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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

Brausejahre.
Bilder aus Weimars Blüthezeit. Von A. v. d. Elbe.
(Fortsetzung.)
29.

Goethe erkannte sehr wohl, daß seine Stellung zur Herzogin Luise nach der plötzlichen Entfernung des Grafen Görtz wieder eine weniger gute geworden sei; außerdem verdroß es ihn, daß es ihm nicht gelang, trotz allen heißen Wünschens und Bemühens ein besseres Verhältniß zwischen dem Herzoge und seiner Gemahlin anzubahnen.

Er war es aber nicht allein, der außer den Betheiligten unter dieser Störung litt.

Der nähere Kreis der Herzogin Amalie wußte, wie betrübt die edle Frau über das Mißverhältniß des jungen fürstlichen Paares war; ein Zustand, für welchen sie aber doch ihren Sohn in erster Linie verantwortlich machen mußte. Vergebens sann auch sie, wie zu helfen sei. Karl August lehnte jeden Versuch der Vermittelung schroff ab, und so blieb nichts übrig, als vorläufig die Dinge ungehindert gehen zu lassen.

In dieser Mißstimmung wandte sich Goethe mit wärmerem Anschlusse denn je an die Freundin. Er fand auch, was er billiger Weise erwarten konnte, aber doch nicht alles, was sein liebesehnendes Herz begehrte, und immer wieder erneuerten sich zwischen den beiden Menschen jene Kämpfe des Wollens und Sollens, der Leidenschaft und Pflicht, welchen Charlotte gewöhnlich durch eine Flucht und längeren Aufenthalt in Kochberg, wohin Goethe ihr nicht folgen durfte, entrann. Manchmal aber räumte auch er das Feld, und so geschah es in diesem Winter. Die Verlobung der Kalb, mit der er nie wieder auf einen freundschaftlichen Fuß gekommen war, die Festlichkeiten dem Brautpaare zu Ehren verdrossen ihn, und er faßte den Entschluß, einen längeren Ausflug zu unternehmen.

Der Aufforderung des Herzogs, eine Wildschweinsjagd in der Gegend von Eisenach mitzumachen, folgend, ritt er mit dem Versprechen, bald wieder zu kommen, mit der munteren Jagdgesellschaft davon und machte eine Harzreise im December, die manche Beschwerde brachte, ihn aber mit neuem Muthe, neuer Freudigkeit erfüllte.

Jeden Tag schrieb er der Freundin; in einem der Briefe klagte er über Heimweh nach ihr und fügte hinzu: „Ich habe Dir viel erzählt unterwegs; o, ich bin ein gesprächiger Mensch, wenn ich allem bin!“

Als er endlich zurück kam, trug er seine Gedichte und Bemerkungen, die er auf der Reise gesammelt, unverzüglich zur Freundin. Sie empfing ihn wie immer herzlich und mit der liebliche Klarheit ihres Wesens, die ihn so sehr entzückte. Alles brieflich Angedeutete malte er ihr aus, und sie ging mit warmer Theilnahme auf seine Gedanken und Erfahrungen ein.

Der Winter verging unter den hergebrachten Freuden und Festlichkeiten.

Seckendorf’s Hochzeit mit Auguste wurde bei herannahendem Frühjahre in so geräuschvoller Aeußerlichkeit gefeiert, daß der Oberst von Laßberg im Nachbarhause auf’s Neue in die allergrimmigste Stimmung gerieth.

Goethe hatte indessen nicht der blonden Försterstochter vergessen, er wollte sie durch schnelle Verheirathung mit ihrem Geliebten vor allen Anfälligkeiten schützen und sie dem Gesichtskreise des Freundes so weit als möglich entrücken.

Nach wiederholten Erinnerungen und Bitten, dem Feldscheergehülfen Bernstein eine feste Anstellung zu geben – denen der Herzog aber stets eigensinnige Ablehnung entgegengesetzt hatte, kamen die Umstände den Wünschen Goethe’s zu Hülfe.

Bei der Besichtigung eines neuen Schachtes in Ilmenau machte der Herzog einen Fehltritt, stürzte, wurde besinnungslos herausgetragen und von dem jungen Wundarzt durch sorgfältige Behandlung rasch wieder hergestellt; jetzt zauderte er nicht länger, des erprobte Helfers Wünsche zu erfüllen, und ernannte ihn mit angemessener Besoldung zum Landchirurgen.

Die Freude, der Dank des jungen Mannes waren grenzenlos. „O, nun kann ich heirathen!“ rief er ein Mal über das andere. „Wie wird Gretchen froh sein; welch glückliche Menschen haben Eure Durchlaucht gemacht!“

„Das ist ein närrischer Kerl,“ sagte der Herzog, nicht ohne Theilnahme, „thut er doch, als ob Heirathen die größte Seligkeit wäre; curioser Geschmack!“


Kurze Rast.
Nach dem Oelgemälde von Ludwig Kohrl.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_741.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2019)