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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Die Möbelindustrie war übriges die erste, die unter dem Einflusse tüchtiger Architekten den Reigen eröffnete. Die Bewegung hatte den erfreulichsten Fortgang, sodaß heute in Bezug auf Möbelfabrikation selbst kleine Landschreiner nichts mehr wissen wollen von jenen traurigen mit polirten Fournieren beklebten Möbelchen, die den Stolz unserer guten Mütter und Großmütter ausmachte.

Andere Industrien, besonders die textile, folgten nach mit Teppichen und Bezügen, in denen besonders die große Wiener Firma Haas und Söhne bahnbrechend wirkte, und so war, abgesehen von den kleineren Ausstattungsgegenständen, einem Manne von Geschmack schon vor mehr denn einem Jahrzehnte die Möglichkeit gegeben, in Deutschland selbst und ohne Zuhülfenahme des ausländischen Imports seine Wohnung in einer Weise auszustatten, daß er und Andere eine herzliche Freude daran haben konnten.

Heutzutage ist dies selbstverständlich in noch weit höherem Maße der Fall, und es muß sich angesichts dieser erfreulichen Entwickelung unseres Kunstgewerbes sowie des feindseligen und gehässigen Auftretens der Franzosen jedem vaterlandsliebenden Deutschen die Frage aufdrängen, ob es nicht an der Zeit sei, von dem Bezug und der Verwendung französischer Waaren gruudsätzlich Abstand zu nehmen.

So lange unsere Industrie der französischen nicht ebenbürtig war, konnte man mit dem kosmopolitisch angelegten Zwischenhändler sagen: ich kaufe da, wo es mir am vortheilhaftesten scheint; da nun aber nachweislich deutsche Fabrikate in größerem Maßstabe nach Frankreich gehen, so muß es doch geradezu widersinnig erscheinen, wen wir die an und für sich weniger preiswürdigen, außerdem noch durch Fracht und Zoll vertheuerten gleichen französischen bei uns aussuchen und kaufen! Das Unglaublichste aber besteht darin, daß deutsche Waaren, die vielleicht bei uns einen directen Absatz in genügender Weise nicht finden, nach Frankreich wandern, um dann von dort als französische wieder zu uns zu kommen und mit fünfzig und mehr Procent Aufschlag verkauft zu werden! Und doch ist dem in Wahrheit so!

Crefelder Seidenstoffe gehen nach Paris und kommen von dort wieder als französische zu uns, und ein bekanntes Pariser Riesenmagazin, das seit Jahren Tausende und Abertausende seiner illustrirten Cataloge nach Deutschland verschickt (ohne Zweifel weil es sich retirt), bezieht wenigstens einen Theil seiner Waaren, und keineswegs die geringsten und schlechtesten, aus Deutschland selbst!

Das hier Mitgetheilte beruht auf unbestreitbaren Thatsachen, die durch den Nachweis hochachtbarer deutscher Firmen erhärtet werden können, und wenn derartiges wie z. B. die Verschickung und der Verkauf von Crefelder Seidenstoffen in Deutschland auf dem Umwege über Paris auch nicht jeden Tag stattfinden dürfte, so genügt es doch wohl, daß eine solche Ungeheuerlichkeit ein einziges Mal vorgekommen, um einen patriotischen Mahnruf zu rechtfertigen.

Importiren wir chinesische und japanische Seidenzeuge, deren eigenartige Elasticität und unübertroffene Dauerhaftigkeit bis jetzt weder in Deutschland noch in Frankreich, Italien oder der Schweiz auch nur annähernd erreicht wird, nach Herzenslust, belassen wir den Franzosen aber ihre Lyoner Waare und beziehen wir vor Allem nicht unsere vorzügliche Crefelder über Paris!

Wir sind, um es nochmals kurz zu sagen, nach langjährigen Bemühungen, nach eifrigen Studien und großen Opfern endlich dahin gelangt, unser nationales Kunstgewerbe wieder aufzubauen, allerdings nicht auf jener gesundesten aller Grundlagen, wo, wie es im Mittelalter der Fall war, der entwerfende Künstler und der ausführende Handwerker meistens in ein und derselben Person vereinigt waren — der Großbetrieb und die damit zusammenhängende Theilung der Arbeit gestatten dies heute nicht mehr — sondern in einer dem Zeitgeiste entsprechenden Weise, und es darf uns ein solcher Erfolg um so mehr mit Stolz erfüllen, als wir nach außen einen mächtigen siegesgewohnten Gegner und nach innen des Oefteren einen gewissen althergebrachten Schlendrian, Ungeschmack und selbst Uebelwollen zu besiege hatten.

Der Export unserer Erzeugnisse nach jenen Ländern, die bisher ihren Bedarf ausschließlich in Frankreich deckten, nimmt täglich größere Ausbreitung an (z. B. nach Spanien), wobei es sich unter Anderem auch zeigt, zu welch übertrieben hohen Preisen die französischen Producte früher dort abgesetzt wurden, und wenn unsere Nachbarn diesen Ausfall schmerzlich empfinden und unsere Concurrenz nun selbst im eigenen Hause in unliebsamer Weise zu verspüren beginnen, so mögen sie bedenken, daß Deutschland ihnen lange, ja wahrlich allzu lange, auf diesem Gebiete tributpflichtig gewesen und daß wir diese Schmach und die damit verbundenen schweren wirthschaftlichen Nachtheile geduldig, das heißt wenigstens ohne zu „hetzen“, getragen haben. Das Leben der Völker wogt auf und wogt ab, und schließlich kommt jedes einmal an die Reihe, obenauf zu sein. F. Keller-Leuzinger.      


Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.

Criminalistisch-photographische Untersuchung eines Tintenflecks.

Es giebt interessante Tintenflecke, an die sich geschichtliche Erinnerungen knüpfen und die eine gewisse Popularität erlangt haben. Zu diesen gehört der Tintenfleck an der Wand des Luther-Zimmers auf der Wartburg, der trotz der Rolle, die der Teufel bei desen Entstehung gespielt haben soll, recht unschuldiger Natur ist. Harmlos, wenn auch für den Urheber oft mit unangenehmen Folgen verknüpft, sind auch die Kleckse auf den Schreibheften unserer lieben Schuljugend, gegen welche jeder „Schriftgelehrte“ mehr oder weniger anzukämpfen hatte.

Es giebt aber auch verhängnißvolle Tintenflecke, die plötzlich in Testamenten, Rechnungsbüchern etc. auftauchen und wichtige Worte oder Zahlen den Menschenaugen entrücken, Tintenflecke, über welche manchmal die Gerichte entscheiden müssen. Ein solcher Fleck fand sich auch vor Kurzem in den Büchern eines französischen Postbureaus und verdeckte eine Zahl, die über den Verbleib einer Summe von 50,000 Franken Auskunft geben mußte. Die eingeleitete Untersuchung ergab, daß in dem Raume, in welchem das betreffende Buch geführt wurde, drei Beamte arbeiteten und jeder von ihnen mit einer andern Tinte zu schreiben pflegte. Das Gericht stellte in Folge dessen an den Sachverständigen folgende Fragen:

„Ist der Tintenfleck durch Zufall entstanden oder mit Absicht gemacht worden?“

„Welche von den drei Tinten diente zur Herstellung des Fleckes?“

„Mit welcher von den drei Tinten sind die von dem Fleck verdeckten Zahlen geschrieben worden?“

„Mit welcher wurde die etwaige Fälschung der verdeckten Zahl vorgenommen?“

Das war in der That viel verlangt, und man muß den Scharfsinn des sachverständigen Chemikers E. Ferrand bewundern, der dem Gerichte die gewünschte Auskunft auf diese Fragen zu geben wußte. Er selbst berichtete darüber ausführlich in der franzöfischen Zeitschrtft „Sience et Nature„

Schon die äußere Form des betreffenden Tintenfleckes erregte den Verdacht, daß er absichtlich gemacht wurde. Dieser Verdacht wurde durch den Umstand bestätigt, daß man in der Mitte des Fleckes, sobald man das Papier gegen helles Licht hielt, zwei dicht an einander liegende kleine Löcher fand, die nur durch die festaufgedrückte Spitze einer Stahlfeder entstanden sein konnten, da auch zwei bis drei darunter liegende Blätter ähnliche kleine geschwärzte Löcher zeigten. Diese Anhaltepunkte genügten, um die erste Frage zu beantworten. Die chemische Untersuchung der drei Tintensorten bot nun die Möglichkeit, durch chemische Mittel die Farben der Tinten zu verändern, sodaß bei Anwendung des einen oder des andern der Fleck selbst heller und die darunter befindliche Zahl dunkler erscheinen würde. Bei näherer Prüfung stellte sich jedoch heraus, daß in einem Falle, wo zwei von den erwähnten Tinten in Betracht kamen, der ganze Fleck sammt der darunter liegenden Zahl durch das Benetzen mit der aufklärenden Lösung zerstört werden könnte, was den Sachverständigen veranlaßte, von der Anwendung dieser Methode abzusehen.

Endlich kam er auf den Gedanken, zu der schwarzen Kunst des Photographen seine Zuflucht zu nehmen.

Die aus verschiedenen Stoffen zusammengesetzten Tinten konnten ja auf die Platte des Photographen verschiedenartig einwirken und bald als hellere, bald als dunklere Bilder auf derselben erscheinen. Diese Annahme war richtig, was das bloße Auge nicht erkennen konnte, das vermochte die Photographie zu sichten! Die Tinte, aus welcher der Fleck in dem Postbuch bestand, erschien in der photographischen Aufnahme als zarter grauer Ton auf dem deutlich eine Zahl zu sehen war, die Nummer des betreffenden registrirten Pakets, die ursprünglich 1200 lautete und durch den Fälscher in 1203 umgewandelt wurde. Dadurch wurde auch die Natur der verschiedenen Tinten bestimmt und auf die Fragen der Richter die beste Antwort ertheilt. Ohne auf weitere Einzelheiten dieses Verfahrens, die nur den Fachmann interessiren, einzugehen, verweisen wir unsere Leser auf die nebenstehenden kleinen Abbildungen, von welchen die mit a und b bezeichneten derartige photographirte Tintenstflecke mit den durch die Photographie sichtbar gewordenen Zahlen darstellen. Fignr c zeigt uns den Fleck b, wie er auf dem Papier dem Auge des Beschauers erscheint. So wurde in dem oben erzählten interessanten Falle durch das Licht der Sonne der Fälscher entlarvt und das alte Sprüchwort bethätigt:
 „Die Sonne bringt es an den Tag.“ J.     


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_746.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2023)