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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Ertragen kann ich’s nicht so, ich muß einen Versuch zu meiner Rettung wagen und mit meinem Vater sprechen. Gefaßt bin ich auf seinen fürchterlichsten Zorn, ja, wenn er will, kann er mich tödten.


Ich ging zu ihm in sein selten betretenes Zimmer.

Er kam mir liebreich entgegen. „Mein Kind ist bleich,“ sagte er und faßte mich am Kinn. „Frisch auf und munter, kleine Grafenbraut! Die ganze Stadt wird Dich beileiden, bist auch neidenswerth! Ist ein Staatsjunge, Dein Erich, mir fast lieber als mein eigner Sohn. Aller Verdruß und Grimm, den ich im Leben zu schlucken gekriegt, wird jetzt wett gemacht!“

„Vater - Vater!“ stammelte ich.

„Was soll das Gejammer?“

„O, ich bitte Dich aus Herzensgrund!“

„Na - bring mir keinen Unsinn vor!“

„Vater, höre, rette mich! Ich liebe Erich nicht, ja ich schaudere vor einer Ehe mit ihm, ich könnte ebenso gut Bruder Max heirathen!“

„Flausen, Hirngespinste! Warst immer ein absonderliches Ding! Jetzt aber, Fräulein Narrethei, ist’s Zeit, die Schrullen und Romangeschichten abzuthun, sonst geht daran dreier Menschen Lebensglück zu Grunde.“

Er sprach sehr ernst, aber nicht so zornig wie sonst. Ich sagte ihm noch einmal recht eindringlich, daß ich in Verzweiflung über meinen Brautstand sei; ich bat ihn, mich nicht zu vermählen, mich bei sich zu behalten.

Erst fuhr er mich an: ob ich einen Andern liebe?

Ich erbebte und sprach in einem von der Herzensangst eingegebenen Wortstrom dagegen. Er warf sich dann plötzlich - wie ein Baum, der gefällt wird - auf einen Stuhl am Tisch, nahm den Kopf in die Hände und stöhnte laut. „Es ist zu viel,“ murmelte er, „zwingen - zwingen kann ich sie nicht! Geh, schick Erich fort, aber dann ist von Freude in meinem Leben nicht mehr die Rede.“

Das ergriff mich furchtbar; ich sah sein Leben von Enttäuschungen und Kummer klar vor mir; es war mir jetzt gleichviel, was aus mir werde, wenn nur aus seinen öden Pfad noch ein Sonnenstrahl fiel! Ich warf mich vor ihm auf die Kniee, umfaßte ihn und bat, er möge getrost sein, ich wolle seinen Willen thun.

So nehme ich also mein Leid und eine traurige Lebenslüge auf mich!


Er ist jetzt mit Max in seine Garnison zurückgekehrt und unsere Hochzeit ist auf den Herbst angesetzt, so habe ich also noch länger als ein halbes Jahr Frist. Was kann sich in der Zeit alles zutragen! Diese Spanne Zeit will ich leben, frei sein, ihn sehen! Vielleicht findet sich doch noch ein Entrinnen!

Im Februar 1779. Die ganze Stadt ist in Aufregung, ein glückliches Ereigniß bewegt alle Gemüther, die Frau Herzogin Luise hat eine Prinzessin geboren. Sie soll sehr schwach sein und der Herzog sehr ärgerlich, da er ganz fest auf einen Erbprinzen gerechnet hatte.

Gesellige Lustbarkeiten gab es in letzter Zeit weniger, ich als Braut hätte mich auch ausschließe dürfen. Aber wie dann ihn sehen, ihn, der trotz allem meiner Seele Entzücken ist und bleibt? So habe ich mitgemacht, was sich mir bot.

O, dieser Herrliche, wie hoch steht er über allen anderen Männern! Wie viele bewundernde Augen blicke zu ihm empor; wie unbeirrt, wie herrschend schreitet er durch die Menge! Nur wenn ich ihn nie gesehen hätte, könnte ich Erich lieben.


Er arbeitet jetzt mit Bertuch, den herzoglichen Hofgärtnern und vielen Gehülfen, um einen Park am Ufer der Ilm anzulegen. Dahin richten sich nun die Schritte aller Spaziergänger. Jeder will das rüstige Schaffen und Werden beobachte; Viele aber wollen auch, wie ich - ihn sehen, das fühle, das weiß ich! Und köstlich ist’s, wie er leuchtenden Blicks in freier blauer Frühlingsluft dasteht, anordnet, den Eindruck beschreibt, den das Fertige machen wird, selbst zum Grabscheit greift, Gesträuche beschneidet und ganz Leben und Feuer ist für die Sache, der er sich hingiebt. Er adelt alles, was er angreift; mir erscheint jetzt Wege ziehen und Bäume pflanzen wie eine neue Art Poesie.


Ich lebe im dämmernden Schwindel so hin, bin jeden Abend in Verzweiflung über den vergangenen Tag, der mich dem Herbste näher führt. Vater spricht oft von unserer Hochzeit; Tante Barbara schafft viel Leinenzeug herbei, Erich schreibt von Liebe und Sehnsucht, und ich - o, was soll ich bei alledem, das mich fremd ansieht, fremd, verwirrend und trostlos!

Juni. Karoline von Ilten ist mir in letzter Zeit Freundin geworden, sie leidet ja ihren Liebesschmerz wie ich. Prinz Constantin ist jetzt, um von der Geliebten entfernt zu werden, auf Reisen geschickt, die, wie man meint, Jahre dauern können. Das arme Linchen ist untröstlich, und doch wie glücklich kann sie sein, da nur die Ungunst der Verhältnisse sie trennte. Sie sagte mir, daß Goethe voll Theilnahme für sie sei und sie oft herzlich tröste, obgleich er auch von ihrer Heirath mit dem Prinzen abgerathen habe. So weiß sie es selbst nicht, soll sie ihm gut oder böse sein; seine Gewalt über alle Gemüther, seine Herrlichkeit erkennt sie an, und wir sprechen oft über ihn.

Juli. Es wird eine neue Aufführung geplant, ein Stück ist es, das er vor zwei Jahren gedichtet hat. Viele Personen kommen darin vor, und ich bin auch zur Mitwirkung aufgefordert.

Ich sagte zu; nur dies noch! Ihn täglich in den Proben sehen, ihn declamiren, anordnen hören, nein, ich kann nicht darauf verzichten! Vater runzelte die Stirn und sagte: „Wenn Erich nur zufrieden ist, daß Du die Narrenspossen mitmachst?“

Ich nahm die Verantwortung auf mich. Unsere Hochzeit ist aus den 25. August festgesetzt, am 23. kommt Erich. Am 22. soll zur Rückkehr der Herzoge Amalie, die verreist ist, jenes seltsame Stück: „Der Triumph der Empfindsamkeit“, aufgeführt werden. Das ist also mein Letztes!

Nur genießen bis so lange; nur ihn sehen! Nie werde ich es mehr, wenn ich mit Erich in seine Garnison gehe. Hinter dem 25. liegt das ganze Dasein schwarz und öde. Es sind noch zweiunddreißig Tage bis dahin!


Die Proben nehmen ihren Fortgang, jetzt nur noch zwanzig Tage! Oft suche ich mir eine versteckte Ecke, sehe ihn an und präge sein Bild fest in meine Seele.

Großer Gott, nur noch neun Tage, und dann - Tante Barbara tadelt mich, daß ich mich nicht um meine Ausstattung kümmere. Heute sagte sie:

„Christel, wie bist Du jetzt so vergnügungssüchtig!“

Diesen Nachmittag ist Probe bei der Stein; um Alles möchte ich nicht fehlen!


Was habe ich gesehen, erlebt! - O Elend, grausames Elend!

Das Stück war durchprobirt, in den Zimmern ward es warm, man öffnete die Thüren zu der Terrasse; die Gesellschaft zerstreute sich, spazierte draußen auf den neuen Parkwegen, vertheilte sich in den Zimmern.

Ich saß allein im Eckcabinet, wo es dämmerig war, und konnte vom offenen Fenster aus ihn mit Frau von Stein auf der Terrasse hin und her gehe sehen; dann und wann drang ein Wort von ihm zu mir; es war so schön!

Endlich setzten sie sich unter meinem Fenster nieder. Anfänglich wollte ich aufstehen, aber seine Nähe berauschte und bannte mich, daß ich in meine alte Starrheit verfiel und mich nicht rühre konnte. Sein Kopf mit den dunklen Locken ragte etwas über die Bank des offenen Fensters hervor, an dem ich saß; ich hätte sein Haar küssen können, ohne daß er’s merkte; aber ich vermochte kein Glied zu bewegen. Mir war so verschleiert zu Muth von seliger Empfindung, daß selbst seine Rede mich nicht weckte, sie rauschte wie ein süß murmelnder Bach an meinem Ohre dahin.

Dann antwortete Frau von Stein, dabei erholte ich mich, sodaß ich verstand, was er nun sagte, obwohl seine Stimme gedämpft war und einen wunderbar zärtlichen Klang hatte.

„Ich werde müde an den Menschen und habe keine Sprache mehr für sie, wenn ich nicht eine Weile mit Dir bin, lieb Gold; entziehe Dich mir nicht, sonst schließt sich meine Natur wie eine Blume, wenn die Sonne sich wegwendet.“

„Ich darf meine Pflichten als Wirthin nicht vernachlässigen.“

„Hast Du nicht auch Pflichten der Liebe? Du weißt, daß Niemand da ist, der Dich heißer liebt als ich, daß Keiner Dich mehr bedarf.“

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