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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

eine mit Orangerie besetzte Terrasse führten, von der aus man in den Park gelangte.

Man trank den Kaffee im Freien und zerstreute sich plaudernd in Gruppen, hier und da hinschlendernd.

Die Herzogin Luise ging mit Herder auf einer der Terrassen entlang. Sie sagte in ihrer ruhigen Weise:

„Ich befand mich diesen Morgen so unwohl, daß ich nicht zur Kirche kommen konnte; wußte ich doch auch, daß es meine Pflicht sei, heute hier zu erscheinen. Bitte, verehrter Herr, theilen Sie mir in Kürze einen Auszug Ihrer Predigt mit; die Hoffnung, hier etwas davon aus Ihrem Munde zu vernehmen, war mein Trost.“

„Ich habe über das Evangelium der Eintracht gepredigt,“ erwiderte der geistliche Herr und begann dem Wunsche der Fürstin zu willfahren.

Er blieb erhoben von seinem Thema, das er in schöner Begeisterung ausführte, vor ihr stehen; seine freie Stirn schien zu glänzen, sein helles Auge die Natur in ihren verborgensten Geheimnissen ausspähen zu wollen.

Die andächtige Hörerin sah gefesselt zu dem Manne auf, von welchem sie schon oft Trost und Ermuthigung für ihr betrübtes Herz empfangen. Sie dankte ihm bewegt, als er ausgeredet hatte, und sagte:

„Wenn ich Ihr klares Urtheil, Ihre erhabene Auffassung, die immer nur aus einem, aus dem höchsten Gesichtspunkte sieht, mir recht zu eigen machen könnte, würde sowohl manche beglückte Stunde, wie auch manche Stunde des Leids eine höhere Weihe empfangen. Ja, oft war ich letzthin bis zur Kleinmütigkeit gesunken, alles düster und dumpf um mich her, alle Hoffnung erloschen!“

Als Luise nach diesen Worten, die sie, Herder vereherungsvoll anblickend, gesprochen hatte, wieder vor sich hinsah, bemerkte sie den Herzog, wie er mit Knebel in dem Gange, in welchem man nicht ausweichen konnte, auf sie zukam.

Sie war durch ihre Schwiegermutter mit der Wahrscheinlichkeit eines Annäherungsversuchs von Seiten des Herzogs bekannt gemacht und hatte den Morgen in einer peinlichen Erregung zugebracht. Die ganze Zusammenstellung der heutigen Gesellschaft bewies ihr eine seltene Rücksichtnahme auf sie selber.

Jetzt, als Karl August auf sie zutrat, wußte sie, daß es zu einer Erörterung kommen werde. In Folge der eben gepflogenen Unterredung mit dem geistlichen Herrn vermochte sie es jedoch leichter als sonst, Bitterkeit und Empfindlichkeit zurückzudrängen; aber ein Gefühl der Scheu, stärker als da sie dem Herzoge vermählt wurde, hielt ihr ganzes Sein in Banden.

Erbleichend schlug sie vor seinem Blick die Augen nieder, und ein Beben, dessen sie nicht Herr war, lief durch ihre Glieder.

Knebel blieb mit seinem Freunde Herder zurück und bog mit demselben in den nächsten abzweigenden Weg ein, während der Herzog seiner Gemahlin den Arm bot und sie mit einigen raschen Schritten dem Gehörkreise der Männer entführte.

Trotz allen guten Willens wurde es jetzt Karl August doch schwer, irgend ein Wort an die Frau zu richten, die mit so sichtlicher Pein an seiner Seite aushielt. Ihre Blässe, ihr Zittern entgingen ihm nicht und zeigten nur zu deutlich, daß ihr Herz ihm keine Liebessehnsucht entgegen brachte. Ihr Gemeinplätze über Wetter und Frühling zu sagen, schien ihm, bei seinem natürlichen offnen Charakter, lächerlich, und deshalb währte es mehrere Secunden, bis er sich so weit sammelte, daß er sie mit einiger Unbefangenheit anreden konnte.

„Mir däucht, Luise,“ sagte er ernst, „wir haben uns in unserm Verhalten gegen einander schon zu lange von dem Wege der Pflicht entfernt. Wie denken Eure Liebden über einen Ausgleich, eine Versöhnung?“

„Ich hoffe, daß ich nie meine Pflicht außer Augen gelassen habe! Eine Annäherung konnte unter keinen Umständen von mir ausgehen.“

„Natürlich, correct wie immer!“ rief er spöttisch und bitter. „Gut, komme Alles auf mein Haupt, sei ich der Sünder, der Gescholtene, gleichviel! Kurz und bündig, Luise: betrachtest Du Dich noch als mein Weib oder nicht?“

„Ich habe nie gewagt, daran zu zweifeln daß ich es bin,“ flüsterte die Herzogin tief gesenkten Hauptes, mit einem holden Erröthen auf den zarten Wangen, das den Herzog mit einem bisher ungekannten Reiz erfüllte. Dichter zog er ihren Arm unter den seinen, und lange wandelte das hohe Paar einsam in den verschwiegenen Gängen des köstlichen Parkes.

(Fortsetzung folgt.)




Die Welfen in Braunschweig.

Das Haus der Welfen ist eines der ältesten und war in einer gewissen Periode der deutschen Geschichte weitaus das mächtigste unter allen deutschen Fürstenhäusern. Schon unter Karl dem Großen will man die ersten Spuren dieses Geschlechts finden. Der Stammvater des Hauses soll seine Tochter Jutta mit des großen Kaisers Sohne, Ludwig dem Frommen, vermählt haben. Seine Nachkommen zeigten und bethätigten ihre Macht und ihren Ehrgeiz, wie damals leider so viele der großen Vasallen, häufiger in Kämpfen mit den deutschen Kaisern, als im Anschluß an diese.

Als unter Kaiser Heinrich III. das Haus der Welfen im Aussterben begriffen war, wurde es erneuert und zugleich verstärkt durch Verschwägerung mit dem mächtigen Hause der Este in Oberitalien, das ebenso hervorragende Helden und Führer für die Kreuzzüge, wie feinsinnige Fürsten lieferte, unter deren Schutz am Hofe zu Ferrara die Künste blühten und ein Tasso sein unsterbliches Lied vom befreiten Jerusalem sang, in welchem er jene Vereinigung der deutschen und der italienischen Welfen oder Guelfen, zugleich die spätere Größe des Hauses verherrlichte.

Allmählich erstieg das Haus Welf Este eine Staffel dieser Größe nach der andern. Schon durch Kaiser Heinrich IV. mit dem Herzogthum Bayern belehnt, dehnte es durch zweimalige glückliche Heirath mit Erbtöchtern sächsischer Großen sich auch nach dem Norden Deutschlands aus, und Heinrich dem Stolzen verlieh der kaiserliche Schwiegervater Lothar bei seiner Besteigung des Kaiserthrons das bisher von ihm selbst regierte Herzogthum Sachsen. Niemals war bisher ein so großer und so wohl abgerundeter Länderbesitz vereint in der Hand eines einzigen deutschen Fürsten. Derselbe erstreckte sich von der Nord- und Ostsee bis an’s Adriatische Meer, von der Elbe bis zum Rhein.

Des Stolzen Sohn, Heinrich der Löwe, brachte zu diesem gewaltigen Erbe an Land und an Macht einen ebenso gewaltigen Geist mit, durch den er dasselbe vergrößerte, namentlich aber auch ausgiebig machte nicht blos für die Interessen seines Hauses, sondern ebenso für die Interessen des Reichs. Mit seiner alleinigen Kraft, ohne Hülfe vom Reiche, wehrte er Dänen und Slaven von den Nordgrenzen Deutschlands ab, ja gewann er von letzteren bedeutende Landstriche und ward so auf eigene Hand ein „Mehrer des Reichs“. Ein kräftiger Beschützer und Förderer von Handel und Gewerbe, ebenso wie von Wissenschaft und Kunst, schuf er zwei wichtige Verkehrscentren, Lübeck im Norden, München im Süden. Der römischen Kirche gegenüber hielt er streng auf sein Recht als Landesherr; ja er brachte es dahin, daß die Bischöfe in seinen Herzogthümern von ihm die Belehnung mit Ring und Stab empfangen mußten, während selbst der mächtige Hohenstaufenkaiser Friedrich I. den Machtvergrößerungsgelüsten des Papstthums nur einen unzureichenden Widerstand entgegensetzte.

Einseitige Bewunderer der Hohenstaufen und ihrer italienischen Politik haben Heinrich den Löwen wie einen Verräther an Kaiser und Reich behandelt, weil er, nachdem er viermal dem Kaiser Barbarossa Heeresfolge zu seinen Feldzügen nach Italien geleistet (Feldzügen, die weit mehr das Hausinteresse der Hohenstaufen, als das Interesse des Reichs berührten), beim fünften endlich seine weiteren Dienste versagte. Aber eine Pflicht gegen Kaiser und Reich verletzte er dadurch nicht, denn die großen Vasallen waren durch ihren Lehnseid nur zu Einer „Römerfahrt“ verpflichtet (um dem deutschen Könige die römische Kaiserkrone zu holen), nicht zu beliebigen Kriegszügen nach Wunsch und Vortheil des einzelnen Kaisers. Und Heinrich der Löwe hatte die richtige Einsicht, daß diese Kämpfe mit den italienischen Städten und mit dem Papste selbst um die Herrschaft in einem nichtdeutschen Lande, Italien, dem Reiche viel weniger Nutzen brächten, als eine Behauptung und Erweiterung der Grenzen des Reichs nach dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_760.jpg&oldid=- (Version vom 20.10.2022)