhaftigkeit, nahm er keinen Anstand, sich auf Seite der politischen Gegner zu stellen, wenn die Sache es erforderte. Ob er sich selbst dadurch die Gunst mächtiger Freunde verscherzte, galt ihm gleich. Und er erlebte es denn auch, daß bei seiner Candidatur für die Präsidentschaft sich zuerst eine heftige Opposition bei einer Fraction seiner ehemaligen Parteigenossen, bei der sogenannten Tammany-Hall-Demokratie des Staats New-York kund gab, auf deren unsaubere Absichten als Gouverneur von New-York einzugehen er sich geweigert hatte.

So erhielt er die Ernennung zum Candidaten der demokratischen. Partei auf einen sehr einfachen Titel hin: Ein ehrlicher Mann! Nicht mehr, nicht weniger! „Er hat keine Erfahrung in großen politischen Dingen,“ so riefen die Gegner. „Thut nichts,“ antworteten die Freunde, „er wird den rechten Weg schon finden, wie er ihn bis jetzt gefunden, denn er ist ein ehrlicher Mann.“ In der That ist seine Carrière eine selbst für amerikanische Verhältnisse verblüffend schnelle. Vor sechs Jahren noch ein ziemlich unbekannter Advocat, in der Zwischenzeit Sheriff, Mayor, Gouverneur und jetzt Präsident! Im Sturmschritt hat er die Leiter zum Höchsten Amte in den Vereinigten Staaten erklommen, und was die Gegner ihm auch vorwarfen, wie sehr man ihn auch bemängelte und seine Befähigung bezweifelte, das Volk jauchzte ihm zu, wo er sich blicken ließ, und jubelte dem Banner zu, das ihm voraus flatterte: Sparsamkeit, Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit!

Dann, wie die Zeit bis zur Wahl vorschritt, mehrten sich die Anklagen gegen den republikanischen Candidaten Blaine in erschreckender Weise. Immer zahlreicher wurden die Beschuldigungen der Mißbräuche seiner amtlichen Thätigkeit, und in demselben Maße, wie er befleckt erschien, wurde der Schild Cleveland’s reiner und glänzender. Ein seltsamer Enthusiasmus kam über das Volk. Das Zauberwort: „Wir haben einen ehrlichen Mann“ lockte die Hunderttausende hervor, die, trauernd über den Verfall der guten Sitten, sich für Jahre abseits von der Politik gehalten. Sie alle kamen wieder hervor und stellten sich in den Dienst Cleveland’s und der von ihm ausgegebenen Parole. In hellen Haufen gingen die unabhängigen Republikaner und die Deutschen zu ihm über. Die hervorragendsten Geistlichen sprachen öffentlich zu seinen Gunsten, selbst die Thatsache, daß in irgend einem Standesregister ein Knabe eingetragen war, dessen Mutter er zu seinem Weibe hätte machen sollen, vermochte ihn nicht zu schädigen. In der Wahlcampagne hat dieses Kind eine große Rolle gespielt. Es wurde Monate lang durch die Spalten der Zeitungen geschleift, die Mutter war, nachdem sie längst sich mit Hülfe Cleveland’s ein bescheidenes Heim gegründet, der Schande preisgegeben; eine Jugendverirrung wurde benutzt, um den widerlichsten Schlamm persönlicher Besudelung aufzurühren. Aber all das hatte keinen Erfolg. Man hatte geglaubt, daß der tausendköpfige Riese Corruption nicht mehr getödtet werden könnte, aber der Erfolg hat gezeigt, daß ein Volk, wenn es nur den ernstlichen Willen hat, im Dienst der Wahrheit zu kämpfen, auch mit den anscheinend unüberwindlichsten Gegnern fertig wird.

Darum hat Grover Cleveland’s Erwählung auch eine weit tiefergehende Bedeutung, als es auf den ersten Anblick scheint. Sie ist ein Sieg nicht des einen Candidaten über den andern, nicht ein Sieg der einen Partei über die andere, sie ist ein Sieg des guten Genius des Landes über die finsteren Gewalten, die sich seiner zu bemächtigen drohten. Das ob seines Materialismus verschrieene Amerika hat bewiesen, daß es sich für eine ideale Aufgabe sehr wohl noch begeistern kann. Grover Cleveland, der Erkorene, hat die Ehre gehabt, der Bannerträger in dieser Bewegung zu sein und ihr seinen Namen zu geben. Er ist unverheirathet, eine Nichte wird die Pflichten der Repräsentation im Weißen Hause übernehmen.

Die Wünsche des deutschen Voltes aber geleiten ihn auf seinem neuen Wege. Nahmen doch unsere Brüder jenseit des Decans seit Jahren in dem Kampfe gegen die Corruption eine so hervorragende Stellung ein, daß die im Trüben fischenden, von Bestechungen lebenden Gegner die ganze Reformbestrebung höhnisch „eine deutsche Idee“ nannten, um sie bei den Yankees verhaßt zu machen. Möge nun diese deutsche Idee, die dem deutsch-amerikanischen Namen nur zur Ehre gereicht, unter der Regierung Cleveland’s den endlichen Sieg davontragen! Möge dem „ehrlichen Manne“ seine große Aufgabe, strenge Zucht auch in der Verwaltung der ganzen Union einzuführen, so gut gelingen, wie in seinem Heimathstaate und in seiner Heimathstadt!

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