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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Die Theilung der Erde.

Zeitgemäße Betrachtungen und Erinnerungen.

Wie in dem großen Zeitalter der Entdeckungen, so rüsten sich in unseren Tagen die Völker Europas zu großen Eroberungszügen, um gewaltige Länderstrecken der Cultur zu erschließen und der kaukasischen Rasse endgültig zu unterwerfen. Die drei mächtigsten Culturnationen der Gegenwart sind heute in der That in Colonialunternehmungen verwickelt. England sucht mit aller Kraft seinen alten unermeßlichen Besitz jenseit der Oceane zu festigen, und seine Kriegsschiffe beeilen sich, an den verschiedensten, noch „freien“ Punkten der Welt die Flagge Albions aufzuhissen und das Protectorat der Königin von England und Kaiserin von Indien zu verkünden. Auch das in Colonialunternehmungen sonst so unglückliche Frankreich führt in Asien einen kostspieligen Krieg mit den Trägern des Drachenbanners und opfert Millionen, um am Senegal, Niger, Ogowe und Congo seinen Einfluß zu stärken. Selbst Deutschland, welches bis dahin bei der „Theilung der Erde“ die Rolle des träumenden „Poeten“ in der bekannten Schiller’schen Dichtung gespielt hatte, will diesmal nicht leer ausgehen und verlangt seinen berechtigten Antheil an dem „dunklen Welttheil“, dem neuesten Zankapfel der seefahrenden Völker.

Und wie einst zwischen den Portugiesen und Spaniern, so entbrennt heute zwischen den Regierungen Europas der Streit um jene „herrenlosen Länder“, und aus dem Actenstaub werden vergilbte Pergamente hervorgeholt, mit welchen der Eine dem Anderen seinen neuen Besitz streitig machen möchte. Man prüft diese Urkunden und zuckt mitleidig die Achseln über jene verjährten Rechte. Nach ihnen wäre freilich die Welt längst vergeben, während thatsächlich noch weite Länderstrecken brach liegen, unberührt von dem Pfluge der Cultur. Dieser Unklarheit sollte rasch ein Ende bereitet werden, und in diesem Sinne lud Deutschland die betheiligten Mächte zu einer Conferenz ein, um über das Recht der Besitzergreifung überseeischer Länder eine Verständigung zu erzielen und die gegenseitigen Besitzverhältnisse Afrikas in einer Weise zu regeln, die den Interessen des gesammten europäischen Handels Rechnung tragen würde. Daß Deutschland damit die Lösung einer der wichtigsten Fragen des Völkerrechts angebahnt hat, unterliegt keinem Zweifel, und wir brauchen nur an einige, vielleicht vergessene Vorkommnisse und Zustände früherer Zeit zu erinnern, um die Tragweite der gegenwärtigen Bestrebungen richtig beurtheilen zu können.

* * *

Als bald nach der Entdeckung Amerikas die beiden kühnsten und glücklichsten Entdeckervölker, die Spanier und Portugiesen, in eifersüchtigem Streite an einander geriethen, zog Papst Alexander VI. 1493 die berüchtigte Demarcationslinie von Norden nach Süden, welche 100 Stunden westlich von den Azoren alle westlichen Entdeckungen den Spaniern, alle östlichen den Portugiesen zusprach. Die blinden Heiden dieser Gegenden, an deren Dasein zu glauben noch vor Kurzem als Ketzerei durch päpstlichen Bann verpönt war, sollten nunmehr vereint werden unter die Obhut der Kirche. – Portugal segelte nach Osten, Spanien nach Westen. Aber trotz der entgegengesetzten Richtung begegneten sich beide, und es lag in diesem Ereignisse eine große, lehrreiche Ironie der Geschichte über die Anmaßung, die Welt zu vertheilen. Die päpstliche Linie ist zwar bald der Nichtbeachtung verfallen, aber die päpstliche Machtvollkommenheit, die Völker und Länder zu verschenken, blieb einige Zeit anerkannt, während die Völker der neuen Welt als durchaus rechtlos galten.

Die Herrschaft der Christen über die nichtchristlichen, namentlich außereuropäischen Länder, über Völker, welche man als „Wilde“ bezeichnete, obwohl sie wie die Eingeborenen von Mexico und Peru gebildeter und gesitteter waren, als die spanischen Eroberer, wurde als grundsätzlich feststehend betrachtet, und der Papst benahm sich dauernd als die oberste Macht, der es zustehe, die Erde nach Belieben zu vertheilen.

Eine lehrreiche Urkunde solcher Rechtsanschauung hat der spanische Geschichtschreiber Herrera in der Proclamation aufbewahrt, mit welcher Hojeda 1510 in Südamerika Länder in Besitz nahm, und die, da sie nicht ohne Beihülfe von spanischen Theologen und Hofpredigern abgefaßt war, den Indianern auch einige kräftige Heilslehren beibringen sollte. Diese Proclamation lautet in gedrängtem Auszuge:

„Ich, Alonso de Hojeda, Feldherr des Allermächtigsten Königs von Castilien und Leon, thue Euch hiermit kund und zu wissen: Gott, unser Herr, schuf Himmel und Erde, einen Mann und ein Weib, von denen wir, und auch Ihr und alle Menschen abstammen. Ueber alle diese Menschen und die ganze Welt hat Gott die Oberherrschaft dem Sanct Peter oder Papst gegeben. Einer dieser Päpste schenkte als Herr der Welt alle Festländer und Inseln dem Könige von Castilien und Leon, was Ihr, wenn Ihr wollt, in Schriften nachsehen könnt. (!–) Da nun unser Großmächtigster König Herr von allen Ländern ist, so haben sie ihm gehuldigt und gehorchen den frommen Männern, welche sie in unserem heiligen Glauben unterrichten. Und auch Ihr seid verpflichtet, das Alles zu thun. Daher befehle ich Euch, die christliche Kirche als Eure Herrin, und den Papst und den König als Herren aller Inseln und Festländer zu verehren, – und den frommen Vätern zu gehorchen, die Euch dies Alles noch erklären und darüber predigen werden.

Wenn Ihr aber das nicht thut, so werde ich Euch mit Gottes Hülfe bekriegen, Euch mit Gewalt unter das Joch bringen, Euch, Eure Weiber und Kinder als Sclaven verkaufen, Euch überhaupt alles Uebel anthun.“

Diese freundliche Proclamation hat überall als Muster gedient, und waren keine Eingeborenen da, so genügte es, dieselbe nur abzulesen, wenn auch kein anderes Publicum zugegen war, als Affen und Papageien.

Mit solcher Begründung hatten die orthodoxesten Völker, Spanier und Portugiesen, die grausamsten Vernichtungskriege gegen die Eingeborenen der neuen Welt geführt. Erst mit dem 16. Jahrhundert begann der Sieg der weltlichen Macht über das internationale Richteramt des Papstes, das bald alle Wirkung und Bedeutung verlor. England, Holland, selbst das „allerchristlichste“ Frankreich mißachteten die Demarcationslinie und sandten ihre Schiffe aus, auf den vom Papst vergebenen Gebieten Entdeckungen und Eroberungen zu machen. Die päpstliche Schenkung galt höchstens als Bestätigung des Prioritätsrechts der Entdeckung; – größer aber als dieses Recht war das der Occupation, der Besitznahme durch Eroberung oder Vertrag, und noch höher als dieses galt endlich das Recht durch erste Cultivirung, gleichsam die ausschließliche „Specificirung“ zum Eigenthum.

Dieses letzterwähnte Recht hatte England schon 1790 gegen Spanien in einem Streite über den Nutkasund geltend gemacht. Spanien hatte nämlich den Besitz desselben aus der Zeit Jacob’s I. von England für sich in Anspruch genommen, ohne irgend welche Besitzhandlung nachweisen zu können, – dagegen machte indeß England geltend, daß der bloße Besitz nicht genüge und daß man nur durch „Specification“, das heißt durch Niederlassung und Cultivirung, Eigenthumsrechte erwerben könne.

Diesem Streitfalle entspricht der gegenwärtige Streit zwischen der Regierung der Capcolonie und dem Bremer Handelsherrn Lüderitz über die Bucht von Angra Pequena und das Namaqualand. Die Capregierung will diese Gebiete bereits früher annectirt haben, aber sie hatte in keinem Fall dafür gesorgt, daß die hier angesiedelten Europäer auch Schutz gegen Belästigungen durch die Eingeborenen fanden. Die capländischen Beamten sind bei den ersten Anzeichen von Unruhen eiligst davongelaufen, und die Regierung selbst hat neuerdings erklärt, daß sie „zur Zeit“ nicht im Stande sei, in dem ganzen Gebiete Hoheitsrechte auszuüben. Dieser Zustand muß natürlich zur Feststellung von Bestimmungen führen, welche Vorbedingungen seitens eines Staates zu erfüllen sind, um die Erwerbungen einer Colonie rechtskräftig zu machen.

Bis jetzt hat sich eine bestimmte Praxis noch nicht herausgebildet, und man kann nur soviel als allgemein gültigen Grundsatz annehmen, daß der bloße Beschluß irgend einer Regierung, ein fremdes Gebiet zu annectiren, nicht ohne Weiteres eine solche Annexion für das europäische Staats- und Völkerrecht zu einer rechtsgültig vollzogenen Thatsache macht. Andererseits ist aber auch noch nicht entschieden, welches Maß von Freiheit der Verfügung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_771.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)