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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

sind, werden von dem Ganzen Pausen hergestellt, in welchen jedes Detail, scharf mit der Feder umrissen, klar ausgearbeitet ist. Diese Pausen werden dann, in 100 Quadrate eingetheilt, auf Glastafeln photographirt und nun mit den sämmtlichen (oft gegen hundert) colorirten, metergroßen Studienbildern in das betreffende Panoramagebäude geschafft, wo inzwischen die 16 Meter hohe und 118 Meter lange, zur Aufnahme des Gemäldes bestimmte und bereits dreimal grundirte Leinwand in der Weise aufgespannt ist, wie der Beschauer später das Rundgemälde erblickt. Diese Leinwand wird nun gleichfalls in 100 Quadrate eingetheilt, welche also zehnmal größer als die von den Pausen auf die Glastafeln photographirten Quadrate sind; die Quadrate auf der Leinwand tragen dieselbe Nummer wie die auf den Glastafeln, welche nun als Objecte einer großen Camera obscura benutzt werden, mit deren Hülfe die ganze Composition in zehnmaliger Vergrößerung auf die Leinwand übertragen wird, eine Arbeit, die zwei geübte junge Künstler nicht weniger als sechs Wochen vollauf beschäftigt.

Professor L. Braun

Ist die Uebertragung vollendet, so beginnt Professor Braun die eigentliche Arbeit des Malens. Eine ganze Sammlung von Waffen, Uniformstücken, zerhackten Helmen, durchbohrten Harnischen etc. befindet sich als Hülfsmaterial in buntem Durcheinander nebst jenen vorher erwähnten colorirten, ganz ausgeführten Naturstudien im Panoramabau neben der Farbenkammer, welche mit ihren Hunderten von Pinseln aller Größen bis herab zu den kleinsten Haarpinseln eine eigene Bedienung erfordert. Rund um das Bild laufen eiserne Schienen, auf denen wie gewaltige Eisenbahnwagen die bis zu 16 Meter hohen Gerüste, welche den Malern als Standort dienen (siehe die Bilder S. 738 und S. 740), hin und hergeschoben werden. Man sieht: es ist neben der Arbeit des künstlerischen Schaffens auch eine nicht unwesentliche Anstrengung der physischen Kraft nothwendig, um die ungeheure Fläche der Leinwand mit dem Getümmel des Kampfes zu beleben. Auf dem Bilde S. 738 sehen wir Professor Braun selber bei der Arbeit, während das Bild S. 740 rechts das fahrbare Gerüst mit malenden Hülfskräften darstellt. Links steht Professor Braun auf dem im Mittelpunkt des Panoramas befindlichen Podium, dessen oberster Theil für die Zuschauer bestimmt ist und dessen abgedachte Fläche den erwähnten plastischen Vordergrund zu tragen hat; darüber erblicken wir einen Theil des runden Lichtschirmes, der das Oberlicht vom Beschauerplatze abhält und auf das Bild wirft.

Ist dann nach etwa halbjähriger emsiger Arbeit endlich das Panoramabild vollendet, so beginnt der Anbau des natürlichen Vordergrundes. Man ging in der plastischen Behandlung des Vordergrundes früher viel weiter als jetzt; man suchte durch natürliche Wasserfälle zu wirken, durch halb gemalte, halb ausgestopfte daliegende „Todte“. In dem Panorama der Schlacht bei Waterloo, das in den sechsziger Jahren in Antwerpen entstand, ist eine Ecke eines englischen Carrés, etwa dreißig Mann, ebenso fünfzehn Franzosen und eine ganze Batterie völlig plastisch dargestellt, wodurch jedoch die Lebendigkeit des Bildes keineswegs erhöht, vielmehr eine marionettenhafte Wirkung hervorgerufen wird. Jetzt wird auch die Behandlung des Vordergrundes rein künstlerisch aufgefaßt, man bringt ihn in enge Verbindung mit dem Bilde, man führt eine Chaussee, eine Mauer, ein Stück begrasten Bodens des Bildes zur Erhöhung der Illusion figürlich fort und giebt eben nur so viel, als nöthig ist, um den Beschauer nicht erkennen zu lassen, wo die Begrenzung des Vordergrundes aufhört und die bildliche Darstellung beginnt. In dem Leipziger Panorama bildet den Vordergrund eine Fortsetzung des Ackerfeldes, in welches die schweren Räder der Kanonenwagen tiefe Furchen gezogen haben und auf welchem einzelne Gewehre liegen, außerdem ein Stück sumpfigen Bodens, in welchem eine Kanone mit Protzwageu stecken geblieben ist. Köstlich zur Geltung kommt die Luftstimmung des schwülen Augustmittags, das Blitzen und Blinken der Kürasse, der Helme und der Schwerter, die zu Hieb und Stich erhoben; großartig ist die ganze Farbengebung, ist die Wirkung des Lichtes, in welches die Darstellung getaucht ist und welches den Beschauer so überrascht, wenn er plötzlich aus den verdunkelten Gängen auf das Podium tritt und in hellem Tageslicht um sich das Wüthen des Reiterkampfes und darüber den wolkenlos blauen Himmel erblickt, an welchem zartweiße Wölkchen, die von den zerplagenden Granaten zurückgeblieben sind, langsam zerflattern. Durch den erwähnten Lichtschirm wird das von oben durch das Glasdach einfallende Licht auf das Bild geworfen, und dieses dadurch gleichmäßig und tageshell beleuchtet. Um den Lichtschirm läuft im Leipziger Panorama dann noch ein Gang, in welchem eine elektrische Maschine angebracht ist, um in den Abendstunden durch den Reflector elektrisches Licht auf das Bild fallen zu lassen, wie es auch in Berlin im Sedanpanorama Brauch ist. Professor Braun hat für sein Leipziger Panorama aus der Schlacht von Mars la Tour jenen gewaltigen Reiterkampf gewählt, der unter der Bezeichnung „der Todesritt der Bredow’schen Brigade“ für alle Zeiten in die Annalen der Kriegsgeschichte verzeichnet ist und den Stefanie Keyser in ihrer Novelle „Fanfaro“ eben jetzt den Lesern der „Gartenlaube“ vorführt.

Das Ulanenregiment Nr. 16 unter dem Commandanten von der Dollen und das Halberstädtische Kürassierregiment Nr. 7 unter Major Graf Schmettau, beide die Bredow’sche Brigade bildend, haben sich am Tage von Mars la Tour, am 16. August 1870, dem zahllos überlegenen Feinde todesmuthig und todesgewiß entgegengeworfen, um durch einen heldenmüthigen Kampf, durch den großartigsten Reiterangriff des ganzen Krieges eine bessere, gesicherte Stellung für die von der Uebermacht der Feinde bedrängten und fast schon eingeschlossenen deutschen Truppenkörper zu erkämpfen. Mit noch nicht 600 Mann waren die sich dem Tode weihenden Schwadronen ausgezogen, und von diesen 600 fielen 16 Officiere und 363 Mann, mehr als die Hälfte:

„… ein Blutritt war es, ein Todesritt;
Wohl wichen sie unseren Hieben,
Doch von zwei Regimentern, was ritt und stritt,
Unser zweiter Mann ist geblieben.“

So heißt’s in dem bekannten weihevollen Liede Freiligrath’s, in welchem er die Episode des Trompeters Binkebank schildert, dessen Trompete, die so muthig zum Kampfe gerufen hatte, jetzt versagt, da sie selbst von Kugeln durchlöchert ist: nur ein klangloses Wimmern, wie schmerzvolle Todestlage um die gefallenen Brüder, vermag sie von sich zu geben. Und diese Gewalt des Kampfes, diese erbitterte Wuth des Zusammenpralls der Bredow’schen Helden mit den zäh und energisch sich wehrenden Franzosen, all’ das tritt dem Beschauer mit siegreicher Lebendigkeit aus dem Bilde entgegen, denn Alles ist da Leben und Bewegung, in den erbitterten Gesichtern der Kämpfer liest man die Aufregung des Momentes, in den angespannten Sehnen der Kämpfenden erkennt man die Anstrengung aller Kräfte! Zum ersten Male wird hier ein Reiterkampf in seiner ganzen Wucht, in seiner ganzen männlichen Kraft vorgeführt; die prächtigen sich bäumenden oder vernichtet zu Boden stürzenden Pferdeleiber, die mannigfachen Stellungen, die durch die Natur eines Reiterkampfes bedingt sind, verleihen dieser Darstellung gegenüber den früheren Panoramabildern einen ganz besonderen Reiz. General von Bredow hat zum Sammeln blasen lassen, denn neue, noch kampfesfrische französische Cavallerie-Regimenter sind über die Anhöhe von Gravelotte und von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_739.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2022)