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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Der Schein des flackernden Lichtes, das der Luftzug leise bewegte, huschte über die Büsten und Statuen hin. Er vermochte kein Leben in ihnen zu wecken. Wie graue Gespenster standen sie da und starrten mit todten Augen in’s Leere.

Tiefe Stille herrschte in den feierlichen Räumen; nur ganz leise tönte zuweilen ein Ticken und meldete, daß der Holzwurm an seinem unheimlichen Werk war.

Ihr zukünftiges Leben stieg vor ihr auf.

Einmal im Jahre würde sie frische grüne Gräser sehen. Ein paar Monate lang im Lenz, bevor die Sonnenstrahlen allzu sengend wurden, war es dem Gärtner im Schloßgarten von Athen möglich, einen Rasenplatz herzustellen durch Samen, den er aus Erfurt kommen ließ. Dann würde sie hingehen, ihn anschauen und denken: „Der schöne grüne Rasen und die vielen Blümchen darin, ‚der Teufet mag wissen wie sie alle heißen‘!“ Und wenn sie ausfuhr und der Kutscher an den Schänken seinen Mastixschnaps trank, dann erschaute sie das bunte Bild der Schlacht von Marathon, mit dem jedes Schild bemalt war, und sie würde Ihn sprechen hören: „Sie wissen den Tag der Schlacht von Marathon und nicht den von Vionville?“

Ihr graute vor sich selbst, vor ihrer Verblendung und vor ihrem Loos, das unabwendbar an ihre Versündigung geknüpft war.

Und die Nacht wollte kein Ende nehmen.

Sie wandte sich wieder einer Beschäftigung zu und begann die werthvollsten Stücke ihrer Sammlung einzupacken. Die Muschelkette, die sie einst so wichtig dünkte, kam ihr unter die zitternden Finger. Sie schleuderte sie von sich wie eine Schlange.

Da funkelte es sie wie ein glänzendes Aeuglein an. Es war das Spornrädchen, das sich vor dem Auskehren in eine gut gedeckte Stellung unter Papiere zurückgezogen hatte und sie so keck anblitzte, als wolle es sagen: „Nun wirf mich auch hinaus, wenn Du das Herz dazu hast.“

Da war es vorbei mit Ereme’s Fassung. In beide Hände faßte sie den Sporn von Vionville und, auf den Sessel niedersinkend, drückte sie ihn an die Augen, überfluthete ihn mit ihren Thränen, daß sein heller Glanz erblich.

Und die Eule auf dem Sessel schaute bedenklich an ihrem krummen Schnabel herab auf das Gebahren des letzten Kindes der alten gelehrten Familie.

Draußen dämmerte der Morgen. Ein kühler Luftzug ging durch das Gemach. Die griechischen Lämpchen flackerten noch einmal auf, gespenstisch den Raum erhellend. Dann erloschen sie.

Allmählich wurde es lebendig im Hause. Verdrossen schlurrte Dorchen auf den Steinfliesen, das Feuer begann in der Küche zu knattern. Ereme richtete sich auf. Still öffnete sie ihren Schmuckkasten. In das Sammetetui, das ihr kostbares Perlenhalsband, das letzte Geschenk ihres Vaters, barg, legte sie das Rädchen. Dort sollte es für immer seinen Platz haben.

Die Tante, die mit einem Gesicht umherging, in welchem Jammer und Empfindlichkeit um die Herrschaft stritten, wollte sie zum Frühstücke abholen. Ereme wehrte ab. Eine Tasse starker Kaffee war das Einzige, was sie zu genießen vermochte, während sie durch den alten Diener, der seit gestern eine Leichenbittermiene angenommen hatte, die großen Koffer vom Boden holen ließ. Sie trugen noch die griechischen Buchstaben und Stempel.

Da flog plötzlich die Hausthür stürmisch auf, Sporen klirrten, eine Stimme erschallte.

Ereme kannte diesen Commandoton.

Zitternd, fassungslos, verwirrt sank sie in einen Sessel.

Eine Ewigkeit schien es zu dauern, bis der alte Diener anlangte und meldete: „Herr Rittmeister von Bartenstein.“

„Ich bedaure, ich bin mit Reisevorbereitungen beschäftigt,“ hauchte Ereme.

Wieder verging eine Ewigkeit. Jetzt mußte die Hausthür sich hinter ihm schließen.

Statt dessen kam Dorchen geflogen. „Der Herr Rittmeister lassen das gnädige Fräulein bitten, die Reisevorbereitungen aufzuschieben,“ berichtete sie athemlos mit einem Hoffnungsstrahl in ihrem verweinten Gesicht.

„Sage, ich sei noch bei der Toilette,“ befahl Ereme mit bebenden Lippen.

Dorchen verschwand enttäuscht, erschien aber sogleich wieder und verkündete triumphirend: „Der Herr Rittmeister werden warten, bis das gnädige Fräulein die Toilette beendet haben.“

Ereme rang die Hände. „Einen zweiten Abschied ertrage ich nicht. Ach Tante, hilf mir doch!“ flehte sie diese an.

Die Tante rückte ihre Haube zurecht und ging würdevoll die Treppe hinab.

Ereme wartete mit klopfendem Herzen.

Endlich erschien die Tante wieder, höchst verlegen.

„Ich versuchte ihm klar zu machen,“ sagie sie, „daß es zu früh sei; aber er rief mir gleich entgegen: ‚Morgenstunde hat Gold im Munde, gnädige Frau.‘ Dagegen läßt sich nichts einwenden. Ich sagte ihm, Du wolltest verreisen. ,O, ich habe alle Ausgänge im Auge,‘ antwortete er, ,und durch die Luft fliegen kann sie nicht; denn wenn das erfunden wäre, hätten wir es schon in der Armee.‘ Da sagte ich endlich, Du wolltest ihn nicht sprechen. Er erwiderte getrost: ‚Ich werde warten, bis sie mich sprechen will.‘ Was soll man nur thun? Höre nur, wie er auf- und abrennt.“

Sie hörte es wohl. Jeder Schritt dröhnte, ihre Gedanken verwirrend, bis in ihre schmerzenden Schläfen.

„Nimm ihn an,“ redete die Tante zu. „Denke: der Klügste giebt nach.“

„Nun, es muß sein; er mag kommen.“

Die Frau Doctor raschelte schleunigst hinaus, ehe Ereme einen andern Entschluß fassen konnte.

Einen Augenblick später erschien Witold in der Thür. Sie standen sich gegenüber, wortlos, athemlos, Auge in Auge.

Dann sagte er fast mitleidig: „Wie konnten Sie nur denken, daß ich mich abweisen ließe? Sie kennen mich doch noch immer recht schlecht.“

„Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen,“ sprach Ereme tonlos, „und keinen Wunsch weiter, als nur: fort – fort.“

Ein leises Zucken lief über sein Gesicht; seine Augen flogen über die geöffneten Reisekasten die auf der Tafel zum Einpacken bereit gelegten Gegenstände. „Wahrhaftig! es ist schon das Unterste zu oberst gekehrt,“ murmelte er ganz verstört. Da fiel sein Blick aus das Spornrad in dem Sammetetui, und ein helles Leuchten strahlte in seinen Augen auf. „Meinen Sie wirklich, dem Ulanen entfliehen zu können?“ fragte er, und sein Blick heftete sich an ihr blasses Antlitz, als wolle er ihrer Seele bis auf den Grund sehen. „Und Sie wissen doch, daß er Ihnen unentwegt überall hin folgt. Auch nach Athen. In Gedanken für’s Erste, wenn er keinen Urlaub bekommt, was in jetziger Zeit immer fraglich ist. Sie werden ihn niemals los,“ versicherte er mit fester Betonung und richtete sich zu seiner schlanken Höhe auf. „Wie sich mein unverschämter Sporn dort bei den echten Perlen einquartiert hat, so wird das Bild des deutschen Reiters, der unter den strammen Eichen Ihnen entgegentrat, in Ihren Gedanken sich verschanzen, Sie mögen noch so viele Marmorbilder unter den Oelbäumen hervorgraben lassen.“

Er hatte immer herrischer gesprochen, je mehr das Herzklopfen in seine Stimme hinein bebte. Dann sah er, selbst erschrocken über seine Herausforderung, auf die sonst so streitbare Ereme.

Aber diese kämpfte heute nicht. Sie nickte bestätigend und sagte mit dunkler weicher Stimme:

„Sie haben Recht. Ich werde Ihrer immer gedenken. Denn wir sind aus gleichem Stoff geschaffen, und wo solche Menschen sich begegnen, da stürzen wie morsche Trümmer die Schranken zusammen, die Verhältnisse und Erziehung zwischen ihnen aufgerichtet haben, und das feindliche Wort, das der Lippe entflieht, verweht wie Spreu vor der mächtigen Sprache, welche die Seelen mit einander reden. Vielleicht wird auch in Ihrer Erinnerung zuweilen die Einsame auftauchen. Aber Ihre schöne Aufgabe, für Großes zu leben und zu wirken, unsterbliche Thaten zu vollbringen, wird Sie über diese Episode in Ihrem Herzensleben hinausheben.“ Leiser fuhr sie fort, und ihre Lippen zuckten, als sträubten sie sich gegen die Worte: „Ein echtes deutsches Weib mit warmem Herzen und demüthigem Sinne werden Sie finden und an ihrer Seite mich vergessen.“

„Fällt mir nicht ein,“ rief er ganz wild und stieß den Säbel auf, daß es klirrte. „Ich möchte auch wissen, warum. Ich habe freilich neulich in der Hitze des Gefechtes lose Reden über Ihre Vorfahren geführt. Das war sehr unrecht; denn wenn die meinen die Grenzen des Vaterlandes schützten, so erweiterten die Ihrigen den geistigen Horizont unseres Volkes, und der Kukuk mag entscheiden, wer mehr geleistet hat. Und über die weltenweite Entfernung zwischen unseren Anschauungen haben Ihre schönen Worte

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